Er ist einer der bekanntesten Autodesigner der Welt. Die Verantwortung als Kreativchef des Hyundai-Konzerns sorgt für einen vollen Terminkalender bei Luc Donckerwolke. Trotzdem nimmt sich der bald 58-jährige Belgier, der am Art Center College of Design in La Tour-de-Peilz VD Design studierte, bei der Eröffnung des ersten Genesis-Studios in der Romandie Zeit für ein Gespräch und ist dabei leidenschaftlich wie am ersten Tag. Er habe jetzt die Ehre, das Abenteuer Genesis, die Premiummarke des Konzerns, von Anfang an mitzuerleben und zu gestalten: «Eine Marke zu schaffen, ist eine Ehre. Was war die ursprüngliche Philosophie? Wir wollten Eleganz und Sportlichkeit miteinander verbinden, was eigentlich ein Widerspruch zu sein scheint. «In dieser Herausforderung steckte ein bisschen Dr. Jekyll und Mr. Hyde», sagt er lächelnd.
AUTOMOBIL REVUE: Viele Menschen sind der Meinung, dass in den letzten 20 Jahren alle Autos gleich aussähen. Ist das wirklich so?
Luc Donckerwolke: Von einem bestimmten Standpunkt aus gesehen, ja. Früher gab es das globale Auto, wie wir es heute kennen, nicht. Die, die auf der ganzen Welt bekannt waren, waren die, die so erfolgreich waren, dass die Leute sagten, das will ich haben. Zum Beispiel der Fiat 500, der VW Käfer, der Porsche 911.
Ist das heute nicht mehr so?
Nein, früher wurden in Italien Autos für Italien entworfen. Dasselbe galt für Deutschland, Frankreich und andere Länder. Heute ist es die Aufgabe des Designers, alle Probleme zu lösen, die sich aus den verschiedenen Zulassungskriterien ergeben. Nehmen wir zum Beispiel die Scheinwerfer. Wenn die Position, die Grösse und der Abstand zwischen zwei Scheinwerfern gesetzlich vorgeschrieben sind, ist es logisch, dass die verschiedenen Forschungsbüros am Ende die gleiche Antwort geben.
Ist der eigene Charakter also weniger ausgeprägt?
Früher wurde ein italienisches Auto von und für Italiener gebaut – und es war nicht immer sehr praktisch, wenn jemand mit einer Körpergrösse von mehr als 170 Zentimetern am Steuer sass. Heute unterscheiden sich die ergonomischen Kriterien nicht mehr, egal, ob es sich um ein Produkt aus dem Süden, dem Norden oder aus Asien handelt.
Und das Publikum akzeptiert es?
Das ist die ganze Problematik des Marketings. In dem Moment, in dem man anfängt, den Verbraucher um seine Meinung zu bitten, schafft man Modelle, die, wie ich sagen würde, sehr vorhersehbar werden. Da der Verbraucher etwas haben möchte, das er in seiner täglichen Umgebung sieht, kann er sich nur schwer vorstellen, wie der Fahrzeugbestand in zehn Jahren aussehen könnte.
Denken die Verbraucher zu konventionell?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens ist ein Auto eine grosse Anschaffung. Zweitens identifizieren sich viele Menschen mit ihrem Auto, und ihre Kriterien sind immer die gleichen. Für den Designer ist das eine grosse Herausforderung, denn er muss versuchen, etwas Neues zu schaffen und gleichzeitig nicht zu sehr zu überraschen.
Macht die Arbeit unter diesen Bedingungen für Sie als Designer überhaupt noch Spass?
Natürlich, je mehr Probleme es gibt, je mehr Regeln man einhalten muss, desto mehr Kreativität ist gefragt. Wenn alles so einfach wäre, bräuchte man keine Designer mehr.
Man steckt also nicht alle Daten in einen Computer und …
Oh nein, auf keinen Fall! Ausserdem glaube ich nicht, dass die verschiedenen digitalen Prozesse irgendeinen Einfluss auf die berühmte Harmonisierung der Formen haben. Sie sind Werkzeuge, interessant, aber es ist immer noch die Aufgabe des Designers, den Unterschied zu schaffen.
