Kienle ist einer der ganz grossen Namen, wenn es um klassische Mercedes geht. 1984 von Klaus Kienle gegründet, erarbeitete sich das Unternehmen über die Jahrzehnte einen ausgezeichneten Ruf, insbesondere, wenn es um die 300 SL ging, Flügeltürer wie auch Roadster. Doch am 31. Mai erhielt das Unternehmen im schwäbischen Heimerdingen unerwarteten Besuch vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg und der Staatsanwaltschaft. Der Verdacht: Über Kienle soll ein fantasiegelber Mercedes 300 SL angeboten worden sein, der eine Fälschung sein soll. Oder zumindest nicht das Fahrzeug, als das es angeboten wurde. Kienle wies selbstverständlich sämtliche Beschuldigungen zurück, das Verfahren läuft. Es gilt die Unschuldsvermutung, auch wenn unterdessen noch diverse weitere Beweismittel aufgetaucht sein sollen und einer der bekanntesten Gutachter Deutschlands angeblich involviert ist.
Selbstverständlich ist auch besagter 300 SL im Wert von 1.6 Millionen Euro ein Problem. Kann der Familie Kienle tatsächlich nachgewiesen werden, dass sie um die Fälschung wusste (oder sie sogar selber auf die Räder stellte), dann ist es wohl vorbei mit dem guten Ruf des Mercedes-Händlers und -Restaurators. Das wäre sicher tragisch auch für die 80 Mitarbeiter des Unternehmens, doch sollte sich der Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs bewahrheiten, dann ist die Lage für die ganze Klassikerszene ernst. Denn: Wem will man dann noch trauen?
Vor drei Jahren erschütterte schon einmal ein ähnlicher Skandal die Branche. In Aachen (D) flog ein ganzes System von Porsche-Fälschungen auf. Beteiligt war auch ein ehemaliger Porsche-Mitarbeiter, dessen Kompetenz im Klassikerbereich auf der ganzen Welt gefragt war. Bloss schrieb besagter Spezialist halt auch Gutachten für Fahrzeuge, die es gar nicht gab. Oder bestätigte die Echtheit von Automobilen, die komplett neu aufgebaut worden und nicht die Oldtimer waren, als die sie sich ausgaben. Es ging um mehrere Millionen, der Fall war auch ganz klar, der Prozess platzte aber im November 2021, weil ein Angeklagter schwer erkrankte, seitdem herrscht Funkstille. Auch im Fall Kienle ist es derzeit absolut ruhig.
Fehlende Transparenz
Sowohl bei Kienle wie auch beim bekannten Porsche-Spezialisten handelt es sich um sehr wichtige Referenzadressen. Der Porsche-Mann schrieb eine ganz Reihe von Büchern – doch sind sie das Papier noch wert, auf dem sie gedruckt wurden? Ein Kienle-Flügeltürer kostete immer einen guten Aufpreis, weil man bisher davon ausgehen konnte, dass die Ditzinger nur mit erstklassiger Ware handeln, dass man sich keine Gedanken machen muss, ob das Fahrzeug eventuell nicht der Beschreibung entspricht. Doch das ist jetzt vorbei, sowohl Porsche wie auch Mercedes haben auch als Marken ein ernsthaftes Problem, haben sie doch selber eng mit besagten Personen zusammengearbeitet. Ob in den Fall Kienle auch Mercedes-Mitarbeiter involviert sind, ist noch nicht klar.
Nein, es sind keine Einzelfälle, auch bei Bugatti kam es unlängst zu unschönen Vorkommnissen, bei Ferrari gibt es mancherlei Gerüchte um die Zertifizierungen durch das Werk (Stichwort, zum Beispiel: 250 GTO), Lamborghini hinkt in der Aufarbeitung seiner Geschichte weit hinterher. Fälschungen von Klassikern sind ein Milliardengeschäft, in Italien und im ehemaligen Ostblock besteht eine ganze Schattenindustrie, und aus Argentinien kommen Replikas, die oft besser sind als das Original. Das ist ja kein Problem, so lange die Fahrzeuge auch als das bezeichnet werden, was sie tatsächlich sind. Doch viele Käuferinnen, die betrogen wurden, melden sich gar nicht erst. Es ist offensichtlich peinlich, wenn man sich für ein paar Millionen gefälschten Schrott hat andrehen lassen.
Eine mögliche Lösung wäre: Transparenz. Wenn die Hersteller ihre Archive öffnen und auch öffentlich zugänglich machen, sich auch offensiver gegen den fortwährenden Missbrauch von Chassisnummern wehren würden (ein Grossteil der schwarzen Schafe ist bekannt), dann wäre schon sehr viel gemacht. Natürlich geht das nicht für jeden Opel Kadett oder Ford Taunus, aber vom W198-Mercedes gab es 1400 Flügeltürer und 1858 Roadster, das ist noch einigermassen überschaubar (wenn man denn will). Vom Porsche 911 wurden zwar bisher mehr als eine Million Exemplare produziert, aber nur ein verschwindend kleiner Teil ist wirklich wertvoll, auch das wäre machbar, wie man zum Beispiel bei den amerikanischen Herstellern sieht. Da kennt man von jeder in den vergangenen 70 Jahren gebauten Corvette den Erstbesitzer, die originale Farbe, die Sonderausstattungen, sogar die ursprünglich montierten Reifen. Warum ist das bei den sich so überlegen fühlenden europäischen Herstellern nicht möglich?
Bei den britischen Marken sind die Details frei zugänglich. Für Bentley, Rolls-Royce, Aston Martin bekommt man die Built sheets und bei Jaguar ein Heritage certificat. Soviel zum Stichwort „europäische Marken“.