Während der Absatz von Neufahrzeugen nur verhalten vorankommt, befindet sich der Gebrauchtwagenmarkt im Aufwind. Nach dem brutalen Stopp, der durch die Massnahmen rund um Corona erfolgte, erwacht der Markt für Neuwagen erst allmählich wieder zum Leben. Im Juli betrug der Rückstand der Neuzulassungen nur 11.3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In den ersten sieben Monaten des Gesamtjahres fiel der Rückgang mit 31.1 Prozent jedoch wesentlich schmerzhafter aus.
Zwei Rekordmonate
Ganz anders präsentiert sich die Situation bei den Gebrauchtwagen dar. Natürlich hatten auch sie einen Einbruch zu verzeichnen, die Verkäufe von Januar bis Juli gingen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6.2 Prozent zurück. Die Gebrauchtwagenbranche konnte jedoch zwei Rekorde in Folge feiern: Im Juni und Juli 2020 wechselten 77 496 beziehungsweise 76 970 Fahrzeuge den Besitzer. Dies sind die besten absoluten Umsatzmonate seit Beginn der Erhebung der Statistik. «Zum Glück haben wir die Gebrauchtwagen», hörte man immer wieder von den Händlern, und dieses Geschäftsfeld hat ihnen − zusammen mit den Einnahmen der Werkstätten − geholfen, in dieser Zeit über die Runden zu kommen.
Folglich gewannen Gebrauchtwagen in den ersten sieben Monaten des Jahres Marktanteile gegenüber dem Verkauf von Neuwagen, der völlig zusammenbrach. Inzwischen werden dreimal mehr Gebrauchtwagen als Neuwagen verkauft (s. Grafik), während das Verhältnis in der Vergangenheit bei 2:1 lag, ein Ergebnis, das einen weiteren Rekord für Gebrauchtwagen bedeutet: Mit einem Marktanteil von 77.8 Prozent zwischen Januar und Juli haben die Gebrauchten ein Allzeithoch erreicht.
Gefüllte Lager
Der Erfolg von Fahrzeugen aus zweiter Hand erklärt sich durch mehreren Faktoren, angefangen bei der weit verbreiteten Einstellung der Neuwagenproduktion in der ganzen Welt. «Die Händler verschiedener Marken können potenziellen Kunden kein genaues Datum für die Lieferung von Neufahrzeugen nennen», so René Mitteregger, Experte bei Auto-i-Dat, einem auf Automobilmarktanalysen spezialisierten Unternehmen. «Es ist zum Teil von Lieferzeiten zwischen sechs und zwölf Monaten die Rede! Auf der anderen Seite ist der Gebrauchtwagen sofort verfügbar, man kann mit ihm direkt vom Hof fahren.»
Der gut bestückte Gebrauchtwagenmarkt − wie er vor der Krise gegeben war − ist nicht die einzige Erklärung für den gegenwärtigen Erfolg. Der abrupte Stillstand der Wirtschaft, das Schreckgespenst einer anhaltenden Rezession und das instabile Umfeld haben viele Verbraucher vorsichtig werden lassen. «Der Gebrauchtwagen bietet einen Preisvorteil», erklärt René Mitteregger. «Viele Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren oder Angst davor, ihn zu verlieren. Das hat sie dazu veranlasst, anstelle eines Neuwagens ein Gebrauchtfahrzeug zu kaufen.»
Top Ten unverändert
Betrachtet man die Verkaufszahlen im Detail, so stellt man fest, dass die wichtigsten Marken in diesem Bereich ihre Position gehalten haben (s. Tabelle). Es ist anzumerken, dass Škoda eine der wenigen Marken ist, die besser abgeschnitten haben als im Vorjahr (+2.84 %), ebenso wie Seat (+1.68 %) und Dacia (+5.68 %). Diese drei Marken sind bekannt für ihr sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und die niedrigen Wartungskosten, zwei wesentliche Kriterien auf dem Gebrauchtmarkt. Kunden, die ein Gebrauchtfahrzeug suchen, sind sensibler für die Frage des Budgets als Verbraucher, die auf der Suche nach einem neuen Fahrzeug sind.
