Es klingt, als ob eine ganze Armada Fliegen die Bastille stürmen wollte, wenn da die Formel-Boliden mitten in Paris wie an einer Kette aufgereiht auf der Avenue de la Bourdonnais im 7. Arrondissement nur wenige Meter vom von der Strecke entfernt stehenden oder sitzenden Publikum vorbeidüsen. Keine Malträtierung des Hörapparats, keine den Körper durchströmenden Schallwellen, die die inneren Organe Rock ’n‘ Roll tanzen lassen. Keine Explosionen durch unverbranntes Benzin, die dafür sorgen, dass die Kugel Stracciatella vor Schreck aus dem Glace-Cornet hüpft. Obwohl für Motorsport-Fans der kernige Sound eines beispielsweise 4-Liter-V8-Motors, wie er in der DTM brüllt, wie eine Symphonie von Beethoven selig im Ohr des Klassik-Fans erschallt. Einfach bezaubernd. Die Formel E generiert weder Geruch noch Lärm. Insofern ist die Formel E sexy – bei Politikern von grün bis schwarz, Behörden, Fans und den vielen zufällig anwesenden Zuschauern an der Strecke, die niemals an ein «normales» Rennen fahren würden. Die Formel-E-Rennen finden mitten in der Stadt statt. Die Hartgesottenen, seit Jahren dem PS-Kult huldigende Gemeinde, haben bisweilen noch ihre liebe Mühe, wenn sie da die Rennwagen sehen und nichts dabei hören und fühlen. «So was tue ich mir nie mehr an», tönt es dann rasch mal vom Kollegen auf linker oder rechter Seite, «wenn es da nur tsssss … macht, wenn die Autos vorbeifahren.» Der Abrieb der Räder sorgt für den grössten «Radau». Freilich, das Rad der Zeit ist nicht aufzuhalten. «Bis 1982 dominierte der Cosworth-Motor die Formel 1, ab 1983 die Turbos, die im Training über 1000 PS auf den Beton knallen konnten», sagt der 4-fache Formel-1-Weltmeister Alain Prost. Der 62-jährige Franzose aus Saint-Chamond ist heute Mitbesitzer des Teams Renault e.dams, des Teams von Weltmeister Sébastien Buemi also. Ab 2005 wurde die Zylinderzahl in der Formel 1 dann zunächst auf V10, ab 2006 auf V8 begrenzt. Seit 2014 fährt man in der Königsklasse mit V6-Hybridmotoren mit 1.6 l Hubraum. «Es gab also immer wieder Veränderungen», so Prost. Insofern sei der Siegeszug des Elektroantriebs nicht mehr aufzuhalten. Er wird sich so sicher wie das Amen in der Kirche irgendwann, vermutlich in gar nicht mehr allzu weiter Zukunft, durchsetzen. Die allermeisten Hersteller werden in den nächsten Jahren mit E-Mobilen auf den Markt kommen und somit die Stromer allseits «salonfähig» und bezahlbar machen.
Buemi hervorragend
Zurück zum Rennen in Paris. «Kaum zu glauben, ich hatte einige Fehler in verschiedenen Sektoren, trotzdem hat es zur Position gereicht. Das zeigt, dass wir einen sehr guten Job machen», sagt Meister Sébastien Buemi. Der erste Startplatz sechs Tausendstel vor Jean-Eric Vergne ist die halbe Miete für den späteren Sieg des Romands. «Es ist sehr wichtig, dass ich als Führender aus der ersten Kurve rauskomme», so Buemi. Und das gelingt ihm dann auch. Dabei kommt ihm im ersten Bogen Vergne jedoch gefährlich nahe. Auch dank der Fairness des 27-jährigen Franzosen, der Buemi einst in der Formel 1 beim Team von Toro Rosso abgelöst hatte, kommt es nicht zum «Crash». Der Waadtländer verteidigt in Runde 1 seine Spitzenposition und gibt die Führung bis zum Renn-ende nicht mehr ab. Auch zwei Safety-Car-Phasen wurden dem e.dams-Star nicht mehr gefährlich. «Auch wenn dieser Sieg etwas einfach aussah, war es ein richtiger Kraftakt. Das Safety-Car hat das Rennen annulliert und wir mussten mit der gesamten Arbeit von vorn beginnen, was nicht einfach war. Es ist toll für das Team, in Paris zu gewinnen. Dieser Sieg wird richtig gefeiert!» Teamchef Alain Prost sagt, warum der Sieg im Herzen von Frankreich so wichtig ist. «Wir sind hier in der Heimat von Renault, einem Team, das seit der ersten Stunde der Formel E dabei ist. In Paris geht es für uns deshalb etwas mehr ums Prestige als sonst. Der Druck ist etwas grösser.» Aber man sei bereit dafür, so Prost. Ganz offensichtlich.
Der fünfte Sieg
Es war finalement der fünfte Sieg im sechsten Rennen in dieser Saison für Sébastien Buemi. Auf den Rängen zwei und drei landeten José-María López respektive Nick Heidfeld. Jean-Eric Vergne setzte seinen Techeetah kurz vor Schluss auf Rang zwei liegend in die Boxenmauer und sorgte somit dafür, dass das Rennen unter gelber Flagge zu Ende ging. Vergnes Lenkung hatte infolge einer gebrochenen Zahnstange versagt. Buemi führt damit die WM mit 132 Punkten vor seinem ärgsten und wohl auch einzigen Widersacher im Kampf um den Titel, Lucas di Grassi, mit 89 Zählern an. Der Brasilianer blieb nach einem bereits völlig vergeigten Qualifying letztlich auch im Rennen punktelos. Auf Rang drei figuriert Buemis Teamkollege Nicolas Prost (58 Punkte). Um seinen WM-Titel zu verteidigen, benötigt der Schweizer ein fettes Polster, ehe es Mitte Juli für zwei Rennen erstmals nach New York (USA) geht. Die beiden Läufe, die in Red Hook, dem Hafen von Brooklyn, stattfinden, wird der WM-Leader wegen einer Terminkollision mit der Langstrecken-WM (WEC) verpassen. Denn: Auch in dieser Serie ist Buemi derzeit WM-Leader, ergo sollte er auch beim nächsten Auftritt der Formel E möglichst kräftig punkten. Weiter geht es am 10./11. Juni in Berlin (D), wo ebenfalls zwei Rennen auf dem Programm stehen. Wie 2015, wird der Kurs auf dem Vorfeld des historischen Flughafens Tempelhof errichtet. 2015 belegte Buemi in Berlin den zweiten Rang hinter Jérôme d’Ambrosio. Letztes Jahr gewann er.