Es war ein typischer, also nicht so schöner November-Abend. Daniel Iseli sass allein in seiner Halle in der Ostschweiz, er hatte den ganzen Tag an und mit seinen damals rund 150 Klassikern gearbeitet, Papierkram erledigt, Rechnungen bezahlt, Geschichten recherchiert, Kleinigkeiten gerichtet, sich gefreut, sich geärgert. Und plötzlich, so erzählt er, hatte er den Blues. Es war ihm alles zu viel. Zu viele Autos, zu viel Aufwand. Und zu wenig Zeit, jedem einzelnen seiner Fahrzeuge die Liebe angedeihen zu lassen, die es verdient hätte.
Listen schreiben
Daniel Iseli liebt seine Autos. Er kann von jedem einzelnen eine Geschichte erzählen. Er kennt nicht bloss den technischen Hintergrund, er weiss nicht nur, wann und wo und für welches Geld er es gekauft hat – er kennt auch die Anekdoten aus dem Leben aller Wagen aus seiner Sammlung. Jene von der Ambulanz des Helikopterherstellers Agusta auf Basis des Fiat 600 Multipla, nur wenige Kilometer, lange gestanden, aussen und technisch renovationsbedürftig, aber innen wunderbar, die ganze Ausrüstung mit Bahre und medizinischem Gerät noch fast wie neu, bestens gepflegt. Der VW Golf GTI, allererste Serie, noch mit den Stahlstossstangen, komplett originaler Erst-Lack, «das gibt es fast gar nicht mehr, ein solches Exemplar findet man kaum noch». Iseli muss es wissen, er beschäftigt Späher, die für ihn ganz spezielle Autos suchen – und anscheinend auch finden.
So sass Iseli also in seiner Halle und fasste den Entschluss: Befreiungsschlag. Bis Weihnachten war die Entscheidung gereift: 40 Autos würde er behalten. Er begann Listen zu schreiben, welche Autos weg sollten. Und neue Listen, andere Listen. Irgendwann war er so weit, machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Partner für den Verkauf: «Sicher, ich hätte das auch selber machen können, jedes Auto einzeln verkaufen. Aber der Aufwand wäre gigantisch gewesen. Und ich wollte ja nicht mehr, sondern weniger Arbeit.» Die Wahl fiel ihm nicht leicht, irgendwann entschied sich Daniel Iseli für RM Sotheby’s. 90 Autos und Motorräder, die alle an einem Tag versteigert werden sollen. 15. September 2023 in St. Moritz GR.
Onkel Willy
Der Aufwand war dann doch gross. Die Spezialisten von RM Sotheby’s kamen in die Ostschweiz, begutachteten jedes Fahrzeug, alles wurde akribisch aufgenommen, auch fotografiert. Doch Iseli hatte ja zu jedem Fahrzeug einen Bundesordner. Und er kennt alle Geschichten, auswendig. Da musste er durch, alles erzählen. Das sei bei manchen Exemplaren ein schwieriger Moment gewesen, bei einem Mercedes, der der Mutter eines Schulkollegen gehört hatte, bei einem Bus, mit dem er so viele Reisen unternommen hatte, ach, eigentlich bei jedem Auto, denn er hatte zu allen eine Beziehung.
Iseli spürte schon immer diese Liebe zu den Automobilen, schon als ganz kleines Kind. Das erste Wort, das er sprach, soll tatsächlich «Auto» gewesen sein. Aber er wuchs auch in der richtigen Umgebung auf, sein Vater liebte Sportwagen und importierte Jahr für Jahr einen neuen Amerikaner, er durfte mit Onkel Willy (Daetwyler) in diversen Ferrari auf Spritztouren, seine Mutter fuhr Porsche. Er verbrachte jede freie Minute in der Garage seiner Eltern, er lernte die AUTOMOBIL REVUE auswendig, die Schule war nicht so wichtig.
Die Liebesgeschichte
Sein erstes Auto kaufte Daniel Iseli mit 16, vor mehr als 50 Jahren, einen VW Käfer für 300 Franken. Er richtete ihn etwas her, konnte ihn kurz darauf für 900 Franken wieder verkaufen. Der Käufer schrieb ihm Postkarten von einer Reise mit dem Volkswagen durch Afrika, problemfrei. Es folgte ein MG Midget, gleiches Spiel. Und bald schon ein Mercedes 190 SL, den er komplett restaurieren liess. Das war auch der Beginn einer grossen Liebesgeschichte, Mercedes war immer schon seine Marke, ist es noch – zeitweise besass er mehr als 50 Stück. Einige davon gibt er jetzt schweren Herzens zur Versteigerung, doch es werden ihm noch so einige bleiben. 300 SL, klar, Roadster, Flügeltürer, das ist nicht nur für Iseli der Gipfel.
Wir gehen mit dem Sammler durch seine Halle. Er weiss tatsächlich zu jedem Auto etwas zu sagen, weist auf die Sitze in 300-SL-Karo im Mercedes L319 Pick-up hin, auf die seltene Farbe eines Alfa Romeo. Es sind viele Alfa Romeo, das erstaunt doch ein wenig bei einem Mercedes-Fan. «Ach, manchmal hätte ich mir gewünscht, dass die Mercedes auch einen fünften Gang hätten, vielleicht etwas besser motorisiert gewesen wären», sagt er mit einem Lächeln. Er mag auch Fiat, er hat sehr schöne Stücke, manches davon wäre nie gerettet worden, wenn nicht Iseli es gekauft hätte. Und hätte aufbereiten lassen, sodass es auch die MFK schafft. So ziemlich alle Fahrzeuge aus seiner Sammlung sind geprüft, eingelöst, man kann sie kaufen in St. Moritz und allenfalls damit nach Hause fahren. Das ist sein Anspruch, lauwarme oder halbe Sachen sind nicht so seins.
Und jetzt?
«Bereuen Sie ihren Schritt, Herr Iseli?», wagen wir zu fragen. Daniel Iseli, ein grosser, stattlicher Mann mit grossem Selbstbewusstsein, schaut in seine Halle. Er spricht für ein paar Sekunden nicht, ringt nach Worten. «Ja, da ist schon viel Wehmut», sagt er dann, ganz ruhig. Dann richtet er sich auf: «Aber ja, es ist auch eine Befreiung».
Informationen zur Versteigerung
Die Iseli Collection wird am 15. September 2023 von RM Sotheby’s in St. Moritz versteigert. Alle Fahrzeuge aus dieser Sammlung kommen als No-reserve unter den Hammer. Die Auktion findet im Grand Hotel des Bains Kempinski statt. Preview: Donnerstag, 14. September, 10–19 Uhr, Freitag, 15. September, ab 10 Uhr. Die eigentliche Versteigerung beginnt um 13.30 Uhr. Registrierung auf www.rmsothebys.com