Anfang der 60er Jahre war klar, dass die Ferrari-250-GT-Reihe an die Grenzen der Weiterentwicklung stiess. Der Ferrari 275 GTB war dann ein grosser Schritt vorwärts.
- Gebaut von 1964 bis 1968
- Ca. 860 Exemplare gebaut
- Mit Einzelradaufhängung
Zwar haben wir noch nicht alle Ferrari 250 durch, doch wir müssen uns ja langsam um den Nachfolger kümmern. Wobei: Eigentlich folgten die Ferrari der 275er-Reihe nicht direkt auf die 250er, da gab es ab 1963 zuerst noch die verschiedenen Ferrari 330 mit dem Vierliter-V12 (die beschreiben wir dann auch noch, irgendwann). Diese Fahrzeuge waren zwar schön und auch schnell, echte Gran Turismo, doch sie hatten zwei entscheidenden Nachteile: sie waren zu schwer – und sie verfügten weiterhin über die nicht mehr wirklich zeitgemässe Starrachse. Ferrari verstand schnell, dass man sich mit dem 330 in die falsche Richtung entwickelte. Zwar hatte man viel Geld investiert in die Entwicklung der neuen 4-Liter-Maschine (Tipo 209), die in ihrer Grundkonstruktion zwar noch auf dem legendären Colombo-V12 basierte, doch auch mindestens 25 Kilo mehr wog.
Auf den ersten Blick könnten die 1964 vorgestellten Ferrari 275 GTB und GTS also als ein Rückschritt betrachtet werden, denn sie erhielten noch eine letzte Aufarbeitung der Colombo-Maschine. Der Hubraum wurde auf 3286 cm3 erhöht (Bohrung x Hub 77 x 58,8 mm), in einer ersten Version (Tipo 213) gab es eine Nasssumpfschmierung, ein Ein- und ein Auslassventil pro Zylinder, pro Zylinderreihe eine obenliegende Nockenwelle, die über Ketten angetrieben wurde. Bei einer Verdichtung von 9,2:1 und drei Weber-Doppelvergasern (40 DCZ/6) betrug die Leistung 280 PS bei 7600/min. Auf Wunsch gab es auch gleich sechs dieser Doppelvergaser, die Leistung stieg dann auf 300 PS.
Das Chassis (Code 563) basierte grundsätzlich auf jenem des Ferrari 250 GT SWB, hatte den gleichen Radstand von 2,4 Metern und war ein schlichter Leiterrahmen aus ovalen und rechteckigen Rohren. Doch im Gegensatz zu allen früheren Strassen-Modellen von Ferrari erhielten die 275 GTB/GTS endlich eine Einzelradaufhängung rundum (doppelte Dreieckquerlenker, Schraubenfedern, hydraulische Teleskopdämpfer, Stabis). Es gab zudem rundum Scheibenbremsen. Ganz neu war auch die Hinterachseinheit, die das Getriebe und das Differential trug – klassische Transaxle-Bauweise also. Endlich hatte der Ferrari ein Fahrverhalten, wie es sich einem Ferrari eigentlich schon Jahre vorher gebührt hätte.
Das Design des Ferrari 275 GTB (um die GTS kümmern wir uns später) stammte selbstverständlich von Pininfarina. Auch wenn man ein Betrachter ganz viel 250 GTO und 250 GT/Lusso in diesem Entwurf sehen will: Wir sehen ihn als sehr eigenständig, die Motorhaube war viel länger, das abfallende Heck sehr harmonisch gestaltet – eine wunderbare Mischung zwischen Eleganz und Aggressivität.
Eine erste Serie hat eine relativ kurze Nase, sie werden deshalb als «Short Nose» bezeichnet (wir zeigen hier ein solches Exemplar, Chassisnummer #06681); schon 1965 besserte Pininfarina aber nach, denn die Kurznasen neigten bei höheren Geschwindigkeiten dazu, dass die Vorderachse ein wenig die Kontakt zur Strasse vermissen liess (dieses Problem hatte der Lamborghini Miura über seine ganze Bauzeit). Mit der «Long Nose» wurde das deutlich besser. Und höhere Geschwindigkeiten waren wirklich kein Problem, so ein 275 GTB ging gut über 260 km/h.
Das mit den Zahlen ist wie immer bei Ferrari: problematisch. Es sollen irgendwo zwischen 204 und 236 «Short Nose» entstanden sein, die alle bei Scaglietti hergestellt wurden. Und davon sollen auch noch etwa 70 Stück eine Alu-Karosserie haben (bei den normalen 275 GTB waren nur Türen und Hauben aus Alu). Die Preise für alle 275 GTB hatten schon vor Jahren angezogen, steigen nur noch langsam, aber weiterhin anständig. Doch das ist irgendwie verständlich, die 275er sind die letzten wirklich klassischen Ferrari, atemberaubendes Design, Colombo-V12, anständiges Fahrverhalten. Da kann man gewisse Begehrlichkeiten durchaus verstehen – ein paar der raren Versionen und weiteren Entwicklungen stellen wir dann auch noch vor.
In der monatlich erscheinenden Klassik-Beilage der AUTOMOBIL REVUE finden Sie immer schöne Old- und Youngtimer. Abos gibt es: hier. Ansonsten entsteht hier eine sonntägliche Reihe von Ferrari, da haben wir eine Liste mit diesen schönen Geschichten erstellt, zu bewundern: hier.