Stabile Preise
Hat die starke Nachfrage nach Gebrauchtwagen die Preise steigen lassen? René Mitteregger schliesst das nicht aus: «Natürlich hat die Nachfrage einige Händler dazu veranlasst, die Preise zu erhöhen. Aber wir haben noch zu wenig Abstand und zu wenige Daten, um dies mit Zahlen zu belegen.» Laut Maurice Acker, Verkaufsleiter von Autoscout 24, hat es einen Preisanstieg bei Gebrauchtwagen gegeben, der jedoch konjunkturell bedingt ist: «Wenn die billigsten Occasionen verkauft werden und teurere Autos online bleiben, steigt der Durchschnittspreis auf der Plattform.» Dies habe aber nichts damit zu tun, dass die Händler versuchten, die Situation auszunutzen.
Für das letzte Quartal des Jahres 2020 erwarten Experten, dass das Hoch auf dem Gebrauchtwagenmarkt anhält. Die Lieferzeiten für Neuwagen sind immer noch relativ lang, und es wird Monate dauern, bis sich die Lage normalisiert. Auch das Phänomen der Tageszulassungen, bei der ein Neuwagen für kurze Zeit angemeldet und dann als Gebrauchtfahrzeug mit einem erheblichen Preisnachlass verkauft wird, dürfte nicht abnehmen und wird wohl auch künftig die Statistik des Gebrauchtwagenmarktes verzerren.
Top und Flop unter den Gebrauchten
Es wird niemanden überraschen, aber die meistverkauften Occasionen sind mehr oder weniger die gleichen Modelle, die auch den Markt für Neuwagen dominieren. Zum Beispiel steht der VW Golf − bis 2017 das meistverkaufte Auto der Schweiz − logischerweise 2019 ganz oben auf dem Podium, gefolgt vom Škoda Octavia und dem Audi A4. Der Zweck dieses Artikels besteht jedoch nicht darin, die absoluten Bestseller hierzulande aufzulisten, sondern vielmehr darin, anzugeben, wie schnell das eine oder andere Modell einen Käufer findet. Champion in diesem Spiel ist der neue Mini Electric, der nur sechs Tage lang beim Händler auf dem Hof steht. Es folgen der Hyundai i10 (ebenfalls 6 Tage) und der Ford Kuga (8 Tage).
Ein genauerer Blick zeigt, dass mit Herstellungsjahr 2019 oder 2020 alle Musterschüler sehr jung sind. Und das aus gutem Grund: Alle Vertreter in dieser Rangliste sind Neuwagen, wurden aber nur für kurze Zeit zugelassen. Sie gelten damit als Gebrauchtwagen, auch wenn einige von ihnen keinen einzigen Kilometer auf dem Tacho haben. Die bei den Marken weit verbreitete Praxis der Tageszulassungen dient dazu, die Zahl der Neuzulassungen zu erhöhen. Für die Kunden hat das den Vorteils, dass sie ein praktisch neues Fahrzeug zu einem attraktiveren Preis erhalten, wenngleich die Garantie ab dem Datum der Erstzulassung läuft. Man muss bis auf den zwölften Rang zurückgehen, um in dieser Rangliste einen echten Gebrauchten zu finden: den Kia Proceed (2008–2013), der im Durchschnitt nach nur 20 Tagen einen neuen Käufer findet.
Schlechte Bewertung
Bei den Fahrzeugen, die auf den Höfen der Autohändler Wurzeln schlagen, gibt es einige Überraschungen. Ganz oben auf dieser Rangliste steht das Mercedes-C-Klasse-Coupé mit Dieselmotor (2011–2015). Es dauert etwa anderthalb Jahre, bis das Coupé mit dem Stern einen neuen Interessenten findet. Sicherlich erklärt die Kombination aus Coupé und einem Dieselmotor – bei dem übrigens Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit aufkamen −, warum Käufer vor dem Kauf des deutschen Fahrzeugs zurückschrecken. Unter den zehn grössten Flops finden sich auch viele Liebhaberfahrzeuge wie die Corvette, der 911 GT2 und GT3 sowie die Ferrari 360 und 430.
Dies liegt an den sehr hohen Preisen, die für diese Autos verlangt werden, da einige Händler versuchen, auf der Spekulationswelle der prestigeträchtigen Sportwagen zu surfen. Auch der Opel Speedster neigt dazu, zum Ladenhüter zu werden: Das deutsche Fahrzeug, das auf dem Lotus Elise basiert, leidet darunter, dass sich seine Preise an denen des englischen Sportwagens orientieren, der sehr gefragt ist. Die Nachfrage nach dem Opel-Roadster indes hält sich in Grenzen, sodass hier Preis und Nachfrage stark divergieren.
Die kompletten Ranglisten finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Automobil Revue.