EIN GROSSARTIGER WELTMEISTER

Trotz Rang 9 in Mexiko ist Hamilton ein würdiger Formel-1-Champion - vor allem aber ist er der richtige.

Hisst den «Union Jack»: Hamilton ist nun der erfolgreichste F1-Brite - vor Legenden wie Stewart, Hill oder Clark. © zVg

Nur Startplatz 3, hinter Titelkonkurrent Sebastian Vettel (Ferrari) und Max Verstappen (Red Bull), war Lewis Hamilton beim Mexiko-GP am Sonntag geblieben. Es war eine kleine Niederlage für den Pole-Position-Rekordmann. «Ich möchte den Titel gerne mit einem Sieg holen, aber überholen ist hier schwierig. Deshalb wird der Start sicher ein Spass», meinte der Brite nach der Qualifikation. Nach der über einen Kilometer langen Start-Ziel-Geraden musste Hamilton die Siegambitionen zwar bald begraben – nicht aber seine Titelhoffnung. Dünn war die Luft für den Mercedes-Piloten trotz dem auf über 2000 Meter liegenden Autodromo Hermanos Rodriguez nie. In der ersten Rechts-links-rechts-Passage hatte sich Vettel schon von Verstappen «vernaschen» lassen und als auch noch Hamilton durchgeschlüpft war, war das Titelrennen eigentlich entschieden. Vettel hatte Hamilton touchiert und dabei Teile seines Ferrari-Frontflügels weggefräst. Hamilton musste gleich drosseln, weil der Reifen hinten links an seinem Mercedes aufgeschlitzt Luft verlor. Beide fielen sie an den Boxen weit zurück, beide mussten sie zur Aufholjagd starten – Vettel mit dem Auftrag, dass er zumindest noch Zweiter werden musste, um eine kleine Titelchance bei den verbleibenden WM-Läufen in Brasilien und Abu Dhabi zu wahren. Ergeben hatte sich der Deutsche endgültig, als er zehn Runden vor Schluss (von 71) und auf Rang 4 liegend über den Boxenfunk erfuhr, dass sein Teamkollege Kimi Räikkönen vor ihm liegend über 20 Sekunden Vorsprung hatte. «Mamma mia!», lautete Vettels resignierende Antwort.

Hinter «Schumi» und Fangio

Lewis Hamilton gehört mit seinem vierten Titelgewinn nach 2008, 2014 und 2015 definitiv zum Kreis der ganz grossen Champions. Nicht nur, weil er jetzt «grösser» ist als britische Champions wie Jackie Stewart (3 Titel), Graham Hill oder Jim Clark (je 2), auch nicht, weil er mit Vettel und Alain Prost (F) gleichgezogen hat oder weil er nur noch die Legenden Juan Manuel Fangio (RA/5 Titel) und Michael Schumacher (D/7) in der Rekordliste vor sich thronen hat. Der 32-jährige Brite ist auch reifer geworden. Natürlich ist er der Glamour-Boy geblieben, der er schon immer war. Natürlich kann einem seine narzisstische Art auch auf den Kieker gehen. Und natürlich mag der eine oder andere Formel-1-Fan ob der erdrückenden Mercedes-Dominanz (seit 2014 alle acht Titel in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM gewonnen) gestöhnt haben: «Ach herrje … schon wieder die». So wie es der Autor dieser Zeilen zur Zeit der Schumacher-Ära mal getan hatte – und vom ehemaligen Schweizer-Formel-1-Piloten Marc Surer zu hören bekam: «Ich verstehe dich ein bisschen. Aber sieh es doch mal so: Später einmal werden wir sagen können, dass wir das noch erlebt haben, und dass es grossartig war.»

Hatte wenig Hoffnung: Vettel. © MSPB

Nerven gezeigt

Hamilton ist es nun auch. Und er weiss, was er geschaffen hat und wie viel Arbeit und Schweiss es ihn trotz seinem Mercedes-Vorteil gekostet hat. «Hört mir auf mit damals! Da war ich noch ein Bub …», wurde er in Mexiko zitiert, als er auf seinen ersten Titelgewinn 2008, damals mit McLaren-Mercedes gegen Felipe Massa im Ferrari und mit nur einem Zähler Differenz, angesprochen wurde. Trotz seinem immensen Punktevorsprung auf Vettel vor dem Mexiko-GP zeigte er Nerven. Hier und heute wollte er den Sack zumachen. Deshalb fragte er an der Box immer wieder nach, wie sich Vettel denn gerade hält. Das macht den nun vierfachen Champion und High-Society-Posterboy auch menschlicher, sensibler, weniger einer Siegmaschine gleich.

Hamilton hat den Titel aber auch unbestritten verdient, auch mit dem neunten Platz beim Mexiko-GP oder seiner schlechtesten Zielankunft seit dem Brasilien-GP 2013, wo er ebenfalls Neunter war. Lange jagte er Vettel und Ferrari in diesem Jahr hinterher, ehe er nach der Sommerpause die Konkurrenz gnadenlos an die Wand fuhr: Sechs der letzten neun WM-Läufe gewann er. Währenddessen häuften sich bei Vettel und Ferrari die Pleiten, das Pech und die Pannen. Die ersten sechs Saisonrennen hatte der Deutsche jeweils dreimal auf Rang 1 und 2 beendet, nach der Sommerpause sah er zweimal die Zielflagge nicht – zu oft in einem so hochstehenden Wettbewerb. Vettel machte sich im Vergleich zu Hamilton auch zunehmend unbeliebt. Im Juli zeigte er sich beim Österreich-GP – damals noch mit sattem Punktevorsprung auf Hamilton – als schlechter Verlierer, weil er nach dem Blitzstart von Valtteri Bottas im zweiten Mercedes (Reaktionszeit 0.201 Sekunden) einen Frühstart erkannt haben wollte. Auch in Mexiko hatte der Wahlschweizer über Funk wieder zu nörgeln, als ihm Massa bei einem Über­holmanöver mit dem Williams zu nahe kam: «Sind wir hier beim Autoscooter?» Vettel sagte aber auch, dass solche Funksprüche oder eben Nörgeleien in der Vergangenheit wohl auch dafür verantwortlich seien, dass die Rennkommissäre heute die eine oder andere unverständliche Entscheidung träfen und eingriffen, so wie beim vorletzten GP in den USA, als Verstappen seinen dritten Platz an Räikkönen verlor, weil er den Finnen im Finish «unsportlich» überholt hatte.

Max Verstappen hatte in Mexiko übrigens nichts zu befürchten. In die Nähe des souveränen Siegers kam die Konkurrenz nicht annähernd! Der erst 20-jährige Holländer soll der nächste grosse Champion werden, ist die Szene überzeugt. Er hat noch Zeit – auch Lewis Hamilton brauchte dazu ein paar Jahre.

Werner J. Haller

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