Renault wagte es als erster Autohersteller, seine Lieferwagen zu elektrifizieren, und experimentierte schon sehr früh mit Elektroantrieben in seinen Kleintransportern. Ein erster Vorstoss in diesem Bereich geht mit einer elektrischen Version des Express auf das Jahr 1985 zurück. Anfang der 2000er-Jahre wurde der Renault Kangoo wiederbelebt, der in einer kleinen Serie unter der Bezeichnung Kangoo Electri’ Cité angeboten wurde. Aber erst 2011, mit dem Kangoo ZE, gelang Renault der Durchbruch in der Branche. Der Verkauf dieses Modells wurde vor allem von der französischen Post vorangetrieben und ermöglichte es dem Werk in Maubeuge, bis heute mehrere Zehntausend Kleintransporter zu bauen. Angesichts dieses Erfolgs entschied sich der französische Hersteller logischerweise, das Modell weiterzuführen. Aber ist dieses Auto noch schlauer als der Kangoo mit Verbrennungsmotor, ein Fahrzeug, das clever ist, wie die AR in der Ausgabe 49/2021 schrieb?
Die elektrische Version des Kangoo hat die gesamte Karosserie übernommen, Renault hat lediglich den Kühlergrill angepasst und die E-Tech-Badges an den Seitenwänden angebracht. Das Copy-Paste-Verfahren geht so weit, dass die Elektroversion sogar den Tankdeckel auf der rechten hinteren Seite wiederverwendet, er wurde lediglich versiegelt. Diese Raffinesse kostete die Testfahrer viel Zeit, denn an der Ladesäule war es unmöglich zu verstehen, warum sich die Klappe nicht öffnen liess. Die Entriegelungstasten auf dem Armaturenbrett oder dem Schlüssel wurden mehrfach gedrückt – ohne Erfolg. Nach Durchsicht des Bordbuchs wurde der Fehler erkannt: Der Ladeanschluss befindet sich im Kühlergrill hinter dem Frontlogo des Minivans. Wenn man es einmal weiss, macht man den Fehler nicht mehr …
280 Kilometer Reichweite
Unter der Karosserie ist die Geschichte die gleiche: Die E-Tech-Version übernimmt die Plattform der Verbrennervariante, nur dass Renault anstelle der Benzin- und Diesel-Verbrennungsmotoren eine 90 kW (122 PS) und 245 Nm starke, fremderregte Synchronmaschine, also ohne Permanentmagnete, eingebaut hat. Die Lithium-Ionen-Batterie im Boden des Fahrzeugs hat eine Bruttokapazität von 45 kWh. Das ist nicht sehr viel. Trotzdem reicht es für eine theoretische Reichweite von bis zu 285 Kilometern nach dem WLTP-Testverfahren. Das ist mehr als bei den direkten Konkurrenten des Kangoo, den Stellantis-Drillingen Opel Combo E-Life, Peugeot E-Rifter und Citroën Ë-Berlingo.
Auf der standardisierten AR-Normrunde konnte der Kangoo seinen theoretischen Wert reproduzieren, indem er (im Sommer) eine Strecke von 280 Kilometern mit einer einzigen Ladung zurücklegte. Das ist für die meisten täglichen Fahrten ausreichend, für längere Fahrten, etwa in die Ferien, jedoch nicht geeignet. Es sei denn, Sie sind geduldig und haben keine Angst, am 1. August nach einer freien Ladesäule zu suchen. Zum Laden braucht es Geduld, wenn man sich für die Serienausstattung entscheidet. Der Kangoo hat dann nämlich keinen Gleichstromlader (DC) an Bord, sondern lädt nur mit 11 kW Wechselstrom (AC). Empfehlenswert ist deshalb die Modellvariante 22 kW DC 80 kW, die mit 1500 Franken Aufpreis angeschrieben ist. Sie lädt an AC-Säulen in rund zweieinhalb Stunden die Batterie wieder komplett auf, an DC-Ladesäulen fliesst der Strom mit 80 kW Leistung, und die leere Batterie ist nach knapp eineinhalb Stunden wieder voll.
Der Verbrauch des Kangoo lag am Ende der AR-Normrunde bei 16.0 kWh/100 km. Durch den Fahrmodus Eco lässt sich der Verbrauch noch geringfügig senken. Der Modus begrenzt die Leistung auf 56 kW (75 PS) und die Höchstgeschwindigkeit auf 110 km/h, sonst wird bei 135 km/h abgeregelt. Das Fahrzeug bietet serienmässig eine Wärmepumpe, die im Winter Batteriekapazität spart, sowie optional beheizbare Sitze, ein beheizbares Lenkrad und eine beheizbare Windschutzscheibe.
Auf der Strasse glänzt der Kangoo vor allem durch seine Laufruhe. Das gilt natürlich nur, wenn man nicht zu schnell fährt, da durch den eher mässigen cW-Wert sonst unangenehme Windgeräusche in den Innenraum dringen. Da es kein mehrstufiges Getriebe gibt, ist die Beschleunigung linear. Die AR-Messungen ergaben für den Sprint von 0 auf 100 km/h eine Zeit von 12.2 Sekunden. Sportlich ist aber auch nicht die Kernkompetenz des Kangoo. Er wurde nicht dafür konzipiert, mit Vollgas gefahren zu werden, was sich in seiner schlechten Traktion vor allem bei wechselnden Fahrbahnoberflächen widerspiegelt. Aber auch bei höherem Tempo bleibt der Kangoo dank seiner Fahrhilfen immer gut beherrschbar. Apropos Assistenzsysteme: Geschwindigkeitsregler, Totwinkelwarner, Rückfahrkamera und Einparkhilfe hinten, vorne und seitlich sind nur als Option erhältlich.
