Nein, noch verfügen heutige Serienautos, auch wenn sie dem aktuellsten Wurf entstammen, über ein Lenkrad und Pedale. Der Fahrer oder die Fahrerin gibt also die Richtung vor und bestimmt darüber, wann beschleunigt, verlangsamt oder gestoppt wird. Es gibt noch kein Auto «von der Stange», welches diese Funktionen im Strassenverkehr und für den regulären Konsumenten verfügbar wahrnimmt.
Oder besser gesagt: es gab noch kein solches Auto. Kurz vor der aktuellen Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) – sie dauert noch bis zum 24. September – hatte Audi den AI-Staupiloten des Modells A8 präsentiert. Der Staupilot ermöglicht als weltweit erstes System hochautomatisiertes Fahren – nach Schweizer Sprachregelung «bedingt automatisiert» – auf Level 3. Diese Innovation der Marke mit den vier Ringen übernimmt beim neuen A8 – die Limousine verfügt über insgesamt 41 Assistenzsysteme und diese Funktion ist ein aufpreispflichtiges Zubehör – auf der Autobahn im Stau, oder im mit weniger als 60 km/h zäh fliessenden Verkehr, das Fahren.
Sich fahren lassen
Nun gibt es Assistenten, welche die Fahraufgabe kurzfristig übernehmen, bereits seit längerer Zeit – etwa insbesondere bei Mercedes. Doch beim Audi-Staupiloten auf dem Niveau von Level 3 muss der Fahrer diese spezifische Situation nicht mehr permanent überwachen. Seine Aufgabe ist es, wahrnehmungsbereit zu bleiben und die Verantwortung wieder zu übernehmen, wenn ihn das System dazu auffordert. Also auch bei diesem System kann man sich zum Beispiel nicht einfach in den Fond des Autos setzen und sich chauffieren lassen. Und selbstverständlich liegt auch ein Nickerchen nicht drin.
«Ist der Staupilot mit der AI-Taste auf der Mittelkonsole aktiviert und hat das System die Kontrolle übernommen, überprüft eine Kamera permanent während der Fahrt, ob der Fahrer in der Lage ist, wenn nötig das Steuer wieder zu übernehmen», erklärte Daniel Lepczyk, Entwickler für Fahrzeugfunktionen bei Audi. Diese Kamera analysiert gemäss dem Audi-Ingenieur zum Beispiel die Position und Bewegungen des Kopfes sowie den Lidschlag. Wären nun die Augen des Fahrers längere Zeit geschlossen, würde das System ihn auffordern, die Fahraufgabe wieder auszuführen.
Im Notfall wird gestoppt
Diese Aufforderung des Fahrzeugs erfolgt – ebenfalls dann, wenn die für eine pilotierte Fahrt durch das System definierten Parameter nicht mehr gegeben sind, also wenn etwa das Tempo der fahrenden Kolonne die Grenze von 60 km/h passiert – in einer Kaskade bestehend aus mehreren Stufen. Dies erfolgt in drei Phasen – von optischen und akustischen Warnungen bis hin zur Notbremsung. Die Warnphase dauert ungefähr zehn Sekunden, verstreicht diese ungenutzt, dann kommt es zum Nothalt. Dieser wird automatisch durch die Warnblinkanlage angezeigt, und das System setzt selbstständig einen Notruf ab.
Die «Automobil Revue» konnte sich von der Funktionsweise und der Effizienz dieses AI-Staupiloten selbst überzeugen. Aus rechtlichen Gründen beziehungsweise wegen noch ungelösten Haftungsfragen, durften Journalisten dies aber nur auf einer abgesperrten Flugpiste nahe Düsseldorf (D) unter simulierten Bedingungen tun. Die Fahrt direkt in einen realen Stau auf einer deutschen Autobahn, und somit die Probe aufs Exempel, übernahm aus Haftungsgründen Audi-Ingenieur Daniel Lepczyk.
Defensive Ausrichtung
Es ist ein besonderes Gefühl, wenn sich nach dem Aktivieren des Systems das Auto quasi emanzipiert und vom Fahrer die Kontrolle übernimmt. So kann man dann etwa das TV-Bild empfangen oder die E-Mail-Funktion nutzen. Der Staupilot seinerseits managt dabei alle Vorgänge wie Anfahren, Beschleunigen, Lenken und Bremsen in seiner Spur wie von Geisterhand. Er beherrscht auch anspruchsvolle Situationen, die durch nah einscherende Fahrzeuge entstehen. «Die Handlungen des Systems basieren auf einer sogenannten Mitte-zentrierten und kooperativen Fahrweise», erklärt Daniel Lepczyk. Dies bedeutet in der Praxis, dass wenn sich das Tempo in der Kolonne reduziert – der Staupilot funktioniert nur bei richtungsgetrennter Verkehrsführung auf Autobahnen oder Autostrassen –, sich der Audi A8 automatisch an der linken Fahrbahnbegrenzung orientiert. Dies nicht zuletzt deshalb, weil man so die Bildung einer Rettungsgasse begünstigen will.
Die defensive Ausprägung des Systems fiel in unserem kurzen Praxistest auf, als der Audi zum Passieren von dicht hintereinander fahrenden Lastwagen ansetzte, die Sensoren die Situation nicht eindeutig zu taxieren vermochten und der A8 zwar aus Vorsicht, aber doch relativ heftig, abbremste. Die Erfassung seiner Umwelt geschieht beim AI-Staupiloten mittels eines wahren Arsenals an Sensoren und Kameras: zwölf Ultraschallsensoren an Front, Flanken und Heck, vier Umgebungskameras an Front, Heck und Aussenspiegeln, eine Frontkamera am oberen Rand der Windschutzscheibe, vier Mid-Range-Radare an den Fahrzeugecken, ein Long-Range-Radar an der Front sowie ein Laserscanner an der Front. Seine Steuersignale erhält der Staupilot vom zentralen Fahrerassistenzsteuergerät (zFAS) und von einem Radarsteuergerät. Der Fahrer hat jederzeit die Möglichkeit, den Piloten etwa mit dem Betätigen des Gaspedals oder der Bremse zu übersteuern. Dies ist übrigens eine Hauptvoraussetzung zur Zulassung solcher Systeme.