Da sind Ruderer, die schneller rudern, als manches Motorboot fährt; Schwimmer, die schneller schwimmen, als unsereins zu Fuss unterwegs ist, schnelle Velofahrer und Mountainbikerinnen, die in manch einer Radarfalle hängen blieben, oder schnelle Läufer/innen, die es mit manchen Vierbeinern aufnehmen könnten. Die Schnellsten unter den mehr als 30 Rekrutinnen und Rekruten der Spitzensport RS 3-16 freilich sind Nico Müller und Dominique Aegerter. Der Auto- und der Töff-Rennfahrer, beide aus dem Bernbiet stammend, sind im Rahmen des Besuchstags wie ihre Kollegen aus zahlreichen anderen Sportarten vom Rekruten zu Sportsoldaten der Schweizer Armee befördert worden. Ab sofort gibt es deshalb fünf statt vier Franken Sold pro Tag. Das reicht im Fall von Müller, wenn nach 18 Wochen der Dienst fürs Vaterland absolviert ist, immerhin für knapp zwei Tankfüllungen bei seinem RS5-DTM-Audi – bei Aegerters Moto2-Bike, das 2017 wieder eine Suter statt einer Kalex sein wird, reichts für etwas mehr.
Nicht selbstverständlich
«Es ist nicht selbstverständlich, dass wir als Motorsportler die Spitzensportler-RS machen dürfen», sagt Nico Müller. Der 24-Jährige ist nach dem Aargauer Fabio Leimer erst der zweite Automobilrennfahrer, dem dieses Privileg (s. Box) zuteil wird. Aegerter seinerseits ist, nachdem er die «normale» Rekrutenschule sechsmal wegen Verletzungen und «weiss der Herr was allem, verschieben musste», nach Tom Lüthi der zweite Töff-Rennfahrer. «Irgendwie sind wir schon ein bisschen Exoten unter all den anderen, die in der Regel olympische Sportarten betreiben», sagt Müller. Ausnahme sind die Schwinger, die seit einigen Jahren ebenfalls zum erlauchten Kreis jener gehören, die von dieser Unterstützung seitens der Armee profitieren können. Die Schwinger haben aber immerhin ihr Sägemehl in der Nähe; im Fall der Motorsportler sind da weder Auto, Töff noch Rennstrecke. «Wir müssen darum ein bisschen mehr reden und erklären, wie das bei uns abläuft», so Müller. Das war zuletzt auch am Besuchstag so, als sich das Publikum rege für das Tun von Müller und Aegerter interessierte.
Höchste physische Anforderungen
Die körperliche Herausforderung, sprich die Belastung beim Motorsport wird häufig unterschätzt, sagt Aegerter. «Einige unserer Kolleginnen hier in Magglingen waren daher sehr erstaunt ob unserer Fitnesswerte.» Leicht vergisst Mann und Frau, dass während eines Rennens höchste Konzentration bei den Piloten gefragt ist. Sei es auf dem Töff oder im Auto. Dazu herrschen vorab im Auto oft monströse Temperaturen von bis zu 60 Grad. Da reicht das bisschen Wasser, das der Fahrer oder die Fahrerin via Schlauch zu sich nehmen kann, meist nirgends hin. Hinzu kommen starke Fliehkräfte, die vorab auf die Nackenmuskulatur wirken. Kein Wunder also, dass sich die Motorsportler sehr gut mit den beiden Schwingern Remo Käser und Joel Wicki verstehen. Auch für die Schwinger ist das Nackentraining das A und O. Deshalb kann man bei ihnen einen Lineal zwischen