Es ist Montag, wir feiern Jubiläen. Heute mit dem Volvo P1800 S, der vor 60 Jahren af dem Markt kam.
- Ab 1963 als «S» in Schweden gebaut
- Hergestellt bis 1973
- Der «Schneewittchensarg» als Kult-Modell
Er sah aus wie ein mondäner Renner aus Maranello oder Modena und sprengte damit alle Regeln des sonst so sozialverträglich minimalistischen und funktionalen skandinavischen Designs: Aber genau diese Disruption liess den Anfang 1960 präsentierten Volvo P1800 zum ersten coolen Schweden für die globale Sportcoupé-Community avancieren. Nachwuchsdesigner Pelle Petterson, damals Mitarbeiter bei der legendären italienischen Carrozzeria Pietro Frua, hatte den technisch bodenständigen Vierzylinder-Volvo Ende der 1950er in spektakulär-schnellen Linien inklusive zeitgeistiger Heckfinnen gezeichnet. Für Volvo Anlass, den nur 66 kW/90 PS starken Gran Turismo als «Downsizing- oder Gusseisen-Ferrari» zu bewerben, sollte der schöne Schwede doch fehlendes Temperament durch eine bereits damals legendäre Langlebigkeit der Volvo-Technik kompensieren.
Dann das Desaster: Aus Kostengründen liessen die Göteborger den P1800 bei Jensen bauen, aber der englische Sportwagenspezialist liess es an Feinschliff fehlen, alle Autos mussten aufwendig nachgebessert werden. Deshalb startete das Sportcoupé erst im Sommer vor 60 Jahren in sein zweites, langes Leben: als Volvo 1800 S, mit einem «S» für schwedische Qualität. Mit dem Traumwagen-Style der schnelllebigen 1950er noch die Avantgarde der 1970er aufmischen: Der Volvo 1800 S mutierte zum Kultsportwagen und als sensationeller «Schneewittchensarg» 1800 ES ab 1971 zum Shooting Brake.
Der Schritt vom Dreamcar für Märchenprinzessinnen mit damals einzigartig grosser gläserner Heckklappe zum Mythos der schwedischen Designgeschichte war nun vorgezeichnet. Auch nachdem im Sommer 1973 der letzte von 8077 gebauten Volvo 1800 ES aus dem Werk Lundby gerollt war, galt der exklusive Sportkombi als globales Vorbild für die Shooting Brake. So adaptierte 1975 der Lancia Beta HPE die Idee des schwedischen Lifestylemodells, und Lotus Elite II oder später Lynx (Jaguar) Eventer folgten dem Trend. Zehn Jahre später war es der Volvo 480 ES, der das Designkonzept des 1800 ES zitierte: Mit ebenfalls rahmenloser gläserner Heckluke revitalisierte dieser erste Volvo-Fronttriebler die Idee des extravaganten Sportkombis. Im Jahr 2006 lag es am kleinen Volvo C30, die grosse nordische Shootingbrake-Tradition in ein frisches Format zu verpacken.
Noch weiter gingen drei Volvo Concept-Cars aus den Jahren 2013/2014, die sowohl den 1800 S als auch den 1800 ES zitierten: «Die Volvo 1800er Modelle sind echte Ikonen, bekannt für ihre wunderschönen Formen und Details. Wir nutzen diese feinen Reminiszenzen an unsere glorreiche Vergangenheit, um eine Zukunft zu kreieren, in der klare Schönheit zu einem anerkannten Teil der Volvo-Identität wird», führte der damalige Volvo-Designchef Thomas Ingenlath aus. Was er damit meinte, zeigte Ingenlath 2017 als neu ernannter Polestar-Chef mit dem Polestar 1, dem ersten eigenständigen Modell der schwedischen Elektromarke. Der Polestar 1 transferierte die Konturen der Concept Cars und damit des 1800 S in die Gegenwart.
Auch Volvo lässt den Spirit des 1800 bis heute weiterleben: Robin Page, im Jahr 2021 Designchef bei Volvo, erläuterte damals, dass der bis heute angebotene Elektro-Crossover C40 ebenfalls Bezug nimmt auf das Coupé-Profil des 1800 S. Angeblich sollen sogar Designcharakteristika des für Volvo ikonischen 1800 im neusten SUV-Entwurf der Schweden erkennbar sein, zeigt sich der Volvo EX30 doch wie sein legendärer Vorfahre mit grossen Rädern, relativ viel Radstand und fast gleich langen Überhängen vorn wie hinten zugunsten ausgewogener Proportionen.
