Die Baureihe R230 der Mercedes SL geht gerne vergessen. Das hat dann wieder Vorteile.
- Gebaut von 2001 bis 2011
- 169’434 Exemplare produziert
- Heute erfreulich günstig
Man muss nicht verstehen wollen, weshalb der R230 unter allen SL-Baureihen von Mercedes die am wenigsten geliebte ist. Eingeführt im Oktober 2001, gehört sie zu den letzten «wahren» Mercedes-Benz, wurde noch unter Hochhaltung und Hochachtung aller Regeln deutscher Ingenieurskunst entwickelt und dann auch so gebaut. Und auch wenn beim Design schon viel Hilfe von Computern dabei war: die fünfte SL-Generation ist noch ein echter Sacco. Ob es sein Meisterwerk war, darüber kann man sicher geteilter Meinung sein.
Einst traten die Stuttgarter ja noch an mit dem Anspruch, dass aus jedem Modell ein Klassiker werden soll. Damals, vor rund 20 Jahren, war der Benz ein grosses, schweres Trumm, das wurde ihm im Vergleich zu seinem Vorgänger R129 auch angekreidet. Heute wirkt er schon fast filigran, leichtfüssig, jedes Mittelklasse-SUV ist unterdessen länger als dieser Oberklasse-Roadster. 4,53 Meter sind es in der Länge. Und nur gerade 1,81 Meter in der Breite.
Innen hingegen ist wirklich viel Zeit vergangen. Das Holzfurnier wirkt wie aus einem schlechten 80er-Jahre-Film, es gibt noch sehr viel Schalter und Tasten und Kipphebel; nein, es ist nicht so, dass wir die modernen Touchscreens vermissen würden, aber in Sachen Ergonomie wurden schon eklatante Fortschritte erzielt in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Und was damals Aufpreis Multikontur-Komfortsitze hiess, mutet heute an wie der Kommando-Stuhl aus Raumschiff Enterprise. Was man aber sagen darf: Komfortabel sind die Dinger tatsächlich. Und wenn das Dach offen ist, fühlt man sich auf den 1,81 Metern Breite auch nicht eingeengt.
Und es fährt sich auch anständig. Unter der Haube arbeitet der bekannte 5-Liter-V8 (M113 E50 – das E steht für Saugrohreinspritzung), 306 PS, 460 Nm maximales Drehmoment zwischen 2700 und 4250/min, drei Ventile pro Zylinder. Offiziell soll sich der 500 SL in 6,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h wuchten lassen haben, das mag man heute gar nicht mehr glauben. Und auch nicht unbedingt versuchen. Die 5-Gang-Automatik schaltet behäbig, aber dafür sanft, doch wer den Benz zu heftig tritt, der erschreckt ihn in erster Linie. Er sucht dann nach einem passenden Gang, und bis er diesen gefunden hat, ist das Mütchen des Piloten meist schon wieder abgekühlt, die ganze Fuhre fährt entspannt so weiter wie zuvor. Schreiben wir es mal so: Vor 20 Jahren war das sicher top – heute ist das friedlich, entspannt.
So rollt man also gepflegt einher, lauscht dem Blubbern des Achtzylinders, denkt auch nicht an den nächsten Aufenthalt an der Tankstelle (vor 20 Jahren gehörten zweistellige Verbrauchswerte noch zum guten Ton), erfreut sich am komfortablen Fahrwerk. Das war damals das Sahnehäubchen, Active Body Control (ABC), inklusive Wankstabilsierung. Da gibt es auch heute nichts zu meckern, lockeres, auch durchaus flottes Gleiten kann der R230 immer noch auf sehr hohem Niveau. Fies den Berg hochknallen war sein Ding nie, das verhinderte schon die träge Automatik. Und mit den AMG-Versionen (SL 55 AMG ab 2001) war es auch nicht besser, sie waren viel zu kopflastig, da ging die Vorderachse oft erstaunliche Wege.
Fast 170’000 Stück wurden verkauft in seiner zehnjährigen Bauzeit, ein Sammlerstück wird der R230 auch deswegen nie werden. Und eben: geliebt wird er halt auch nicht. Deshalb sind auch gute, «scheckheftgepflegte» Exemplare heute für kleines Geld zu haben, so ab 15’000 Franken ist man dabei. Was kriegt man heute sonst für dieses Geld? Ok, einen neuen Dacia Sandero. Hier haben wir aber ein elektrisches Stahlfaltdach, Multikonturlederkomfortsitze, einen richtig feinen Achtzylinder, einen echten Sacco. Es spricht nichts dagegen.
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