Ohren und Hals anlegen, ohne dass darunter eine Lücke entsteht. Sprich, der Hals ist so breit wie der Kopf. «Schwingen steht auf jeden Fall sehr weit oben auf meiner To-do-Liste» für dieses Jahr, sagt Nico Müller. Obwohl im Kanton Bern und somit in der Wiege des Nationalsports geboren, ist er bislang noch nie an einem Schwingfest gewesen. Jetzt aber, da man mit «Hosenlupf-Grössen» eine kollegiale Beziehung aufbauen konnte, wird sich das ändern. «Ich muss gestehen, ich habe die Schwinger völlig unterschätzt. Das sind richtige Athleten», sagt Müller. Aber auch mit Vertreterinnen von anderen Sportarten haben sich gute Freundschaften ergeben. «Man sagt ja, dass in jeder RS Freundschaften entstehen.» Bei Ihnen jedoch gingen diese Freundschaften vielleicht sogar noch einen Tick tiefer. Ganz einfach darum, «weil hier alles Leute sind, die sich sehr ähnlich sind und deshalb sehr ähnlich ticken». Alles Sportler eben, die ein Ziel verfolgen, und um dieses zu erreichen, ähnliche Eigenschaften mitbringen müssen. Zielstrebigkeit, Durchhaltewille, Fleiss, Verzicht, Fokus, Kämpferqualitäten und so weiter. Gleich und Gleich gesellt sich gern, trifft hier absolut zu. Apropos gesellen: Aegerter und Müller, die immer wieder auch zusammen auf der Kartbahn in Roggwil BE trainieren, teilen sich in Magglingen, naheliegenderweise, das Zimmer. «Wir haben es immer lustig und haben uns natürlich in den zurückliegenden Wochen sehr gut kennengelernt», sagt Aegerter. Und es geht noch weiter, noch ist die RS für den RS-Piloten und den Moto2-Champ ja nicht zu Ende. Das ist erst am 17. März der Fall.
Wie im Schlaraffenland
Als es die Spitzensport-RS noch nicht gab, war die Armee ein Karrierekiller. Manch ein Sporttalent beendete seine Laufbahn nach der damals 17-wöchigen völlig sportfeindlichen RS. Heute ist das ganz anders: «Es fehlt uns hier an überhaupt rein gar nichts. Alles, was du dir als Sportler wünschen kannst, ist da», erzählt Nico Müller. Okay, in seinem und in Dominique Aegerters Fall fehlt eine Rennstrecke, aber sonst, sei es Physiotherapie, Sportwissenschaftler jeglicher Couleur, ist alles da, was man sich an In-frastruktur und Personal zwecks Training von Muskulatur, Fitness und Psyche vorstellen kann. «Wir haben hier einen eigenen Fitness-Coach», so Müller. Ein Sportstudent, der eigens für die zwei «Benziner» Trainingspläne entwickelt. «Dadurch haben wir sehr viel gelernt, das uns auch in den nächsten Jahren helfen wird», sagt Aegerter. Darunter viele Übungen und Trainingsmethoden, die bisher im Konditions- und Krafttraining nicht auf dem Radar waren. Darum sagt Aegerter: «Ich fühle mich noch fitter als in den letzten Jahren um diese Zeit.» Gleiches gilt für Compagnon Müller, der notabene schon immer auf dem Rennrad stark war und darum auch physisch zu den Fittesten seiner Zunft zählt. «Das Training hier hat mir zweifellos viel gebracht. Ich sehe dem bald anstehenden Fitnesstest bei Audi insofern sehr gelassen entgegen», so der Berner.
