Die Erfolgsgeschichte geht auf den Genfer Automobil-Salon 2006 zurück. Die «Automobil Revue» präsentierte den Courage-Judd des Teams Swiss-Spirit und stellte als Fahrer neben dem Genfer Harold Primat auch das Riesentalent aus der DTM vor, Marcel Fässler. Sein Debüt im Langstrecken-Rennsport übertraf alle Erwartungen: eine Po- le Position, zwei zweite Plätze in Spa und Jarama, ein bis zum Ausfall vielversprechender erster Einsatz in Le Mans. Fässlers Talent brachte ihn ins offzielle Team Corvette und führte schliesslich 2010 zum Werksvertrag bei Audi. Hier verbuchte er drei Siege in Le Mans, einen Weltmeistertitel und einen bei den 12 Stunden von Sebring, die er zu seinen fantastischen Resultaten bei den 6-Stunden-Rennen hinzufügen konnte. Kurz nach seinem Sieg in Daytona auf Corvette und nur wenige Tage vor dem Prolog in Le Castellet spricht der Audi-Werkspilot und Schweizer Langstreckenkönig Marcel Fässler in Genf über den Autosalon, seine Gefühle hinsichtlich der bevorstehenden Saison und die kommenden Herausforderungen.
Marcel Fässler, haben Sie eine spezielle Beziehung zum Genfer Automobilsalon?
Nein, eigentlich nicht – ich bin erst seit Ende der 90er-Jahre regelmaässig in Genf und treffe mich immer mit Freunden und Rennfahrerkollegen aus der Westschweiz wie etwa Sébastien Buemi, die eine mehr oder weniger prägende Rolle in meiner Rennfahrerkarriere spielten.
Wie muss man sich so ein Treffen vorstellen?
Wir gehen zusammen essen – das haben wir auch dieses Jahr getan.
Als Audi-Werksfahrer sind Sie quasi in offzieller Mission in Genf – gibt es ein Auto, das Sie sofort mitnähmen, wenn Sie freie Wahl hätten?
Abgesehen vom Audi-Stand habe ich nicht wirklich viel gesehen vom Salon, das muss ich zugeben. Und wenn ich ehrlich bin, bin ich nicht so sehr fanatisch daran interessiert, was sich bei welcher Marke punkto Modell und Features und Details alles von einem aufs nächste Jahr wieder verändert hat. Ich interessiere mich viel mehr für die Rennautos.
Kommen wir zur Rennsaison. Sind Sie deshalb mit Corvette in Daytona gefahren, weil Ihnen der Winter zu lang wurde?
Ich kann nicht sagen, dass der Winter zu lang war. Als sich die Gelegenheit bot, mit dem Team Corvette an den 24 Stunden von Daytona mitzumachen, konnte ich nicht wiederstehen. Ich habe mit meinem Chef Dr. Ullrich von Audi darüber gesprochen, und als er mir grünes Licht gab, zögerte ich nicht. Ich freute mich auf Daytona, das ich noch nicht kannte, und auf das Rennen, das mich schon lange gereizt hat. Ich wusste, dass ich mit Tommy Millner und Oliver Gavin gute Chancen auf den Klassensieg habe, und so sagte ich zu.
Sie fuhren früher schon 24-Stunden- Rennen mit Corvette …
Ja, 2007 habe ich die 24 Stunden von Spa mit einer Corvette des Teams Phoenix gewonnen. Ich fuhr auch 2008 FIA GT mit ihnen, und wir verpassten den Sieg in Le Mans 2009 nur knapp. 2010 unterzeichnete ich dann den Werksvertrag mit Audi.
Welchen Eindruck hat Daytona bei Ihnen hinterlassen?
Es ist eine tolle Erinnerung. Ich fuhr vorher noch nie auf der legendären Strecke. Die Show, diese typische amerikanische Atmosphäre – das bleibt mir sicher in Erinnerung.
Und vom Rennen?
Es war eine grosse Freude, mit dem Team und mit den anderen Fahrern zusammen zu sein. Die Situation war während der ganzen 24 Stunden sehr angespannt. Während jedes Stints kämpfte ich mit mehreren Konkurrenten, es gab keine «Verschnaufer», denn die Safety- Car-Phasen verdichteten das Feld immer wieder.
