Ein Platz an der Sonne

Vernünftige Grösse und Antrieb und trotzdem lustvoll? Fiat hat den 500E neu erfunden und zeigt, was Stromer ­können – und was nicht.

Der aktuelle Fiat 500 mit Verbrennungsmotor schafft es auch noch 15 Jahre nach seiner Lancierung in die Top Ten der europäischen Verkaufsstatistik, doch sein Quasi-Nachfolger steht schon seit 2020 bereit. Der elektrische, von Grund auf neu konstruierte 500E hätte am Autosalon in Genf der Welt vorgestellt werden sollen. Aufgrund der jüngeren Weltgeschichte wurde daraus eine eher verhaltene, digital verbreitete Lancierung. Das Auto steht längst bei den Händlern, der am Fiat-Traditionsstandort Mirafiori in Turin (I) statt wie der Verbrenner im polnischen Tichy gebaute 500E ist bereits zu einer alltäglichen Erscheinung im Strassenbild geworden.

Die Alltäglichkeit schöpft er allerdings auch aus der Tatsache, dass er zwar kein Bauteil mit dem Vorgänger teilt, für Laien diesem aber wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein scheint. Fiat-Chefdesigner und Vize-Designchef im Stellantis-Konzern (und Vater des gloriosen Maserati MC20) Klaus Busse tat gut daran, an der brillanten Vorlage seines Vorgängers Roberto Giolito von 2007 wenig zu ändern. Die kurzen Überhänge sind geblieben, die deutliche Kante auf der Gürtellinie ebenso, auch die Kulleraugen nach dem Kindchenschema behielt die 2020er-Auflage des Fiat Cinquecento, selbst wenn das Beleuchtungskonzept mit LED ein völlig anderes ist. Sehr erfreulich war auch der Entscheid Turins, die Cabrioletlimousine namens 500C bei der E-Version weiterzuführen. Damit ist der kleine Italiener unter seinen Konkurrenten, die ohnehin nicht allzu zahlreich sind, einmalig. Dass die souveräne Ruhe eines E-Antriebs ideal für ein Cabriolet ist, scheint bisher noch keinem namhaften Anbieter aufgefallen zu sein.

Kleiner Abschied von der Italianità

Was zunächst schrecklich zu lesen ist, muss man anders verstehen. Der 500E räumt mit einer alten Krankheit italienischer Autos und insbesondere des bisherigen 500ers auf. Vorbei ist es mit der typischen Froschhaltung mit angewinkelten Beinen wegen der zu nah liegenden Pedale und des zu weit entfernten Lenkrads. Beim neuen 500 stimmt das Verhältnis auch für Langbeiner, und die stets als recht zierlich kritisierten Stühle des 500 sind etwas grosszügiger dimensioniert. Überhaupt sitzt es sich besser in diesem Elektroschönling, als die Dimensionen es vermuten liessen. Woran man sich allerdings gewöhnen muss, ist die aufrechte Haltung, die jener in einem Hochdachkombi nicht unähnlich ist. Der Vorteil daraus ist aber die gute Rundumsicht, was gerade bei einem Stadtauto wie dem 500 Sinn macht. Weniger sinnig, und sinnlich schon gar nicht, sind die Drucktasten für die Vor- oder Rückwärtsfahrt des 500. Immerhin wirkt die Bedienstruktur ansonsten ausgeklügelt, und auch die verbauten Materialien vermitteln ein gutes Stück Wertigkeit. Besonders der noch immer gebaute Verbrenner-500 konnte in dieser Disziplin ganz gut punkten. Er wirkt zwar nicht aussergewöhnlich wertvoll gemacht, doch die verbaute Hardware ist echt hart im Nehmen. Der 500E wirkt da weit nobler, aber auch längst nicht mehr so pflegeleicht. Für ein Auto zum gelegentlich Kindertransport ist die helle Innenfarbe wie im Testwagen definitiv nicht zu empfehlen. Die straffen Sitze des 500E sind angesichts der moderaten Reichweite selten Orte des stundenlangen Aufenthalts, beim Laden an der öffentlichen Ladesäule darf man aber ein Weilchen länger sitzen bleiben, dank des Faltdachs wird man im Sommer unter Umständen hübsch gebräunt – oder wie der Autor schnell gerötet.

Rock ’n’ Roll

Etwas tut der neue 500 gernauso unwillig wie der alte: federn! Der Cinquino neuster Bauart gibt Strassenunebenheiten genauso trocken und mitunter markerschütternd weiter wie sein Vorgänger. Wer also gehofft hat, dass der signifikante Zuschlag an Gewicht durch die Batterie den Kleinen zu einer Sänfte machen würde, sieht sich getäuscht. Toll an diesem Fahrwerk ist aber, dass es bestens zur recht dynamischen Charakteristik des Antriebs passt. Der 500E umrundet Kurven wie auf Schienen, die Lenkung erscheint uns aber eine Spur zu leichtgängig. Musste es früher schon ein Abarth sein, wenn der Sprint an der Ampel oder die Auffahrt auf die Autobahn nicht recht gemächlich erfolgen sollte, so kann der Elektro-Fiat sich recht vehement am Riemen reissen. Und das, wie gesagt, auch um Kurven herum, egal ob bergauf oder bergab.

