Gerne durchstöbern wir das Angebot der bekannten Auktionshäuser. Wenn uns etwas besonders gut gefällt, präsentieren wir es hier als «Pick of the Week». Heute ist es ein Lamborghini Espada, gefunden bei der Oldtimer Galerie Toffen.
- Gebaut von 1968 bis 1978
- 1217 Exemplare gebaut
- Ein Kunstwerk von Gandini
Im Herzen war Ferruccio Lamborghini immer mehr der Gentleman gewesen, mit groben Sportwagen hatte er nicht viel am Hut; er hatte sein Geld mit Traktoren gemacht, und ihm stand der Sinn nach gepflegter Fortbewegung. Und wenn seine hochbegabte Truppe, Gian Paolo Dallara, Chefkonstrukteur, Paolo Stanzani, Produktionsleiter, und Bob Wallace, Testfahrer, schon die Zeit fand, um in der Freizeit noch einen verkappten Rennwagen auf die Strasse zu bringen, also den Miura, dann würde sie auch die Musse haben, ihm seinen Traum vom grossen Coupé mit Platz für vier Personnen und ein bisschen Gepäck zu erfüllen. Den grossen, souveränen Reisewagen, von dem Ferruccio Lamborghini immer bedeutend intensiver geträumt hatte als von der ultimativen Fahrmaschine.
Wie begeistert Dallara und Stanzani vom Ansinnen ihres Chefs waren, das wissen wir nicht; Wallace kümmerte sich sowieso nicht gross um das zukünftige Modell, sondern feilte lieber am Fahrverhalten des Miura. Weil die Zusammenarbeit mit Bertone beim Miura so gut geklappt hatte, wandte sich Sant’Agata wieder an das Studio in Grugliasco. Das heisst: dort war 1966/67 schon ein Fahrzeug entstanden, das den Espada vorwegnahm. Eigentlich waren es sogar zwei Fahrzeuge, der Bertone/Jaguar Pirana, auf Basis eines E-Type. Und natürlich der Lamborghini Marzal.
Wie auch immer, der endgültige Entwurf des genialen Marcello Gandini, der schon den Miura gezeichnet hatte, ähnelte dann mehr dem Pirana als dem Marzal. Gandini wollte unbedingt Flügeltüren wie beim Marzal, doch Ferruccio konnte damit gar nichts anfangen, der Espada sollte ja eine eher konservative Kundschaft bedienen (was man sich heute, weit über 50 Jahre nach dem ersten Auftritt des Fahrzeugs am Genfer Salon 1968, gar nicht mehr so recht vorstellen kann), und so erhielt der Espada eine seiner Schwachstellen, die zu langen Türen. Es muss ein langer Kampf gewesen sein, wird erzählt, es sollen diverse Prototypen entstanden sein noch mit den Flügeltüren des Marzal sowie gemässigteren Varianten.
Wie auch immer: Gandini zeichnete wieder ein Werk für die Ewigkeit. Der Espada ist nach dem Islero der am meisten unterschätzte Lamborghini. Und der vielleicht schönste, unvergänglichste. Selbstverständlich ist ein Miura wilder, abartiger, aber der Espada, 4,74 Meter lang, 1,86 Meter breit und nur 1,19 Meter hoch, wirkt wie aus einem Guss, als ob der Stift des Zeichners – damals gab es noch keine Computer – nicht einmal stillgestanden hätte. Die Fensterflächen sind gross und grossartig, in einem Espada wird auch die Nacht zum Tag; die Heckscheibe dient als Kofferraumklappe (und schliesst leider oft nicht so recht). Ein Zusatz-Fensterchen setzt einen zusätzlichen Akzent und macht den Viersitzer zum Familienmitglied.
Die vier Sitze darf man als vollwertig bezeichnen, auch wenn der Zustieg auf die hinteren Ränge nicht ganz so locker ist. Der Radstand von 2,65 Metern lässt aber immerhin ein gewisses Mass an Beinfreiheit zu; um die Kopffreiheit ist es eher mässig bestellt. Eine Art Kofferraum ist vorhanden; unter einer Klappe liegt das Reserverad. Aber ein schlankes Gepäck konnte durchaus mitgeführt werden, und für den Transport von Bierkisten sollte man einen Espada, benannt nach dem Degen des Matadors, eh nicht unbedingt gebrauchen. Innen war der Lamborghini in seiner ersten Ausführung eher, sagen wir mal: etwas eigenartig. Die Sechsecke aus dem Marzal wurden zwar nicht 1:1 übernommen, aber die Designer von Bertone befanden sich Ende der 60er Jahre wohl gerade in ihrer kubistischen Phase.
