In der Schweiz gab es 1990 knapp 50 000 Campingfahrzeuge, davon waren 32 000 Wohnwagen und gerade mal 17 000 waren Wohnmobile. «Nach den neuesten Zahlen der Inverkehrsetzungen von Wohnmobilen und Caravans gehen wir davon aus, dass im Sommer 2016 die Grenze von 50 000 Wohnmobilen mit Strassenverkehrszulassung überschritten wurde», sagt Reto Ruchti, Vizepräsident von Caravaningsuisse (SCGV), dem Schweizerischen Caravangewerbe-Verband.
Für Ruchti ist es dabei «besonders interessant, dass anders als häufig in den Medien kolportiert, der Bestand an Caravans nicht zurückgegangen ist». Stattdessen sei die Anzahl der Wohnwagen «seit Jahren sehr stabil». Reto Ruchti: «Das Wachstum der Branche kommt eindeutig aus dem Bereich der Wohnmobile, deren Bestand sich in den letzten 25 Jahren beinahe verdreifacht hat.» Und auch SCGV-Präsident Christoph Hostettler bestätigt diese Hochrechnung: «Es ist falsch zu sagen, dass es weniger Caravans gibt. Doch der Trend bei den Zulassungen der Reisemobile ist klar.»
Unterschiedliches Verhalten
Dieser Trend hin zu den selbstfahrenden Reisefahrzeugen hat Folgen. So haben die so genannten Wohnmobilisten ein anderes Reiseverhalten als die traditionellen Kunden aus dem Bereich des Caravans. Letztere richten sich entweder als Dauercamper auf einem Saisonstellplatz ein oder sie fahren als eigentliche Familiencamper mit dem Wohnwagen auf einem Campingplatz und bleiben für ihre Ferien zwei, drei Wochen dort. Hingegen verweilen Wohnmobilisten meist kürzer an einem Ort, reisen dafür oft längere Strecken und sind auch ausserhalb der Hochsaison häufiger unterwegs. Sie übernachten gerne auf Stellplätzen, aber man trifft sie durchaus auch auf Campingplätzen an, wenn es ihnen in einer Region gefällt.
Dieses spezifische Reiseverhalten der Wohnmobil-Touristen ist ebenfalls Schweiz Tourismus (ST), der nationalen Tourismus-Marketingorganisation, bekannt. Für ST-Mediensprecher André Aschwanden führen selbst ausländische Touristen, die sich mit ihrem Reisemobil auf der Durchreise befinden, kein «völlig autarkes Leben». «Auch sie nutzen Gastronomie und Ausflugsinfrastruktur und sind somit durchaus wertvoll für die Tourismus-Wirtschaft», erklärt André Aschwanden. Er verweist darauf, dass Schweiz Tourismus mit dem Produkt «Grand Tour of Switzerland» diesem weltweiten Trend der Reiseform Touring (Rundreisen an mehrere Orte) entsprochen hatte, als man diese rund 1600 Kilometer lange Entdeckungsreise durch die Schweiz ins Leben rief.
Europaweit gleicher Trend
Und effektiv ist die von den Caravaningsuisse-Spezialisten festgestellte Tendenz nicht nur ein Schweizer Phänomen, sondern von internationaler Ausprägung. «Die Entwicklung in der Schweiz spiegelt eine Bewegung wider, die im Grossen und Ganzen für ganz Europa zutrifft», bestätigt Reto Ruchti. Er nimmt im Auftrag des nationalen Caravangewerbe-Verbands jeweils auch an internationalen Tagungen in Europa teil und ist so auch am Puls des internationalen Geschehens.
Angesichts dieser Reisemobil-Touristen aus dem europäischen Umland erklärt Ruchti: «Wir können deshalb auch nicht von lediglich 50 000 Schweizer Wohnmobilisten sprechen, sondern von einem Vielfachen davon.» Für den Vizepräsidenten des Schweizerischen Caravangewerbe-Verbands ist denn auch «das traditionelle Camping gewiss nicht tot – im Gegenteil». Reto Ruchti: «Das Caravaning von heute ist einfach nicht mehr allein das Camping von vor 25 Jahren.»
Noch viel Potenzial
Ruchti kommt in seinen Einschätzungen auch auf die wirtschaftliche Komponente der Wohnmobil-Reisenden zu sprechen: «Wenn nur schon die 50 000 aktiven Wohnmobilfamilien in der Schweiz ein Mal im Jahr mehr in der Schweiz übernachten würden, wenn sie zwei, drei, fünf Weekend-Ausflüge mehr in der Schweiz unternehmen würden und zwei Mal mehr auswärts verpflegten oder den Dieseltank füllten – wie viel mehr Geld würde in der Schweiz bleiben?»
Und in seine Überlegungen zu den wirtschaftlichen Dimensionen dieser Tourismusform bezieht Reto Ruchti auch das Ausland mit ein: «Und wenn dies auch nur ein paar Prozent der vielen 100 000 Wohnmobilisten aus Frankreich und Deutschland täten? Oder die wachsende Zahl der Skandinavier, die mit dem Wohnmobil unterwegs sind?
Noch Defizite vorhanden
In der Branche ist allgemein anerkannt, dass es zur Reisefreudigkeit der Wohnmobilisten gehört, dass viele von ihnen auch mal zwei, drei oder fünf Monate auf Reisen durch ganz Europa gehen. Diese sind dann eben zwar vielleicht nur auf der Durchreise, doch angesichts ihres Potenzials dürfte es sich lohnen, auch für diese Klientel eine geeignete Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Wie man dies tut, ist ebenfalls im Rahmen dieses Specials in den nachfolgenden Artikeln zu Themen «Stellplätze» sowie «TCSCampingplätze» nachzulesen.
Für Experten wie SCGV-Vizepräsident Reto Ruchti hat die Schweiz in diesem Bereich noch Nachholbedarf. «Auf deutscher Bodensee-Seite macht uns Oberschwaben-Tourismus vor, wie man die zahlungskräftigen Wohnmobilgäste in die Region lockt», erklärt Ruchti. Davon würden dann auch Campingplätze sowie touristische Attraktionen und Angebote aller Art von Museen, über die Schifffahrt bis hin zu Restaurants oder Bauern mit Hofladen profitieren. Ruchti wundert sich deshalb darüber, «dass dieses Potenzial in der Schweiz nicht erkannt wird». Möglicherweise wird ja der eindrückliche Trend bei der Verbreitung des Wohnmobils in der Schweiz hier etwas bewirken. Warten wir’s ab.
EINE WICHTIGE TOURISMUSFORM
Laut Caravaningsuisse ist die Zahl der Wohnwagen in der Schweiz zwar stabil, doch bei den Reisemobilen gibt es einen klaren Vorwärtstrend. So hat ihre Anzahl nun die Grenze von 50 000 Stück geknackt.