«Geradeaus kann jeder – fragt sich nur wie schnell»

Sandro Haldimann fährt auch 2019 als einziger Schweizer in der Super-Street-Bike-Klasse Dragster-Rennen. Der Berner jagt in 7.54 Sekunden über die Viertelmeile oder 402.34 Meter.

Dragster-Rennen dauern zwar nur wenige Sekunden. Seite an Seite wird gegen einen Konkurrenten über die pfeilgerade Strecke gefahren, und das ohne spektakuläre Überholmanöver. Aber genau dieser kurze Kick auf dem Motorrad ist es, was den Berner Dragster-Pilot Sandro «Säne» Haldimann so fasziniert. Der Adrenalinschub, die enorme Beschleunigung auf über 300 km/h, und die Kraft von bis zu 2.5 g, welche auf den Körper des Piloten einwirkt, begeistern ihn. «Es ist aber nicht nur der Wettkampf Mann gegen Mann mit dem Ziel schneller zu sein, der mich fasziniert. Es liegt auch am Schrauben und Tüfteln während des Winters, wenn ich herausfinden will, was die Technik noch so hergibt», erklärt Haldimann.

Vom Töfflibub zum Dragster-Pilot
Es ist fast logisch, dass ein Puch Maxi vor vielen Jahren Haldimanns erster motorisierter Untersatz war. Das Frisieren des Töfflis hatte er rasch intus, und den Motorad-Führerausweis mit 18 Jahren im Hosensack zu haben genoss – eigentlich – oberste Priorität. Doch der Tod eines Kollegen bei einem Töffunfall vergällte Haldimann für eine geraume Zeit die Freude am Motorrad. So erlangte der gelernte Elektriker und heute im Aussendienst als Servicetechniker tätige Belper vorerst den Autound später mit 23 Jahren den Töff-Führerausweis. Auf einer strassenzugelassenen 1100er-Suzuki sammelte Haldimann dann erste Erfahrungen bei Beschleunigungsrennen. Auf der Flugplatzpiste in Frutigen BE fuhr er an einem Public Race erstmals die Achtelmeile. «Dort habe ich mir wohl das Dragster-Virus selbst eingeimpft», blickt der Motorrad- Freak zurück. Sandro Haldimanns Hang zum Aussergewöhnlichen zeigt sich auch beim Wintersport: Erst fuhr er Ski alpin, dann Snowboard – und jetzt Telemark. Eben: anders als die anderen! So richtig ab geht die Dragster-Post nun schon seit mehr als sechs Jahren. Auf einer Suzuki Hayabusa GSX 1300 R Turbo mit rund 600 PS. Drehmoment? «Genug», erklärt Haldimann mit einem breiten Grinsen, «und die PS-Zahl ist eine Kalkulation, da wir noch nie auf einem Prüfstand waren. » In der Belper Schrauberbude, welche von einigen weiteren Töfffreaks in Untermiete mitgenutzt wird, stehen mehr als ein halbes Dutzend Motorräder herum, die meisten ausgeweidet. Intuitiv entdeckt der Journalist die Dragster-Maschine. Ein Töff mit extrem tiefem Schwerpunkt, mit verlängerter Hinterradschwinge und Semi-Slicks – das Reglement begrenzt lediglich den Radstand und schreibt strassenzugelassene Reifen und handelsüblichen Treibstoff vor. Die SSB-Klasse wirbt mit «No slicks, no wheeliebar, we do it the hard way!». Also nichts von profillosen Reifen und verlängertem Hilfsrahmen mit Rädern am Heck zum Schutz vor Überschlägen. Eine Fliehkraftkupplung, ein Air-Shift-Sechsgang-Getriebe, ein Kill- Switch, der, falls nötig, sofort Benzinzufuhr und Zündung unterbricht, und eine Bordelektronik zur Datenaufzeichnung komplettieren das einen fünfstelligen Betrag kostende Equipment.

 

Eine brutale Belastungsprobe
Und beim Investieren in der Dragster-Rennsport sollte man nicht knausrig sein. Denn das Fahrzeug muss einer grossen Belastung standhalten – oder mehreren explosiven Sprints über die klassische Viertelmeile. Dabei starten jeweils zwei Fahrer nebeneinander. Wer als erster die Ziellinie quert, hat gewonnen. Vier Qualifikationsläufe gibt es, dann folgt die Entscheidung und damit das K.-o.-System: Der Verlierer bleibt auf der Strecke, der Sieger kommt eine Runde weiter. Dabei ist die perfekte Beschleunigung nur die halbe Miete. Ein optimaler Start gehört dazu. Ein Burn-out zum Anwärmen des Hinterreifens, dann langsam zur Ampel an die Lichtschranke rollen und für den Countdown bereit machen. Ist die Ampel weiss, heisst das: Vollgas, Begrenzer ein – und der Motor heult infernalisch! Gelb: Kupplung raus, dann die Gänge 1 bis 6 rein – bis zur Ziellinie. Danach Gas zu und ausrollen lassen und auf das unerbittliche Datarecording warten. Obwohl ein Dragster-Töff stärker beschleunigt als Sebastian Vettel im Formel-1-Ferrari oder Valentino Rossi auf seiner Moto-GP-Maschine, ist Angst für Sandro Haldimann nicht wirklich dabei, jedoch Respekt vor der Technik schon. Es kommt vor, dass sich ein Reifen von der Felge löst oder auch einmal ein Motor explodiert. «Seit einem Motorplatzer, als mir ein Pleuel um die Ohren flog, haben wir stets einen Ersatzmotor dabei», lässt der 46-jährige Berner ein Rennen aus dem Jahre 2015 Revue passieren.

Drag-Sport ist Teamsport
Alleine lässt sich eine Dragster-Saison nie und nimmer stemmen, weder personell noch finanziell. So gehören zum Drag Racing Team Belp (DRTB) nebst dem Aushängeschild, Fahrer und Chefmechaniker Sandro Haldimann auch dessen Freundin und Teamchefin Alexandra Kormann, welche für die Bereiche Administration, Lizenzen, Datarecording, aber auch für Starthilfe und das Abschleppen mittels Scooter zuständig ist. Dazu kommen ein weiterer Mechaniker, ein Marketingund ein Sponsorverantwortlicher. Denn ohne Unterstützung durch Sponsoren und Gönner ist das Jahresbudget von bis zu 25 000 Franken nicht aufzubringen. Mit individuellem Know-how helfen ausserdem lokale Betriebe mit, dass Haldimann seiner Leidenschaft nachgehen kann. Dieses Jahr wird Haldimann aus beruflichen und Budgetgründen kürzertreten. «Die laufende Saison betrachten wir als Zwischenjahr. Primär gilt es, andere Setups auszuprobieren und mit besseren Startzeiten zwei bis drei Zehntelsekunden über die Viertelmeile zu finden», blickt Haldimann voraus. Zweimal im ungarischen Kunmadaras und dann anlässlich der Nitrolympx, der riesigen Dragster- Party vor 80 000 Zuschauern im Hockenheimer Motodrom (D), wird Haldimann sicher auch heuer wieder 400 Meter geradeaus wetzen.

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