Mit dieser Charakteristik wird der kleine Stromer auch zum grossen Cityflitzer. Gewiss, wir mochten die spritzigen Kleinwagen vergangener Tage – natürlich handgeschaltet – die man mit ­einem Tänzchen auf den drei Pedalen durch eine vielbefahrene Innenstadt treiben konnte, einen ­Fiat Panda in flottem Tempo durch Turin oder gar durch das Chaos von Rom. Man sollte das eigentlich als immaterielles Kulturgut für die Nachwelt unter Unesco-Schutz stellen. Der 500E beherrscht dieses Spiel, dieses lustvolle Sich-durchwuseln aber auch recht ordentlich – nur eben ohne Tanz respektive nur auf einem Bein. In unserem Fall waren die Tanzböden zudem nur das Bellevue und das Central in Zürich und kein mediterranes Pflaster. Kurz, der Fiat beschleunigt und bremst, wie ein Fiat das tun soll – und das stimmt sehr zuversichtlich. Es ist zu hoffen, dass dem nächsten Elektro-500er keine dieser uniformen Stellantis-Plattformen droht, womöglich noch bevor wir uns so richtig an ihn gewöhnt haben, denn er ist wahrhaft einzigartig.

Das bisschen Mehr

Längst nicht mehr Fiat-like sind der Preis des 500E und seine Konsumfreudigkeit. Er kostet viel Geld für einen Kleinwagen und fährt nicht allzu weit. Ersteres liegt wohl in seiner Natur als Elektroauto und schickes Accessoire, er ist nicht mehr nur ein spartanischer Kleinwagen. Letzteres ist allerdings schade und beweist, dass auch dieses europäische E-Auto vom integralen und damit verbrauchsoptimierten Ansatz eines Tesla recht weit entfernt ist. Zu glauben, dass hier noch immer auf verschiedene Zulieferer gesetzt wird, die ihre Komponenten einzeln entwickeln und im Nachhinein miteinander abstimmen, ist vermutlich eine Fehleinschätzung. Gesichert aber ist, dass im Elektro-Fiat stets etwas die Reichweitenangst mitfährt. In übermässig energieintensiven Momenten wie einer Bergfahrt fällt der Balken der Energiereserveanzeige auf den Bildschirmarmaturen viel zu schnell in Richtung null Prozent. Für den Alltag eines Pendlers reicht es, aber dem Versuch, dorthin zu fahren, wo der 500C seine Inspiration herzuholen scheint, irgendwohin ans Meer, sind doch deutliche Grenzen gesetzt. Oder man plant eine hübsche Anzahl an Pausen. Wir empfehlen für diesen Fall eine italienische Küste – wegen des caffè.

Kompromisslos ist der Kofferraum, der Entschluss, es wie beim alten 500C mit dem Begriff Cabrioletlimousine genau zu nehmen und das hintere Fenster in die Dachöffnung einzubeziehen, sorgt für eine winzige Kofferraumklappe im Stil ­eines alten Mini. Würde sich diese wenigstens in Anlehnung an Letzeren wie auch an den Motordeckel des originalen Heckmotor-500ers nach unten öffnen, bräuchte man sich nicht so weit hinunterzubeugen, um einen Blick ins Gepäckfach werfen zu können. Für einen Kinderwagen ist aber ohnehin kein Platz, dies ist ein Auto für Singles und Dinks (Double income, no kids). Aber er ist schön – und damit unter vielen neuen Elektroautos eine ganz besondere Erscheinung. 

Testergebnis

Gesamtnote 69/100

Antrieb

Er zieht vehement los und bleibt dabei akustisch unauffällig. Italienisch tönt es allenfalls aus dem Lautsprecher, aber nicht aus dem Auspuff.

Fahrwerk

Bockhart, aber dafür inspirierend für das flotte Wetzen durch den dichten Verkehr. Auch der 500E beherrscht die wichtigste Kleinwagendisziplin.

Innenraum

Etwas mehr Lust bei der Gestaltung hätte ihm gutgetan. Die Wähltasten sind ein Tiefpunkt. Die Materialien aber sind hochwertig und gut aufeinander abgestimmt.

Sicherheit

Die Fülle an Fahrassistenten gibt es nun auch für den 500. Die Einparkhilfe ist recht bescheiden, wer es ohne nicht schafft, sollte Velo fahren.

Budget

Die harte Realität des Elektroautos zeigt der 500E sehr deutlich. Er kostet fast das Doppelte eines herkömmlichen Cinquecento und kann dabei, rein als Auto betrachtet, kaum etwas besser. Dafür ist er zeitgerecht.

Fazit 

Es braucht den elektrischen 500, er tut der Marke Fiat extrem gut. Überzeugend ist einmal mehr die Klassenlosigkeit dieses Autos. Es gelingt ihm ganz selbstverständlich, die Rolle des schicksten aller Kleinwagen weiterhin zu spielen. In Sachen Reichweite aber macht er im Vergleich zu seinem Vorgänger einen arg grossen Kompromiss.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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