Ein Kreisel naht, der Mercedes reduziert das Gas, bremst leicht an und lenkt ein, der Blinker wird gestellt und zügig zieht der schwere Wagen in die Ausfahrt. Wir sitzen zu dritt im Auto, in einer Mercedes-S-Klasse der kommenden, überarbeiteten Generation, hier als Maybach-Spitzenausführung. Vor der Abfahrt hatte der Chauffeur noch schnell die Tarnkappe für das Lenkrad heruntergenommen. Aussen zieren die Limousine typische Tarnaufkleber, um das Auge über die definitive Formgebung der Neuheit zu täuschen. Er hat guten Grund, birgt doch das völlig neue Volant eine ganze Reihe von Schaltern und Knöpfen, von denen mir der Fahrer jedoch keine der Funktionen verraten möchte. Ganz begeistert hingegen berichtet er mir von den neu gewonnenen Fähigkeiten des schon bisher umfangreichen Assistenzpakets in den jüngsten Modellen der Schwaben, allen voran in der aktuellen E-Klasse, wovon ich mich zuvor hatte überzeugen können.
Insgesamt 25 verschiedene Systeme dienen in der E-Klasse der Sicherheit und der Unterstützung des Fahrers. Das sind unter anderem zwei Kameras in der Konsole des Rückspiegels, womit das Auto bis 90 Meter voraus in 3-D und über 500 m im Normalmodus «sehen» kann. Insgesamt vier Kameras sorgen dafür, dass der Einparkassistent sich ein 360°-Rundumbild machen kann. Ein Radar im Bug reicht bis zu einer Distanz von 250 m. Sogenannte Multi-Mode-Radarsensoren für den näheren Fahrzeugbereich liefern dem Totwinkel- und Spurwechsel-Assistenten die nötigen Informationen, sie können zu diesem Zweck auch «schielen». Ein weiterer Sensor deckt das Fahrzeugheck bis 80 m nach hinten ab. Er ist etwa in der Lage, einen drohenden Heckaufprall zu erkennen und die Rückhaltesysteme entsprechend einzustellen. Der nach vorne orientierte Nothaltassistent kann dank seiner 3-D-Kamera-Unterstützung erkennen, ob es sich um ein Fahrzeug oder aber um einen Fussgänger handelt, der den Weg kreuzt. Ein Fussgänger wird dabei auf verblüffend einfache Art erfasst: Er ist ein sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit bewegendes Objekt, welchem zwei weitere Objekte zugehören, die sich dabei mit doppelter Geschwindigkeit hin und her bewegen – die Beine. Auch wartende Fussgänger kann das System bemerken und meldet dies dem Fahrer über ein Symbol im Display. So weit, so bekannt, die E-Klasse ist damit seit geraumer Zeit auf dem Markt. Dennoch war die Vorführung des Zusammenspiels aller Elemente auf dem Testgelände in Sindelfingen (D), der «Sim–City», wie der grosse Asphaltplatz Mercedes-intern gennant wird, nach wie vor eindrücklich.
Integration aller Systeme
Von einer «nächsten Entwicklungsstufe hin zum autonomen Fahren» sprach der Leiter Automatisiertes Fahren und Aktive Sicherheit, Dr. Michael Hafner, als er uns in die Geheimnisse der jüngsten Mercedes-Entwicklung einweihte, der Grund unserer Einladung nach Sindelfingen in das von Mercedes-Benz letzten Herbst neu eröffnete Sicherheits-Testzen-trum.
Die überarbeitete S-Klasse soll demnach mehr können als uns die -E-Klasse eben erst eindrücklich vorgeführt hatte. Dahinter steckt die Integration des Navigationsgeräts sowohl mit der jeweils zentimetergenau ermittelten, aktuellen Fahrzeugposition als auch dem hinterlegten Kartenmaterial als weitere Datenquelle. Die Effekte sind verblüffend: Die Mercedes-S-Klasse der kommenden Generation wird auch abseits der Autobahn ihren Weg finden. Dazu bedient sie sich beispielsweise der laufend aktualisierten Kartendaten eines entsprechenden Online-Dienstleisters. Kreuzungen, Kreisel, Autobahnausfahrten, Kurven und ganze Wegstrecken inklusive der Geländetopografie werden damit für die streckenbasierte Geschwindigkeitsregelung berücksichtigt. Konkret ist das kommende Mercedes-Flaggschiff in der Lage, selbstständig für die Abfahrt von der Autobahn die Geschwindigkeit zu reduzieren, einzulenken und beispielsweise einen nachfolgenden Kreisel zu durchfahren. Der Wagen kann auch «überland» auf einer entsprechend gewählten Route sich dem Kurvenverlauf und der Topografie anpassen. Somit verfügt der Fahrer im Überlandverkehr über eine ähnliche Unterstützung, wie sie bisher nur auf Autobahnen möglich war, vorausgesetzt, es wurden zuvor eine Zieldestination und/oder eine entsprechende Route ins Navigationsgerät eingegeben. Damit ist es in der Tat nur noch ein kleiner Schritt bis zum autonomen Fahren. Der Fahrer braucht im Prinzip in diesem Fahrmodus nur noch durch Berührung des Lenkrads seine Präsenz zu bestätigen. Alles Weitere übernimmt das Fahrzeug. Interessant ist dies besonders auf unübersichtlichen Streckenverläufen, bei denen das Fahrzeug oftmals viel eher als der Fahrer Gefälle oder enge Kreisel zu erkennen vermag. Dies alles erscheint bei einer ersten Beschreibung ein wenig gespenstisch. In der Praxis jedoch erweisen sich die erweiterten Funktionen als praxis-taugliche, willkommene Features, welche tatsächlich dafür sorgen, das Fahren noch angenehmer, aber auch flüssiger und sicherer zu gestalten. Die autonome Zukunft steht also unmittelbar bevor. Was Mercedes im Herbst präsentieren wird, scheint einzig noch eines kleinen Updates zu bedürfen, um dem Fahrer in einem Grossteil der Situationen das Lenken ganz zu ersparen. Offen bleibt, ob der Gesetzgeber der technischen Entwicklung in einem ähnlichen Tempo zu folgen vermag.