Die Silhouette ist unverkennbar: bulliger Vorbau, hohe, ansteigende Schulterlinie, gedrungenes, nach hinten abfallendes Dach. Eindeutig ein Range Rover Evoque. Nichts Neues also? Doch, sogar fast komplett neu – bis auf die Türscharniere, welche als einziges Teil aus dem Debüt-Premium-Kompakt- SUV von 2011 übernommen worden seien. In seiner zweiten Generation hat der Autobauer aus Whitely (GB) das mit 800 000 verkauften Exemplaren hoch erfolgreiche SUV-Coupé zwar technisch grundüberholt, sich beim Äusseren aber auf keine riskanten Experimente eingelassen. Gleichwohl wirkt der neue Evoque moderner und frischer, und ein paar Velar-Zitate wie zum Beispiel die versenkbaren Türgriffe und die schmalen LEDLeuchten veredeln das Redesign. Das Ziel waren klare Linien, glatte Flächen, knappere Spaltmasse und von vorne ein fast stealth-artiger Look. Im Innern dominieren ebenfalls gerade Linien, minimalistische Bedienelemente und innovative sowie hochwertige Materialien.
Alles neu in Generation 2
Auf den ersten Blick wirkt der Evoque II fast wie ein Facelift, aber unter dem Blech gingen die Ingenieure kräftig ans Werk. Dank der neuen Premium- Transversale-Architektur (PTA) konnten die Aussenmasse praktisch beibehalten werden, dennoch wuchs der Radstand um 20 Millimeter, die primär der Kniefreiheit im Fond und den Ablageflächen (+85%) zugutekommen. Das Tankvolumen nahm um 15 Prozent zu, der Kofferraum um 10 Prozent, und auch die Ladeöffnung wurde breiter. Die PTA eröffnet aber vor allem die Möglichkeit, jeden Evoque mit einem elektrischen Antrieb zu kombinieren, und so kommt der neue Range gleich von Anfang mit drei Dieseln (150–240 PS) und drei Benzinern (200–300 PS) aus der Ingenium- Reihe, die alle mittels eines integrierten Riemenstartergenerators (BiSG) im Verbund mit einer 48-Volt-LiIon-Batterie mild hybridisiert sind. Gegen Ende 2019 soll noch ein dreizylindriger 1.5-Liter-Benziner als Plug-in-Hybrid nachgeschoben werden. Die Kraft wirkt via neunstufigem Wandlerautomat auf alle vier Räder, ausser beim kleinsten Diesel, wo es auch die günstigere Sechsgang- Handschaltung für reinen Fronttriebler gibt. Das neue Bedienkonzept Touch Pro Duo haben die Briten teilweise vom grossen Bruder Velar übernommen. Mittig im Armaturenbrett sitzt der sehr breitbildige Infotainment-Touchscreen, welcher in einem einstellbaren Winkel von bis zu 30 Grad hochfahren kann. Auf der Mittelkonsole thront ein zweiter Touchscreen für Klimakontrolle, Sitzheizung, Fahrmodi, Medien und gewisse Konfigurationen. Das Kombiinstrument kann entweder mit zwei Analoguhren mit dazwischenliegendem Bordcomputer-Display oder auch als volldigitale Ausführung bestellt werden. Die Fahrzeugkonfiguration erfolgt via alle drei Displays, sodass man sich im Menüdschungel schnell verlieren kann, obwohl die Struktur logischer und minimalistischer geworden sei. Das farbige Head-up-Display, sofern bestellt, erleichtert während des Fahrens den Blick auf die wichtigsten Daten. Neu können Smartphones mittels Android Auto und Apple Car Play eingebunden werden. Ein Hingucker ist der entweder analoge oder auf Digital umschaltbare Innenspiegel, der das Bild der Rückwärtskamera in der Antennenfinne hinten auf dem Dach zeigt. Abgesehen davon, dass der Clear-Sight-Smart-View-Videospiegel die bescheidene Sicht durchs Evoque-Heckfenster verbessert, erlaubt er auch einen ungehinderten 50-Grad-Blick auf den nachfolgenden Verkehr, wenn alle fünf Sitzplätze besetzt oder der Stauraum bis unters Dach gefüllt ist. Gleitsichtbrillenträger müssen allerdings jedes Mal den Kopf in den Nacken drücken, um die Display-Ebene scharf zu sehen.
Abstand, bitte!