Aegerter glücklich in Spanien
Bis zum Ende der RS wird Dominique -Aegerter nun vorerst wieder einige Zeit in Spanien weilen – so wie er das im Januar meistens tut – und sich auf Motocross- und Supermotard-Bike vorbereiten. Dies so lange, bis die ersten der zwölf offiziellen Testtage, die einem Moto2-Team zur Verfügung stehen, an-stehen. Nach dem bitteren Ende letzte Saison freut sich Aegerter sehr auf die neue Saison. Zur Erinnerung: Nachdem er im August beim deutschen Leo-pard-Team unterschrieben hatte, reagierte dessen damaliger Arbeitgeber CarXpert Interwetten betupft und stellte den Schweizer augenblicklich frei. In den letzten vier Rennen setzte das Team neben Tom Lüthi so den 16-jährigen Spa-nier Iker Lecuona ein. Heuer nun fährt Aegerter wieder mit seinem «Suter-Schätzeli», wie er das Chassis des Turbenthaler Konstrukteurs Eskil Suter bezeichnet. Mit der Kalex war er in den letzten zwei Jahren nie wirklich zurecht gekommen und darum nie glücklich geworden. Abgesehen davon war die Konstellation, im gleichen Team wie Tom Lüthi zu sein, gewiss kein grandioser Schachzug der Strategen, die das eingefädelt hatten. Das musste auf der einen oder anderen Seite schieflaufen. Seinen bislang einzigen GP-Sieg feierte Aegerter 2014 auf dem Sachsenring auf einer Suter-Maschine. Wenn es nach dem Oberaargauer geht, kommt da heuer noch der eine oder andere Sieg dazu. «Schnell genug dafür sind wir.»
Müller an der Ski-WM
Auch Nico Müller wird dieser Tage weniger oft in Magglingen weilen. Der Neo-Sportsoldat disloziert nicht Richtung Süden und Sonne, sondern ganz im Gegenteil, Richtung Osten und St. Moritz GR. Richtung Schnee und Kälte also. Sein Arbeitgeber Audi begleitet die Wettkämpfe an der Ski-WM im Nobelkurort nämlich zum siebten Mal als Presenting- Sponsor. Jeden Abend empfängt der liechtensteinische Ex-Skiprofi Marco Büchel die Sieger, Gäste und Medienvertreter zu Interviews in der Audi-Lounge. Zusammen mit DTM-Kollege und Rallycross-Weltmeister Mattias Ekström kümmert sich Nico Müller als Markensponsor in St. Moritz um die Gäste und Sportler und zeigt ihnen im Rahmen von «Audi driving experience», wie man ein Auto auf Schnee souverän bewegt. Aus-serdem findet der «Audi SuperQ» statt – ein Rennen, welches letztes Jahr beim Weltcup in Kitzbühel (A) Premiere feierte. Organisiert von Ekström, treten Athleten verschiedener Nationen auf Schnee und Eis gegeneinander an. Als Autos stehen vier Audi TT RS sowie zwei 560 PS starke Audi S1 EKS RX quattro zur Verfügung. «Ich werde dabei sein und mich um die Fahrer kümmern und sie vor und während ihrer Rennen ein bisschen coachen», so Nico Müller. Nach dem Ausstieg aus der Langstrecken-WM WEC hat Audi die Rallycross-WM nämlich für sich entdeckt. Neben der DTM und der Formel E unterstützen die Ingolstädter ab der Saison 2017 das vormals private Team von Ekström. Er hatte sein EKS-Rallycross-Projekt Anfang 2014 gegründet und innerhalb von nur drei Jahren mit grossem, persönlichen Engagement an die Weltspitze geführt. Die erste Auflage des Audi SuperQ gewann übrigens Slalom-As und WM-Gold-Favorit Henrik Kristoffersen. Dies gegen die ebenfalls bekennenden Rennsport-Fans Felix Neureuther und Marcel Hirscher, die auch schon als Gastfahrer am Audi-TT-Cup im Einsatz standen.
DTM-«Cut» überstanden
Dass Müller überhaupt noch zur Gilde der DTM-Piloten zählt, ist nicht wirklich selbstverständlich. Schliesslich fielen aufgrund der Reduktion von acht auf sechs Autos pro Hersteller auf diese Saison hin etliche Arbeitsplätze «Frau Spar» zum Opfer. «Ich musste schon um meinen Platz kämpfen», lässt Müller durchblicken. Ob er freilich weiterhin, wie es ihm lieb wäre, für das ABT-Team mit dem Playboy-Häschen auf der Haube, fahren wird, ist noch offen. «Von mir aus sehr gern, aber letztlich entscheidet Audi.» Dass die Rechnung im Endeffekt für ihn aufging und er weiterhin der einzige unter Schweizer Flagge fahrende DTM-Pilot bleibt, macht den Schweizer Soldat stolz und «spornt mich an, mein Potenzial noch mehr auszureizen». Wie schnell er ist, hat Müller letzte Saison häufig in den freien Trainings bewiesen. «Jetzt geht es darum, diesen Speed auch noch dann zu entwickeln, wenn es zählt.» Im Qualifying und im Rennen ergo.