Im Allgemeinen vermittelt der Renault-Lieferwagen durch sein untersteuerndes Verhalten ein beruhigendes Gefühl. Die Lenkung ist präzise und gut abgestimmt, die Federung ist korrekt, und der elektrische Van hat in Kurven eine kontrollierte Wankneigung – trotz des Mehrgewichts von 200 Kilogramm im Vergleich zu den Versionen mit Verbrennungsmotor (AR-Messung 1860 kg). Das ist der steiferen Aufhängung zu verdanken, die aber andererseits auf Kosten des Komfort geht, was nicht weiter tragisch ist. Das regenerative Bremsen kann über den Schalthebel gesteuert werden, der drei Modi für Energierückgewinnung bietet: von Stufe 1 (mässig) bis Stufe 3 (maximal). Aber auch bei maximaler Rekuperation wird das Fahrzeug nicht automatisch bis zum Stillstand abgebremst. Das ist schade.
Trotzdem lässt sich für den elektrischen Kangoo das Fazit ziehen, dass er im Vergleich zur Version mit Verbrennungsmotor insgesamt besser abschneidet. Damit ist die eingangs gestellte Frage beantwortet.
Viel Platz im Innenraum
Der Zugang zu den Vordersitzen des Kangoo wird durch Türen erleichtert, die sich auf bis zu 90 Grad öffnen lassen. Im Innenraum verfügt die Elektroversion über das gleiche Armaturenbrett wie der Kangoo mit Verbrennungsmotor. Die Passagiere finden dieselben cleveren Lösungen vor wie den Handyhalter, die Ablagen im Dachhimmel und das Handschuhfach in Form einer ausziehbaren Schublade. Während alle Versionen mit einem Zehn-Zoll-Bildschirm in der Mitte des Armaturenbretts ausgestattet sind, ist das digitale Kombiinstrument (ebenfalls 10 Zoll) optional erhältlich.
Der Kangoo ist sicherlich nicht schick, aber er ist gut verarbeitet. Die Teile des Mobiliars sind gut aufeinander abgestimmt und robust. Im Fond wurden die Sitzbank, die sich um 14 Zentimeter verschieben lässt, und der Boden um zehn Zentimeter erhöht, um die Batterie in den Unterboden zu integrieren. Das erleichtert zwar nicht den Einstieg, ermöglicht es Kindern aber, die Strasse besser im Blick zu haben. Der Boden des Autos hat dadurch allerdings eine seltsame Form, das Fahrzeug wirkt ein wenig improvisiert. Aber das macht nichts, denn mit einer Länge von 4.48 Metern bietet der Kangoo viel Platz, sowohl bei der Kopffreiheit für die vorderen Passagiere als auch bei der Kniefreiheit für die hinteren Insassen. Wenn es nur ein Familienfahrzeug gäbe, wäre es vielleicht dieses: der Kangoo E-Tech 100% Electric. Seine Ladekapazität liegt zwischen 542 und 1969 Litern, wenn die Rückbank umgeklappt ist. Die Heckklappe, die den Zugang zu diesem riesigen Laderaum ermöglicht, ist zwar schwer und sperrig, aber sie bietet bequemes Beladen des Fahrzeugs und, für den Fall von schlechtem Wetter, auch einen veritablen Regenschutz. Das ist sehr praktisch.
Der Preis für den Kangoo E-Tech beginnt bei 39 500 Franken, mit 80-kW-DC-Lader sind es wie erwähnt 41 000 Franken. Zum Vergleich: Citroën Ë-Berlingo, Peugeot E-Rifter und Opel Combo-E Life liegen mit Preisen zwischen 38 900 und 41 470 Franken in der gleichen Preisklasse.
Testergebnis
Gesamtnote 78/100
Antrieb
Mit 122 PS ist der Kangoo nicht ganz so stark wie seine Konkurrenten von Stellantis (136 PS). Diese Leistung reicht jedoch für alle Zwecke aus. Das Getriebe gibt keinen Anlass zu Kritik.
Fahrwerk
Die Traktion des Kangoo ist nicht frei von Mängeln, aber die Dynamik ist gut. Der Komfort ist hingegen verbesserungswürdig, vor allem im Vergleich zur Version mit Verbrennungsmotor.
Innenraum
Der Kangoo Electric ist nicht schick, aber die Verarbeitung ist tadellos, und die Materialien sind robust. Der geräumige Innenraum profitiert von zahlreichen Raffinessen wie der Handyhalterung.
Sicherheit
Das Angebot an Assistenten ist gut, auch wenn unverzichtbare Dinge wie der adaptive Tempomat nur als Option erhältlich sind.
Budget
Der Renault Kangoo liegt im Mittelfeld mit einem Preis, der über dem des Citroën Ë-Berlingo liegt, aber unter dem des Peugeot E-Rifter und des Opel Combo-E Life. Er bietet jedoch eine grössere Reichweite.
Fazit
Der Kangoo Electric ist geräumig, gut verarbeitet, clever und hat seine Qualitäten im Alltagseinsatz. Die Reichweite qualifiziert ihn nicht unbedingt für lange Fahrten, aber sie ist immer noch höher als die der Konkurrenz.
Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.