Diese Philosophie wird durch die Modellreihen von Hyundai und Kia verdeutlicht?
Das ist die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird: Warum sind alle Hyundai- und Kia-Modelle unterschiedlich? Nun, das liegt daran, dass ich versuche, dieser Uniformierung entgegenzuwirken, indem ich mich gegen die Harmonisierung der Modellreihen dieser beiden Marken entscheide, was allgemein als Familiendesign bezeichnet wird.
Ist das bei Genesis anders?
Bei Genesis gibt es eine Stil-DNA, aber jedes Auto ist anders. Nehmen Sie einen GV 60, 70 oder 80: Es gibt die gleichen Designelemente, aber sie sind jedesmal anders inszeniert. So hat jedes Auto seinen eigenen Charakter.
Wird ein Auto mit Verbrennungsmotor anders gestaltet als ein Elektroauto?
Es gibt zwei Phasen in dieser Problematik. Die erste Phase ist eine Phase der Differenzierung, da man die Elemente anders verteilen kann. Bei einem Modell mit Verbrennungsmotor bildet der Motor einen Block, das Getriebe einen anderen. Diese beiden Elemente können unter der Karosserie auf das gesamte Fahrzeug verteilt werden.
Ist das bei einem Elektroauto nicht der Fall?
Es gibt andere Einschränkungen, wie die Batterien, die eine Höhe von 130 bis 150 Millimeter einnehmen. Was man auf der einen Seite gewinnt, verliert man auf der anderen. Wenn wir nun über die zweite oder dritte Generation von Elektrofahrzeugen sprechen, wird das anders sein.
Inwiefern?
Wenn es keine Lithiumbatterien mehr gibt, keine separaten Motoren, die viel Platz wegnehmen und von den Achsen entfernt sind, wenn zum Beispiel die Motoren in die Räder integriert werden, eröffnen sich viele Möglichkeiten. Bei Elektroautos befinden wir uns noch in einer Übergangsphase, weil diese Fahrzeuge von Leuten entwickelt werden, die Autos mit Verbrennungsmotoren herstellen. Die nächste Phase wird viel befreiender sein.
Wird es in 100 Jahren noch Autos geben?
Ich hoffe, dass dem so sein wird. Das Auto wird natürlich anders aussehen. Ich glaube nicht, dass es in 100 Jahren noch existieren wird, weil es dann noch gebraucht wird, sondern weil es eine Leidenschaft für das Auto gibt, eine Faszination für dieses Objekt, das eine gewisse Freiheit ermöglicht. Dieses Gefühl der Freiheit, der Leidenschaft wird hoffentlich noch stärker sein, denn im Moment erleben wir eine Phase, in der der Druck auf die Autowelt enorm ist. Aber ich glaube, dass es einen Gegentrend geben wird, der zu einem Automobil zurückkehrt, das weniger funktional, aber wieder leidenschaftlicher ist. Das glaube und hoffe ich.
Zur Person
Luc Donckerwolke (57) arbeitet seit 31Jahren als Automobildesigner. Bis 2015 war er für den Volkswagen-Konzern tätig, zuletzt als Designchef bei Bentley. 2016 übernahm der Belgier die Leitung des Designs beim koreanischen Hersteller Hyundai und seiner Luxustochter Genesis. Bei Hyundai war er unter anderem für den Kona verantwortlich. Nach einem kurzzeitigen Ausstieg übernahm Donckerwolke Ende 2020 als Chief Creative Officer die Verantwortung für alle Marken der Gruppe.
Die Genesis-Trilogie aller guten Dinge
Luc Donckerwolke hat schon das eine oder andere Fahrzeug gezeichnet. Selbstverständlich ist Design Teamarbeit, doch einer steht immer vorne, trägt die Verantwortung – und oft war es der Belgier. Aber jetzt darf er erstmals eine Marke zum Leben erwecken, mit Inhalten füllen. Und das kann er bestens, Donckerwolke ist der Philosoph unter den Designern (wie man auch im Interview links lesen kann).
