Die Räder der Automobilindustrie drehen weiterhin durch wegen Betrugsvorwürfen – bewiesen oder vermutet – im Zusammenhang mit Abgas- und Schadstoffbetrügereien. Nach Volkswagen Ende 2015 und Fiat Chrysler Automobiles (FCA) Anfang 2017 sind neustens auch Renault und Audi ins Fadenkreuz der Justiz ihres jeweiligen Landes geraten.
Bei Audi schwelts erst auf Sparflamme …
Die Staatsanwaltschaft München II hat wegen der Abgasaffäre Audi-Manager ins Visier genommen und ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Verdachts auf Betrug und strafbarer Werbung eingeleitet. Dabei gehe es um 80 000 Dieselfahrzeuge, die bis 2015 in den USA verkauft worden seien. Das europäische Geschäft sei davon nicht betroffen. Gemäss Angaben der deutschen Ermittler haben Staatsanwälte und Beamte der Landeskriminalämter Bayern, Baden-Württemberg sowie Niedersachsen (D) Audi-Standorte und sieben weitere Orte durchsucht und elektronische Daten sowie Unterlagen mitgenommen, dies nicht nur aus Büros, sondern auch aus Privaträumen. Selbst die VW-Zentrale in Wolfsburg (D) wurde laut einem Konzernsprecher durchsucht, nicht jedoch die Privaträume des Audi-Chefs Rupert Stadler, wie dieser selbst verlauten liess.
… während bei Renault bereits gewaltig Feuer im Dach ist
Reagierend auf einen Bericht der französischen Generaldirektion Wettbewerb, Verbrauch und Betrugsbekämpfung (DGCCRF), welche dem französischen Wirtschaftsministerium unterstellt ist, hat die Pariser Staatsanwaltschaft gegen Renault ebenfalls ein Ermittlungsverfahren aufgrund Betrugsverdachts im Zusammenhang mit Abgasmessungen eröffnet. Gemäss dem letzte Woche durch die Tageszeitung «Libération» teilweise veröffentlichten Protokoll der französischen Betrugsbekämpfungsbehörde hat der -Autobauer aus Boulogne-Billancourt (F) seine Kunden über den tatsächlichen Schadstoffausstoss seiner Dieselmotoren belogen. Diverse Indizien liessen darauf schliessen, so die Polizeibehörden von Bercy (F), dass Renault eine «Einrichtung installiert habe, welche unter den spezifischen Bedingungen von Homologierungs-Testzyklen dezidiert die Motorsteuerung anpasse, um Stickoxidemissionen (NOx) zu vermindern».
Gegen 900 000 Fahrzeuge seien betroffen und die Fakten seien bereits seit 1990 bekannt gewesen. Man erinnert sich, dass Volkswagen eine Betrugs-Software eingesetzt hatte, welche präzise feststellen konnte, wann ein Testzyklus gefahren wurde, um dann eine nur genau unter diesen Bedingungen aktive Verminderung der Abgasgiftigkeit einzuschalten.
Der Schatten der «Kommission Royal»
Es trifft zu, dass der Abschlussbericht der im Kielwasser des VW-Dieselskandals durch die französische Ministerin für Ökologie, nachhaltige Entwicklung und Energie, Ségolène Royal, ins Leben gerufene Kommission bereits weitere «schwarze Wolken» vorausgesagt hatte. Die Ergebnisse der auf Rollenprüfständen und Teststrecken untersuchten 86 Autos von rund 20 Herstellern waren wenig schmeichelhaft. Bei Renault ergaben sich bei zwei Modellen, dem Captur dCi 1.5 mit 90 PS und dem Talisman dCi 1.5 mit 110 PS (in der Schweiz nicht erhältlich), eine markante Differenz der NOx-Werte zwischen der Messung anlässlich der Homologation und der durch die unabhängige Kommission auf der Teststrecke (D3) durchgeführten: Die 31.8 beim Captur angegebenen mg NOx/km erreichten im D3-Lauf deren 890 mg/km. Beim Talisman ergab sich ein Sprung von 57.6 auf 926.1 mg NOx/km. Die Renault-Ingenieure erklärten diese massive Diskrepanz mit der Notwendigkeit, die Abgasreinigung durch die Abgasrückführung (EGR: Exhaust Gas Recirculation), abhängig von der Einlasstemperatur, zu beschränken, um so den Motor vor Verschmutzung und Schäden zu bewahren.
