EDITORIAL: WENN MAN DAS ALTER SIEHT

Patina? Neue Teigwaren? Vielleicht ein Brotaufstrich? Oder irgend so ein eingedeutschter Slang-Ausdruck für «Patience», sprich Geduld? — Nein, nichts von alledem trifft zu.
Wie wir im Klassik-Teil im dritten Bund dieser Zeitung von einschlägigen Experten aus Deutschland im Artikel «Pakt mit der Vergänglichkeit» ab Seite 32 erklärt erhalten, bezeichnet Patina «Veränderungen der Materialien durch Alterungsprozesse sowie durch Gebrauch oder Umwelteinflüsse». Ferner stehe dieser Begriff «über die Verfallssymptome einzelner Werkstoffe hinaus im weitesten Sinne noch für das Altern komplexer Materialgebilde». Aha, da haben wir es: Es geht also um das Altern, den Gebrauch und die Veränderungen infolge des Gebrauchs bzw. durch Umwelteinflüsse. Oder ganz vereinfacht und völlig unwissenschaftlich ausgedrückt: Man sieht durch die Patina, dass etwas nicht mehr neu ist. Es gibt Gebrauchsspuren – Schmutz und Staub haben sich niedergelassen. So wie eben bei einem alten Auto. Nun ist es bekanntlich faszinierend, wie kontrovers offenbar dieses eigentlich völlig unmissverständliche Thema diskutiert wird. Dabei stellt sich immer wieder dieselbe Frage: Wo beginnt die Patina? Oder wohl noch brisanter: Wo endet sie? Wo ist diese ominöse Grenze zwischen Patina und dem offensichtlichen Zerfall?
Es gibt in der Geschichte — vor allem in der jüngeren und im Zusammenhang mit Auktionen — genügend Beispiele, wo man Unsummen für komplett unfahrbare und sich in einem erbärmlichen Zustand befindliche Objekte bezahl­te. Quelle dieser Fahrzeuge sind immer wieder die legendären Scheunenfunde, wo vielleicht ein Leintuch, in einem mehrbesseren Bretterverschlag mit marodem Dach, eine Nobelkarosse während Jahrzehnten vor dem Schlimmsten bewahrt hatte. Erinnert sei an dieser Stelle etwa an den legendären Ferrari 250 GT SWB California Spyder von 1961, der 2015 für 14.2 Millionen Euro bei einer Auktion in Paris versteigert worden war. Dabei war dieses einst gewiss schmucke Cabrio in einem ziemlich desolaten Zustand. Aber natürlich bezahlte niemand diese Summe für «Schrott». Dieser Ferrari war zum einen nur 37 Mal gebaut worden, zum anderen gehörte er einst keinem Geringeren als dem französischen Filmstar Alain Delon. Wie es diesem Auto heute geht, ist leider dem Schreibenden nicht bekannt. Besser geht es aber sicher jenem BMW 507, den einst Elvis Presley besass und der nun Gegenstand des Patina-Artikels ist.
Doch wurde nun eben die historische Substanz vernichtet oder das Auto vor dem Untergang gerettet? Ein Wagen, der eine solche mögliche Entwicklung noch vor sich hat, ist jener Aston Martin DB Team Car von 1949, der im Juni dieses Jahres an der Bonhams-Auktion beim Festival of Speed in Goodwood als Los 241 für 679 100 britische Pfund versteigert worden war. Und weshalb bezahlte man für einen solchen Wagen mit offensichtlich «sehr viel Patina» (s. Bild) so viel Geld? Das Auto ist selten und hat eine Rennvergangenheit (v.a. Le Mans). Da nimmt man ein paar Spinnweben und nicht wenige Schäden gerne in Kauf. Doch ist der Wagen nach einer allfälligen Generalkur noch derselbe? Man wird sehen.


INHALT
AR 36/2016

TITELTHEMA
Garage Italia Customs: Automobile Künstler aus Mailand
Alfa Romeo 4C: Besuch im Werk in Maranello

NEUHEITEN
Mercedes-AMG GLC 43
Škoda Kodiaq

TESTS UND FAHRBERICHTE
Toyota Proace Fahrbericht
Alfa Romeo 4C Spider Test
Ford Fiesta ST200 Fahrbericht

DRIVE STYLE
John Gretener

SPORT
Formel 1 Sieg von Rosberg
Slalom SM-Lauf Genf
WEC Jani weiter auf Kurs

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