Und dann das verrückte Finish …
Ja, zwischen den beiden Corvette. Mein Teamkollege Oliver Gavin lieferte sich mit Antonio Garcia 20 Minuten lang ein wildes Duell, mit dauernden Führungswechseln. Wahnsinnig. Ich konnte nicht mehr auf den Bildschirm schauen. Das erinnerte mich an 2011, als André Lotterer bei den 24 Stunden von Le Mans mit den Peugeot kämpfte, bis er schliesslich den Sieg heimfuhr. Auch dieses Mal war das toll und umso schöner, wenn man so ein Rennen dann gewinnt.
Sie werden noch mehr Rennen mit Corvette fahren.
Ich habe das Okay von Audi für ein weiteres Rennen. Ich werde am 19. März an den 12 Stunden von Sebring teilnehmen. Für das «Petit Le Mans» auf der Strecke von Road Atlanta in Georgia ist noch nichts entschieden. Ich fliege für das Rennen in Sebring nach Florida, aber danach werde ich mich zu 100 Prozent auf die WEC und auf Le Mans mit Audi konzentrieren.
Was können Sie uns zum neuen Audi R18 und zu den Tests im Winter sagen?
Ich bin nach den Testfahrten in Sebring und Bahrain sehr optimistisch. Ich glaube, dass wir mit dem neuen Audi R18 die Porsche und die Toyota herausfordern können – das ist unser Ziel. Der Wagen ist völlig neu, wir haben jetzt eine Hybridleistung und kommen damit auf über sechs Megajoules, und die Entwicklungsingenieure haben vor allem enorm viel an der Aerodynamik gearbeitet. Die ist radikal, ganz kompromisslos. So etwas gab es noch nie.
Das klingt, als ob Audi die Krone erobern könnte?
Wir haben noch viel Arbeit vor uns, aber ich bin zuversichtlich, dass der Wagen mit der Konkurrenz auf Augenhöhe ist. Natürlich wissen wir nicht, was die Konkurrenz von Porsche und Toyota macht. Um zu wissen, wo wir stehen, müssen wir den Prolog in Le Castellet vom 25. und 26. März abwarten. Danach werden wir uns ein besseres Bild machen können.
Sie sind seit dem Beginn der WEC dabei. Wie hat sich die Serie entwickelt?
Was die Reglemente angeht, war die Umstellung auf die Hybridwagen ein grosser Umbruch. Das sind äusserst hochentwickelte, komplexe Rennautos. Jeder Hersteller setzt eine etwas andere Technologie ein, aber die Leistungen sind ausgewogen, was zu spannenderen Rennen führt. Das wiederum gefällt dem Publikum und steigert auch das Interesse der Medien.
Die Zuschauerzahlen nehmen eindeutig zu …
Bei jedem Rennen haben wir mehr; am Nürburgring waren es glaube ich 65 000 Besucher. Und auch in Le Mans kommen jedes Jahr mehr.
Sie starten in Ihre zehnte Langstreckensaison. Sie haben schon alles gewonnen, auch den Meistertitel. Was motiviert Sie noch?
Die Jahre vergehen, die Motivation bleibt. Es gibt sicher Momente, da ist es etwas schwieriger, weil vielleicht nicht alles so gut geklappt hat wie man wollte. Aber ich will immer noch gewinnen. Ich mag kaum warten, bis die Saison mit dem neuen Wagen losgeht. Ich bin da wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bekommen hat. Wenn man nicht dauernd im Auto sitzt, dann vermisst man das sehr schnell.
Bereiten Sie sich anders vor als früher?
Ich verbringe etwas Zeit im Simulator, um mich vorzubereiten und mir so die Zeit bis zu den nächsten Einsätzen am Lenkrad zu vertreiben.
Wie sehen Ihre Ziele für 2016 aus?
Letztes Jahr waren wir ganz nahe daran, in Le Mans zu gewinnen und haben es dann um Haaresbreite nicht geschafft. Auch am WM-Titel sind wir nur hauchdünn vorbeigeschrammt. Das war sehr enttäuschend, motiviert aber umso mehr, es in dieser Saison besser zu machen.