Als Unterbau diente wie bei allen vorherigen Lamborghini auch beim Espada ein Rohrrahmen; der Motor wurde beim Viersitzer relativ weit vorne eingebaut, für ein besseres Platzangebot, und er ruhte zusammen mit der Achsaufhängung in einem Hilfsrahmen, der die ganze Geschichte vorne anständig stabilisierte. Die Räder (7J x 15, Pirelli Cinturato 205 VR 15) wurden an doppelten Dreieckslenkern und Schraubenfedern geführt und mit Federbeinen gestützt. Die Lenkung kam von ZF, Kugelumlauf (anfangs sogar noch ohne Servo), die Scheibenbremsen kamen üblich von Girling (vorne 30 Zentimeter, hinten 28 Zentimeter).
Der Motor des Espada, der ist bekannt, die Weiterentwicklung des Bizzarrini-Aggregats aus den früheren Lamborghini, er entsprach jenem des Islero, der gleichzeitig mit dem Espada auf dem Genfer Salon 1968 vorgestellt wurde. Also dieser wunderbare Alu-V12 mit vier Liter Hubraum, mit seitlich angebrachten Doppel-Weber-Vergasern und einer im Vergleich zum Miura konventionellen Ölwanne, Verdichtung 9,5:1, 325 PS bei 6500/min, ein maximales Drehmoment von 374 Nm bei 4500/min. Geschaltet wurde über das hauseigene manuelle 5-Gang-Getriebe. Die Fahrleistungen waren für jene Jahre grossartig, den Sprint von 0 auf 100 km/h schaffte der Espada, intern Tipo 108 genannt, in 6,5 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 245 km/h. Der Espada galt zwar als konventionell, doch er hatte keine Schwächen, war schnell, schön, und viele Journalisten lobten ihn als bestes Auto seiner Klasse.
Die erste Serie des Espada 400 GT wurde von 1968 bis 1970 gebaut, 186 Exemplare wurden produziert. Diese S1 sind heute sehr gesucht – obwohl sie qualitativ nicht komplett zu überzeugen vermochten. 1970 wurde die zweite Serie nachgereicht, S2 oder GTE genannt, mit neu 350 PS. Auch sonst wurde am S2 fleissig gearbeitet, das im S1 noch eher futuristische Innenleben wurde geglättet, vereinfacht, der Unterboden wurde leicht abgesenkt, damit die Kopffreiheit etwas grösser werden konnte, auf Wunsch war jetzt auch eine Servolenkung zu haben. Zwischen 1970 und 1973 konnten vom S2 stolze 575 Stück abgesetzt werden; der Espada war längst zum kommerziell erfolgreichsten Lamborghini geworden. 1973 wurde noch einmal gebastelt, die ZF-Lenkung war nun hydraulisch, das Interieur endlich anständig, und auf Wunsch gab es auch eine 3-Gang-Automatik von Chrysler (mit den Fahrstufen: 1, D, R), die aber nur gerade sieben Mal bestellt wurde. Vom S3 wurden bis 1978 (oder auch 1980) noch 463 Exemplare verkauft.
In der Oldtimer Galerie Toffen kommt am 3. Juni anlässlich der Swiss Classic World in Luzern ein S2-Espada unter den Hammer. Dieses schöne Exemplar wurde am 1. Juli 1970 zugelassen und verfügt noch über die begehrenswerten Campagnolo-Felgen mit Zentralverschluss. Über die frühe Geschichte dieses Wagens ist wenig bekannt. 2016 wurde der 350 PS leistende 4-Liter V12 komplett revidiert – Kopien der entsprechenden Belege sind vorhanden. Bis 2018 war der Espada in Deutschland zugelassen. Im Oktober des Jahres wurde der Lamborghini nach Italien verkauft, wo die Karosserie durch die Spezialisten von Route da Sogno neu lackiert, und die originale Innenausstattung aufgefrischt wurde. Im Juli 2021, nach einem weiteren italienischen Besitzer, wurde das elegante Coupé in die Schweiz importiert. Der Espada befindet sich in sehr gutem Zustand und die letzte MFK als Veteranenfahrzeug erfolgte im Dezember 2021.
In der monatlich erscheinenden Klassik-Beilage der AUTOMOBIL REVUE finden Sie immer schöne Old- und Youngtimer. Abos gibt es: hier. Unter «Pick of the Week» präsentieren wir gerne günstige und vor allem spannende Automobile, die wir auf Auktions-Vorschauen entdecken – eine Liste der schon vorgestellten Fahrzeuge finden Sie hier.