In den in der «Libération» publizierten Auszügen weist die Betrugsbekämpfungsbehörde auch auf die Problematik der Renault-internen Betriebshierarchien hin: «Die gesamte Führungsetage, in letzter Instanz der CEO Carlos Ghosn, war sich der Sachlage bewusst.» In einem am 15. März erschienenen Kommuniqué beruft sich Renault auf den «guten Glauben»: «Keine unserer Erzeugnisse haben gegen nationale oder europäische Vorgaben betreffend der Homologation von Fahrzeugen verstossen. Renault-Produkte sind nicht mit Betrugs-Software zur unrechtmässigen Beeinflussung der Abgasreinigung ausgestattet.» Im «Figaro» bringt es Thierry Bolloré, Geschäftsführer Wettbewerbsfähigkeit und die Nummer zwei im Renault-Konzern, auf den Punkt: «Renault hat nicht betrogen oder getäuscht. Das hat nichts mit einem gewissen anderen Autobauer zu tun. Unser Konzern respektiert seine Kunden, seine Geschäftspartner, den Gesetzgeber auf nationaler und internationaler Ebene vollumfänglich. Und natürlich hat Renault jederzeit sämtliche geltenden Normen respektiert. Die gegen uns gerichteten Anschuldigungen sind unfundiert und die zirkulierenden Zahlen machen keinen Sinn.»
Zwei schwierig zu vergleichende Fälle
In den Augen von Bertrand Rakoto, Automobil Consultant bei D3 Intelligence, ist es zu früh, um einen Vergleich zwischen dem VW-Dieselgate und der Renault-Affäre zu ziehen: «Momentan kann man die beiden Fälle kaum vergleichen. Die Mogeleien, welche vom Koloss jenseits des Rheins installiert wurden, sind sehr schnell aufgedeckt worden. Der deutsche Autobauer hat seine Verantwortung auch sofort zugegeben. Beim französischen Konzern deutet momentan nichts darauf hin, dass er sein Umfeld getäuscht hat. Die Anschuldigungen der Betrugsbekämpfungsbehörde basieren rein auf Vermutungen. Es handelt sich um Hochrechnungen, um mögliche Szenarien, aber es fehlen konkrete Beweise über die Installation einer Betrugs-Software», betont der Analyst des Automobilmarktes und fährt fort: «Sicher ist im Moment einzig, dass Renault-Fahrzeuge unter Realweltbedingungen einen erhöhten Schadstoffausstoss aufweisen, wie es die Kommission Royal ja aufgezeigt hat. Aber vielleicht ist Renault hier auch einer strategischen und industriellen Fehlentscheidung zum Opfer gefallen, wonach sein Abgasreinigungssystem sowie NOx-Entgiftung zwar kostengünstiger und leichter zu installieren, aber im Endeffekt auch weniger effizient sind als diejenigen anderer Marken. Kurz: Der Produzent aus Boulogne-Billancourt hat seine Abgasreinigung möglicherweise unterdimensioniert.» Für Rakoto muss man auch den politischen Faktor berücksichtigen: «In Frankreich übt die Politik traditionsgemäss einen enormen Einfluss auf grosse Unternehmen aus, vor allem wenn die Behörden bis zu 20 % des Aktienkapitals an einem Konzern wie Renault halten. Oder das Ermittlungsverfahren der Pariser Staatsanwaltschaft zielt klar auf Carlos Ghosn ab, die Nummer eins der ‹Raute›. Es ist sattsam bekannt, dass die Beziehungen zwischen dem CEO sowie den Regierungen Sarkozy und Hollande konfliktbeladen waren. Wenige Wochen vor den französischen Präsidentschaftswahlen kommt diese Affäre gerade recht, um Carlos Ghosn zu schwächen und Druck auf die Renault-Gruppe zur Organisation der Nachfolge des Industriellen zu machen.»
Eugenio D’Alessio/Peter Rohrer