Audi-Pilot Mattias Ekström hatte vor den beiden letzten Rennen beim Finale in Hockenheim (D) 21 Punkte Vorsprung auf seinen Markenkollegen René Rast. Der dritte DTM-Titel des 39-jährigen Routiniers aus Schweden, zehn Jahre nach seinem bisher letzten Gesamtsieg in dieser deutschen Tourenwagen-Serie, lag also quasi auf dem Silbertablett. Weil er aber im ersten Hockenheim-Lauf am Samstag aus den Punkterängen fiel (Platz 11) und Jamie Green (GB/Audi) gleichzeitig vor Mike Rockenfeller (D/Audi) siegte sowie René Rast Sechster wurde, blieben auch vor dem abschliessenden 18. DTM-Rennen der Saison 2017 noch vier (!) Titelkandidaten. Ekström sowie Green büssten aber in der Startaufstellung wegen Unsportlichkeit in Rennen 1 Positionen ein: Dem Schweden wurden fünf Positionen aufgebrummt (=Startplatz 14), dem Briten gar deren zehn (15).
Rast durfte zwar von Position 2 starten, hatte aber im Gesamtklassement immer noch elf Zähler Rückstand auf Ekström. Der Deutsche verteidigte aber hinter Marco Wittmann (D) seine Position über 36 Runden, Green wurde Fünfter und Ekström nur Achter. Das reichte: Rast stellte die DTM-Tabelle nochmals auf den Kopf und gewann den Titel mit nur drei Pünktchen mehr als Ekström sowie deren sechs auf Green und deren zwölf auf Rockenfeller. Die deutsche Rennlegende Hans-Joachim Stuck, 1990 selbst DTM-Champion und heute Präsident des Deutschen Motorsport Bundes DMSB, verzichtete wegen der riesigen Spannung in Hockenheim fast auf offizielle Aufgaben und blieb lieber länger auf dem Co-Kommentatoren-Stuhl des deutschen Fernsehsenders ARD sitzen. Und «Striezel» war bei Weitem nicht der Einzige, der seinen Gefühlen freien Lauf liess.
Der emotionalste Titel
«So emotional war ich noch nie in einem Rennwagen», meinte Rast nach seinem Titelgewinn – notabene in seinem ersten DTM-Jahr! Ein Kunststück, das zuletzt dem Italiener Nicola Larini vor 24 Jahren glückte. Als Rast hinter dem entthronten Champion Marco Wittmann (D/BMW) im Ziel einfuhr, war er noch ahnungslos, bis das Team ihn informierte: «Ich brach in Tränen aus.». Dabei war es weiss Gott nicht der erste Gesamtsieg des bald 31-Jährigen. Er, der sich in Jugendjahren mit dem heute vierfachen Formel-1-Weltmeister und Landsmann Sebastian Vettel in Nachwuchsserien fetzte, sammelt Titel wie andere Briefmarken: ADAC Volkswagen Polo Cup (2005), Porsche Carrera Cup (2008), Porsche Supercup (2010/2011/ 2012), Porsche Carrera Cup (2012), ADAC GT Masters (2014) sowie Gesamtsiege bei den 24 Stunden auf dem Nürburgring (D) und in Spa-Francorchamps (B/beide 2014).
«Mein Ziel war es eigentlich, bester Rookie zu werden. Ich wollte lernen, wollte regelmässig Punkte sammeln, immer gut durchkommen», erinnerte sich Rast an seine Ausgangslage im DTM-Debütjahr. Überrascht wurde auch Audi-Motorsportchef Dieter Gass: «Wir haben ihn ja nicht ohne Grund in unsere DTM-Mannschaft geholt und gute Leistungen von ihm erwartet. Aber dass er in seinem ersten DTM-Jahr gleich um den Titel kämpft – und diesen am Ende auch noch gewinnt –, damit hat wirklich niemand gerechnet. Auch René selbst nicht. Mitentscheidend war seine Grundschnelligkeit. Er war in diesem Jahr der beste Qualifyer.» Dreimal startete Rast von der Pole-Position. Aber damit nicht genug. Rast, der auch dem Team von Ex-Formel-1-Weltmeister Keke Rosberg (FIN) den ersten Titel bescherte, gewann 3 von 18 Rennen, in Spielberg (A), Moskau (RUS) und Budapest (H). Er stand schon beim Saisonauftakt, ebenfalls in Hockenheim, als Zweiter auf dem Podest und doppelte am Lausitzring (D) mit Rang 3 nach.
Werbung in eigener Sache
Die DTM rührte mit dem dramatischen Saisonfinale in Hockenheim mächtig die Werbetrommel in eigener Sache. Da vergisst man schnell den Abgesang auf diese renommierte deutsche Tourenwagen-Serie. Dass das Ende drohe, sagte man ihr in Medien nach, als im Sommer die Hiobsbotschaft vom Mercedes-Ausstieg auf Ende des nächsten Jahres öffentlich wurde – auch weil die Langstrecken-WM nach dem Audi-Ende 2016 mit Porsche in diesem Jahr einen weiteren prominenten Aussteiger vermeldete und Rückschritte machte. In Hockenheim drehten vielleicht künftige DTM-Konkurrenz-Autos von Lexus und Nismo (Motorsportmarke von Nissan) Demo-Runden. Sie stammen aus der japanischen Super-GT-Serie, welche der DTM ähnlich ist. «Die Arbeit am neuen Reglement läuft auf Hochtouren», versicherte DTM-Boss und rennlegende Gerhard Berger (A), 1988 und 1994 mit Ferrari Dritter in der Formel-1-WM. Er und auch andere DTM-Drahtzieher sind gewarnt: 1996 ging die DTM bereits einmal verloren, in der ITC (International Touring Car), als wegen der hohen Kosten für die Klasse-1-Fahrzeuge bei den Herstellern Opel und Alfa Romeo die DTM-Lichter ausgingen.
Werner J. Haller