Zurück in die Swinging Sixties, jenem tempohungrigen Jahrzehnt, in dem Jets und Raketen den Himmel und Weltraum eroberten und erstmals Muscle Cars sowie starke Sportwagen in grosser Auflage ihr Gummi in den Asphalt brannten. Genau daran wollte Volvo mit dem 1800 S partizipieren, entlockte seinem nun in Göteborg gebauten Gran Turismo sechs zusätzliche Pferdestärken, auf dass sich dieser mit 71 kW/96 PS ebenso agil gab wie ein Porsche 356 oder Alfa Giulia Sprint. Dieser schnellen Versuchung konnte der angehende schwedische König Carl XVI Gustaf nicht widerstehen: Sobald er 18 Jahre alt war, kaufte der schwedische Thronfolger einen Volvo 1800 S, auf den im Lauf der Jahre weitere 1800 S und ES folgten. Auch Hollywoodstar Roger Moore wurde privat ein Fan des flotten Coupés mit (optional) feinstem Connolly-Leder, nachdem er in 118 Episoden der TV-Serie «Simon Templar – The Saint» mit einem weissen 1800 S erfolgreich Ganoven gejagt hatte. Vielleicht ist es gar nicht so überraschend, dass Roger Moore in seiner späteren Rolle als James Bond keinen Wert auf Aston-Martin-Dienstwagen legte.
Bei Aston Martin wiederum waren sie beeindruckt vom Potential des Volvo Sportscars, testeten den 1800 sogar mit einem 2,5-Liter-Vierzylinder, der fulminante 110 kW/150 PS freisetzte. Ambitionen zur Serienfertigung in Kooperation mit Volvo zeigten die Briten jedoch nicht, anders als Facel Vega. Das französische Luxuslabel vertraute beim Modell Facellia auf die zuverlässigen B18B-Vierzylinder, die sich im 1800 S weltweit bewährten. So gewann der Volvo im südlichen Afrika den Ruf eines fast unzerstörbaren Bushracers, während der Amerikaner Irv Gordon das Knacken der Drei-Millionen-Meilen-Marke (4,8 Millionen Kilometer) in einem roten 1800 S mit einem Eintrag ins «Guinness Book of Records» feierte. «In Schweden leben Volvos und Menschen länger», lautete eine Volvo-Werbung aus den 1960ern, die speziell die Amerikaner faszinierte. Ein Volvo 1800 kannte keine «Planned Obsolence» durch rasche Designwechsel, wie sie Detroiter Produkte kennzeichneten.
Kleine Aktualisierungen wie modifizierte Kühlergrills, die Einführung eines 2,0-Liter-Vierzylinders (B20B) im Jahr 1968 und eine Benzineinspritzung im Folgejahr genügten, um den Sportler attraktiv zu halten. Als schliesslich doch tiefgreifende Eingriffe erforderlich waren, verwandelte sich das Coupé 1971 in den Shooting Brake 1800 ES, der trotz hoher Preise vor allem bei US-Kunden verfing. Hinter seiner riesigen, rahmenlosen Glasklappe mit glänzendem Griff fand sich Platz für die feine Golfausrüstung, die hier wie in einer Vitrine zur Schau gestellt wurde. Für diesen «Flying Trunk» (Fliegenden Kofferraum) zahlten die Amis bereitwillig mehr Geld als für einen Porsche 911. 25’800 Franken verlangte Volvo in der Schweiz 1972 für die gläserne Lichtgestalt, die schon während ihrer zweijährigen Bauzeit als «Schneewittchensarg» Kultstatus erreichte. (SP-X/AR)
In der monatlich erscheinenden Klassik-Beilage der AUTOMOBIL REVUE finden Sie immer schöne Old- und Youngtimer. Abos gibt es: hier. Ansonsten entsteht hier eine Reihe mit den Jubiläen von 2023, da haben wir eine Liste mit diesen schönen Geburtstag-Stories erstellt: hier.