Nun, an der nötigen Fitness all die demnächst anstehenden Promo-Einsätze und Tests im Namen ihrer Arbeitgeber und Sponsoren durchzustehen, sollte es weder Sportsoldat Müller noch dessen Dienstkameraden, Sportsoldat Aegerter, fehlen. Nach 18 Wochen Spitzensport-RS sind die Muskeln – auch diejenigen im Kopf – gestählt und die Kraft – und Konditionstanks gefüllt. Mehr Schub dank der Armee? Man wird sehen…
Nur einem erlauchten Kreis von Sportlerinnen und Sportlern vorbehalten
Die Spitzensport-RS wird seit 2004 nach dem Modell der Armee 21 durchgeführt. Eingeführt wurde sie 1999 unter Bundesrat Adolf Ogi. Dank der Spitzensport-RS können Athletinnen und Athleten die Dienstpflicht optimal mit den Anforderungen und Bedürfnissen ihres Sports verbinden. Die Spitzensport-RS dauert 18 Wochen und gliedert sich in 5 Wochen allgemeine, waffenlose Grundausbildung in Lyss BE mit einem täglichen Training sowie 13 Wochen Funktionsgrundausbildung in Magglingen BE. Während der Zeit in Magglingen können die Sportler/innen nach ihren individuellen Plänen trainieren und dabei die hochprofessionelle Infrastruktur im Mekka des Schweizer Sports nutzen. Ausserdem stehen die Ausbildung zum Militärsportleiter bzw. -leiterin sowie verschiedene Themen rund um den Spitzensport und Ausbildungsmodule (Umgang mit Social Media, Mentaltraining usw.) auf dem Programm. Bedingungen, um in den erlauchten Kreis der Spitzensport-Militärs aufgenommen zu werden, sind unter anderem: hohe Ziele auf internationaler Ebene sowie den Willen, diese zu erreichen, eine zielorientierte Vierjahresplanung, die Bereitschaft, dem Spitzensport während bestimmter Lebensphasen erste Priorität einzuräumen oder die Bereitschaft, die Armee in der Öffentlichkeit als Botschafter zu vertreten. Jedes Jahr bekommen rund 75 Athletinnen und Athleten die Gelegenheit, in zwei Rekrutenschulen von der leistungsförderlichen, militärischen Unterstützung zu profitieren. Es gibt jährlich viel mehr Bewerbungen als Plätze vorhanden sind. Bei der Selektion für die beiden jährlich stattfindenden Rekrutenschulen arbeiten der jeweilige Sportverband, der Dachverband Swiss Olympic, das Bundesamt für Sport und das Kommando der Spitzensport-RS eng zusammen. «Für unsere Verbände ist das Fördergefäss sehr wichtig, denn hier bekommen die Athletinnen und Athleten eine Topbetreuung zu einem entscheidenden Zeitpunkt ihrer Karriere – an der Schwelle vom Nachwuchs zur Elite», sagt Ralph Stöckli, Leiter der Abteilung Leistungssport beim Dachverband Swiss Olympic. Er wünscht sich deshalb einen weiteren Ausbau des Angebots. Nicht jedes Jahr kommt jede Sportart zum Zug. Vor Dominique Aegerter und Nico Müller haben aus dem Motorsportbereich schon Tom Lüthi und Fabio Leimer von der Spitzensport-RS profitiert.