Auf den Ringautobahnen um Athen reiste es sich in unserem D240 der Ausstattung S in Firenze Red mit schwarz kontrastierendem Dach angenehm und sehr ruhig. Die aus Eukalyptusfasern gewobenen, hellgrauen Sitze stützten, wo sie sollten, der Tempomat hielt seine Geschwindigkeit, aber leider nicht den Abstand zum Vordermann, weil keine ACC verbaut war. Auch den Totwinkelwarner hat man unserem Testwagen vorenthalten. Solche Kleinigkeiten müssten bei einem SUV-Coupé mit Premiumanspruch einfach zur Serienausstattung gehören! Nicht wirklich anfreunden konnten wir uns auch mit der Armaturenbretteinfassung in bläulich-beiger Strukturfolie, die ein wenig an einen Duschvorhang erinnert, und vollends unglücklich gewählt ist das mit Alcantara eingefasste Lenkrad, da es innert kürzester Zeit speckig und unappetitlich wird. O. k., das ist Geschmackssache und kann zudem umkonfiguriert werden. Mit dem 240-PS-Diesel überholt es sich knackig, allerdings lässt sich die Neungangautomatik öfters etwas Zeit beim Hochschalten, sodass die angekündigten 6.2-NEFZ-Liter pro 100 km wohl illusorisch sind. Verifizieren konnten wir den Verbrauch en route nicht, da wir im Gewirr der Bordcomputer- Menüs den entsprechenden Eintrag schlicht nicht finden konnten. Bitterorangen bis zum Horizont Überland gings dann flotten Gummis entlang riesiger Orangenplantagen. Wir konnten nicht widerstehen und haben uns von einem etwas abseits stehenden Bäumchen zwei intensiv duftende Früchte ausgeliehen, welche sich aber als voller Kerne, sauer und sehr bitter erwiesen. Ein netter Strassenverkäufer hat uns aufgeklärt, dass daraus Bitterorangenmarmelade gemacht werde. Trotz seiner meist agilen Kraftentfaltung nervte der Dieselantrieb damit, dass nach einem Rollstopp – gefühlt – sekundenlang kein Schub einsetzen wollte. Dies erklärte Steve Mousley, Senior Project Manager des Evoque II, damit, dass unterhalb von 17 km/h beim Bremsen der Verbrenner ausgeschaltet werde, um Energie in den Hybridakku zu rekuperieren. Ein sanftes Beschleunigen erledige dann der kleine Startergeneratormotor, und erst bei 17 km/h werde in 0.6 Sekunden die Wärmekraftmaschine hinzugezündet. Dies solle im Schnitt bis zu sechs Prozent Sprit und acht Gramm CO2/100 km sparen. Der BiSG leistet allerdings gerade einmal 10 kW (13.6 PS) – Kunststück, kommt der Evoque nicht vom Fleck, solange man den Stempel nicht runterdrischt oder das Dynamic-Fahrprogramm plus den Sport-Modus nicht aktiviert. Unser zweiter Testwagen, ein Evoque R-Dynamic S mit 250-PSBenzinmotor, zeigte sich da bereits massiv spritziger.
Über den Inselmacher
Den spektakulärsten Abschnitt unserer Testfahrten stellte die Eisenbahnbrücke über den Kanal von Korinth (s. Box) dar, welcher aus der Halbinsel des Peloponnes eigentlich eine Insel macht. Auf diese nur wenige Meter breite Eisenkonstruktion manövrierten wir unseren Evoque via ausrangierte Bahngleise. Dann tasteten wir uns, minutiös die Spur haltend, im Schritttempo über den Abgrund, wobei sich das brandneue Clear-Sight-Ground-View- System als sehr hilfreich erwies. Mittels 180-Grad- Kamerabilder simuliert es eine durchsichtige Motorhaube und rendert auf dem Infotainment-Screen virtuelle Vorderräder exakt in die reale Szenerie unter der Motorhaube, sodass man zentimetergenau um Hindernisse herum oder eben an Bahnschienen entlang zirkeln kann. «Steigen Sie nicht auf der Brücke aus!», bläute uns ein Helfer noch ein.
Durch Bäche und Canyons
Mehrere Offroad-Passagen führten uns dann durch kleine Canyons, über Schotter und durch Bäche. Die auf 60 Zentimeter erhöhte Wattiefe mussten wir dabei glücklicherweise nicht bis ans Limit verifizieren. Dank des aus dem Velar bekannten Steuerungssystems Terrain Response 2, welches alle wichtigen Fahrsettings dem jeweiligen Untergrund anpasst, konnten wir für sämtliche Gel.ndeübungen einfach den automatischen Fahrmodus beibehalten. Auch die bedarfsgerechte Zuschaltung des rückwärtigen Schubs erledigte der Active-Driveline-Antrieb ohne unser Zutun. In extremen Steigungen ermöglichte uns die All Terrain Progress Control, eine Art Tempomat fürs Gelände, die volle Konzentration auf die Lenkarbeit, und den Hügel runter sorgte die Hill Descent Control für ein stets unkritisches Tempo. Die verblüffende, auf diversen elektronischen Helferlein basierende Geländetauglichkeit des neuen Evoque II macht ihn zusammen mit seinem überarbeiteten Fahrwerk aus McPherson-Federbeinen vorne und integraler Multilenkerachse hinten zum Jedermann-Offroader mit grossem Spassfaktor. Und ein Hingucker ist er allemal!
Der Kanal von Korinth
Die Schifffahrtroute um die Halbinsel des Peloponnes von Korinth im Westen nach Isthmia im Osten Griechenlands misst 325 Kilometer. Bereits in vorchristlicher Zeit entstanden deshalb Pläne, die an ihrer schmalsten Stelle knapp 6.5 Kilometer breite Landverbindung zum griechischen Festland, den Isthmus von Korinth, mittels eines Kanals zu durchstechen. Schon die alten Griechen im 6. Jh. v. Chr., dann mehrere römische Kaiser (Julius Caesar, Caligula, Nero, Hadrian) und später die Venezianer planten deshalb den Bau einer schiffbaren Abkürzung, scheiterten aber alle am gigantischen Bauvorhaben. Umgesetzt wurde das Grossprojekt schliesslich unter König Georg I. von Griechenland. Von 1881 bis 1893 entstand der bis zu 84 Meter tief ins Gestein geschnittene Korinth-Kanal . Dieser ist an der Wasseroberfläche 24.6 Meter breit und mit acht Metern Wassertiefe für kleinere bis mittlere Schiffe befahrbar. Heute durchfahren pro Tag rund 30 Wasserfahrzeuge die Abkürzung (ca. 11 000 pro Jahr), wofür sie 80 Euro plus 25 Euro zusätzlich für jeden Meter über neun Meter Rumpflänge bezahlen.