Formel-1-King Lewis Hamilton rast überlegen zu seinem vierten Formel-1-Heimsieg in Serie und liegt zur Saisonhalbzeit nur noch einen WM-Punkt hinter Sebastian Vettel. Letzterer wird nach seinem bitteren Malheur kurz vor Schluss nur Siebter. Hinter Hamilton rollt sein Teamkollege Valtteri Bottas als Zweiter und Vettels Ferrari-Stallgefährte Kimi Räikkönen als Dritter ins Ziel. Hamilton hatte sich zuvor mit einer Donnerrunde die Pole Position gesichert.
Küsse da und dort
Zu Beginn des Grand Prix von Grossbritannien stand Lewis Hamilton im Kreuzfeuer der Kritik, nachdem er einen Fan-Event in der Innenstadt Londons geschwänzt hatte. Der Lebemann hatte auf der griechischen Insel Mykonos bis kurz vor dem Rennen relaxt und damit die Fans in London, die ihr Idol feiern wollten, brüskiert. Vergeben und vergessen: Am Ende trugen ihn seine Anhänger auf Händen. Hamilton küsste im Ziel seinen Silberpfeil, dann stürmte er auf seine Mechaniker zu und liess sich feiern. Dann noch schnell eine Siegerfaust in den Himmel, einen Gruss an die Tausenden von Fans, an seinen krebskranken Freund und auch an Billy Monger, den er, wie seinen Freund, in die Box eingeladen hatte. Monger, der Formel-Nachwuchsfahrer, sitzt seit seinem schweren Unfall bei einem Formel-4-Rennen in Donington vor drei Monaten, nach dem beide Beine amputiert werden mussten, im Rollstuhl. «Ich kann mich noch daran erinnern, als ich in einer solchen Serie fuhr», sagt Hamilton. «Wenn du dich nach oben kämpfst und den Blick in Richtung Formel 1 richtest, und er dir plötzlich genommen wird, ohne dass du Schuld bist, ist das extrem hart. Das hat mich einfach erschüttert.»
Aufgehalten von Max
Das Rennen begann mit Verspätung. Jolyon Palmer (Renault) musste schon vor dem Start aufgeben, und das Feld wurde deshalb auf eine zweite Einführungsrunde geschickt. Hamilton entschied den Start für sich, doch schon in der zweiten Runde rückte das Safety Car aus. Im Mittelfeld hatten sich die beiden Toro-Rosso-Piloten Daniil Kwjat und Carlos Sainz junior touchiert und dadurch jede Menge Karbonteile auf der Strecke verteilt, die später noch für Gesprächsstoff sorgen sollten. Für den Spanier war das Rennen beendet, der Russe konnte es immerhin fortsetzen. Vorne drehte Hamilton jedoch ab Rennbeginn einsam seine Runden. Räikkönen konnte zumindest Sichtkontakt halten. Der Kampf tobte indes hinter den beiden. Vettel hatte schon beim Start seinen dritten Platz an Max Verstappen verloren. «Die hinteren Bremsen haben davor Feuer gefangen und dann waren die Reifen so heiss, dass gar nichts ging», sagte Vettel. Danach blieb er stets in Lauerstellung und doch dauerte es bis zur 14. Runde, bis er seinen ersten Angriff wagte. Auf der langen Geraden vor Stowe wollte er innen vorbeiziehen, doch der Niederländer gab nicht auf und verteidigte seinen Platz, sodass sie parallel auf Club Corner zusteuerten, beide durch die Wiese fuhren und schliesslich auf die Start-Ziel-Gerade einbogen. «Ich kam nicht an ihm vorbei», so Vettel. Dass dieses Duell am TV aus Sicht der Fans sehr attraktiv aussah, war dem vierfachen Weltmeister in dem Moment ziemlich schnuppe. «Das bringt mir nur leider nichts.»
Profiteur der Auseinandersetzung war Bottas, der aufgrund einer Strafe wegen eines Getriebewechsels nur als Neunter gestartet war und so Terrain gutmachen konnte. So viel, bis er Vettels Ferrari in Sicht hatte. Erst durch einen früheren Boxenstopp und die schnelle Runde danach zog der Deutsche schliesslich an Verstappen vorbei. Als Bottas nach 33 Runden auf «Supersoft» als Vierter auf die Strecke zurückkam, hatte er fünfeinhalb Sekunden Rückstand auf Vettel – war aber auf Anhieb mehr als eine Sekunde schneller als der Deutsche. Vorne hatte Hamilton inzwischen zwölf Sekunden Vorsprung auf
Räikkönen. Bottas kam Vettel ergo immer näher und sieben Runden vor Schluss schnappte sich der 27-jährige Finne den Deutschen. Immerhin lag der WM-Leader noch klar auf Podiumskurs, ehe sich dann kurz vor Schluss die Reifen am Ferrari auflösten. In dem Moment trennten ihn noch etwas mehr als acht Kilometer vom Ziel. Eine Runde vor dem Ende liess er neue Pneus aufziehen – zwangsläufig. «Eigentlich hätten die Reifen locker halten sollen, ich weiss nicht, warum sie nicht hielten», so Vettel. Kurz vor Vettel hatte es Räikkönen vorne links erwischt. Er rettete sich in die Box und kam am Ende immerhin noch als Dritter ins Ziel.
Pirelli untersucht den Fall
Am Wagen von Kimi Räikkönen kam es also in Runde 49 zu einer Ablösung der Lauffläche, eine Runde später verlor Vettel den Rang 4 wegen eines Reifendefekts und fiel auf Platz 7 zurück. Viele Fans stellten in den sozialen Netzwerken die Frage, wie die beiden Ferrari-Reifenschäden innert weniger Minuten zustande kommen konnten. Waren die Ferrari-Fahrer vielleicht Opfer von auf der Bahn liegenden Trümmerteilen geworden? Aber wieso kam es dann nur an den roten Rennern zu Schäden? Darum kam der Verdacht auf, dass Ferrari vielleicht in Sachen Aufhängungseinstellung anders unterwegs war als die Gegner. Aufgrund früherer Schäden gibt Pirelli jeweils exakte Vorgaben, was den maximalen Sturz der Räder und den Reifendruck betrifft. Der Spielraum der Rennställe ist kleiner geworden, und Pirelli tut alles, um auf der sicheren Seite zu bleiben. Pirelli meint, dass es sich bei Vettel und Räikkönen wohl nicht um den gleichen Defekt handelt. Das Timing war schlicht Pech. Der Reifen von Kimi zeigte, dass sich tatsächlich die Lauffläche abgelöst, der Reifen selbst aber keine Luft verloren hatte. Die Walze von Vettel, ebenfalls links vorne, hatte einen richtigen Platten, also Luftverlust im Reifen. Pirelli schliesst nicht aus, dass es einen Zusammenhang mit einem sehr harten Bremsmanöver des WM-Leaders einige Runden zuvor gibt, als sich der Ferrari-Star heftig gegen Bottas wehrte. Beide Reifen werden nun vom Hersteller untersucht.