Nachdem er Genesis mit einer Reihe von SUV ganz gut zum Laufen gebracht hat, «funktional», wie er sagt, soll jetzt der nächste Schritt erfolgen: Emotionen. Man kann das kürzlich in New York vorgestellte GV80 Concept Coupé als Zwischenschritt verstehen, also als SUV, das auch Emotionen wecken will. Doch noch viel wichtiger für die Zukunft von Genesis ist die Trilogie von X-Fahrzeugen. Mit ihnen zeigt Donckerwolke, wo er mit der Marke hinwill und was man in Korea unter Premium versteht. Und das wird entsprechend teuer, Genesis sieht sich eher auf dem Niveau von Bentley, beim X Convertible geht der Preis wohl in die Richtung von 250 000 Franken.
Traditionelle Holzhäuser
Es begann 2021 mit dem X Concept, einem zweitürigen Coupé. Es folgte im Frühling 2022 das Concept X Speedium Coupé, eine Art Shooting Break, und schliesslich Ende 2022 das X Convertible Concept, das im Rahmen des Cardesignevents in München (D) nun erstmals in Europa gezeigt wurde. Und auch wenn es Donckerwolke auf dieser Veranstaltung nicht ausdrücklich bestätigen wollte, darf man davon ausgehen, dass die drei Modelle in Kleinserie gehen werden, noch in diesem Jahr.
Es ist ein mächtiges Fahrzeug und wäre das erste viersitzige Cabrio, das rein elektrisch angetrieben wird. Das selbstverständlich auf Knopfdruck versenkbare Metalldach ist ein kleines Meisterwerk, will sich an der Konstruktion traditioneller koreanischer Holzhäuser orientieren, besitzt aber auch grosszügige Glaselemente. Der Innenraum ist stark fahrerkonzentriert und verfügt über jeden nur denkbaren Luxus.
Viel zum technischen Unterbau ist allerdings noch nicht bekannt, ausser dass die Basis der rein elektrische G80 sein dürfte. Da steht zwar bald schon ein Nachfolger für das aktuelle Modell in der Pipeline, aber technisch dürfte es keine grossen Veränderungen geben. Das bedeutet 87.2-kWh-
Akku sowie je ein 136 kW starker E-Motor an jeder Achse und ergibt eine Systemleistung von 272 kW oder 370 PS nach alter Rechnung. Für die ganz exklusiven X-Modelle dürfte es noch etwas Aufschlag geben, im Hyundai-Konzern ist ja alles vorhanden. Da können Donckerwolke und sein Team aus dem Vollen schöpfen.
Im Überflug
Das machen die Koreaner derzeit sowieso. Auch wenn die Verkaufszahlen in der Schweiz bislang nicht als atemberaubend bezeichnet werden können, ist Genesis auf anderen Märkten im Höhenflug. In Korea selber dominiert die Marke den Premiummarkt, die neue G90-Limousine ist das wahre Statussymbol. Doch auch in den USA fährt der G90 gerade allen Luxusherstellern massiv an den Karren, das Verhältnis von Preis zu Leistung ist im Vergleich zu S-Klasse und 7er-Reihe derart gut, dass der Donckerwolke-Entwurf weit mehr als nur eine exotische Alternative ist.
Dazu kommt vielleicht noch in diesem Jahr das GV80 Coupé. Es wird gemäss Aussage des Designers, der gern aus dem Nähkästchen plaudert, ganz nah am Concept-Car bleiben und dürfte damit zu einem ernsthaften Konkurrenten von BMW X6 und Mercedes GLE Coupé werden. Dafür muss der Genesis aber noch etwas Muskeln zulegen, die bisher stärkste Variante des GV80 verfügt über einen 3.5-Liter-Turbo-V6 mit lediglich 380 PS.