Die alten Dämonen kehren manchmal zurück. Polestar, einst Tuner der Volvo-Rennwagen, hat eine Bestie der Rennstrecke hervorgeholt. Mit vollem Namen Polestar 2 BST Edition 270. Das BST steht dabei für Beast, den intern vergebenen Spitznamen. Die Legende besagt, dass Thomas Ingenlath, CEO der chinesisch-schwedischen Marke, von dem Plan so begeistert war, dass er sofort grünes Licht gab. Die Ampel wurde jedoch schnell wieder rot.Nur 270 Exemplare – davon zehn für die Schweiz, die bereits verkauft sind – wurden gebaut.
Der Blick aufs Datenblatt verrät, dass es zumindest auf der Leistungsseite eher zahm blieb. Die Leistung bleibt bei 350 kW (476 PS) wie bei einem Polestar 2 mit Performance-Paket. Öffnet man die vordere Haube, sieht man das BST-Kernfeature: schöne Gasdruckfedern, mit denen sich die Druck- und Zugstufe der Stossdämpfer einstellen lassen. 22 Rastungen stehen zur Auswahl, um die Federbeine des schwedischen Fahrwerksspezialisten Öhlins in ihrer Charakteristik zu verändern. Die gleiche Feinheit gilt auch für die hinteren Stossdämpfer.
ESP ist nicht abschaltbar
Lassen wir die Finger erst einmal davon und steigen schnell ein. Der sportliche Enthusiasmus bekommt einen ersten Dämpfer, der Innenraum ist identisch mit dem eines Polestar 2 mit Performance-Paket. Um die richtige Sitzposition zu finden, muss man sich eine Weile mit den Knöpfen für die Sitzverstellung beschäftigen. Die Benutzeroberfläche ist ebenfalls gewöhnungsbedürftig, aber wenn man sie einmal kennengelernt hat, ist sie recht angenehm. Trotzdem ist es bedauerlich, dass es praktisch keine physischen Bedienelemente mehr gibt, nicht einmal für die Klimaanlage. Es gibt auch keinen Startknopf, der Polestar 2 fährt los, sobald man den Schalthebel zieht.
Auch wenn er keine Kilowatt-Kur bekommen hat, ist der BST Edition 270 nicht untermotorisiert. Bei Weitem nicht. Die beiden Elektromotoren und der Allradantrieb sorgen für einen brachialen Schub ohne Zögern. 4.6 Sekunden weist das Messprotokoll für die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h aus. Das kommt dem Werkswert (4.4 s) sehr nahe. Dabei beeindruckt der Polestar durch die Kontrolle seiner Karosseriebewegungen, die Stossdämpfer halten die 2.1 Tonnen meisterhaft unter Kontrolle. Aber Vorsicht: Die Hinterachse, die bereits in der Grundeinstellung wendig ist, kann spürbar nervös werden, wenn man die hinteren Stossdämpfer zu sehr strafft. Das ESP gebietet allzu optimistischen Fahrern frühzeitig Einhalt – allerdings oft viel zu früh, und es ist bedauerlich, dass der elektronische Stabilisierungsassistent nicht zumindest teilweise deaktiviert werden kann. Die Vorderradaufhängung ist weniger prägnant als erwartet, selbst wenn man mit den Einstellrädern herumspielt. Die Lenkung ist eher gefühlsarm und wirkt künstlich, was das Bild trübt. Die Bremsen sind zwar stark, aber bei intensiver Nutzung auch schnell erschöpft. Trotz dieser Einschränkungen macht es Spass, den Polestar 2 BST Edition 270 zu fahren. Sein Fahrverhalten ist deutlich ausgereifter und ausgewogener als das eines Tesla Model 3.
Über die Sinnhaftigkeit des BST Edition 270 kann man jedoch trefflich streiten. Nicht nur wegen der begrenzten Auflage, sondern auch wegen der Fahrwerkstechnik aus dem Rennsport in einer schweren Limousine, die für den Alltag auf der Strasse gedacht ist.
Testergebnis
Gesamtnote 73/100
Antrieb
Der Schub der 476 PS ist brutal, lässt aber jenseits von 120 km/h nach.
Fahrwerk
Das Fahrverhalten ist angesichts der Leistung und des Gewichts bemerkenswert. Die Nützlichkeit der Einstellmöglichkeiten ist fraglich.
Innenraum
Die Materialien und die Verarbeitung sind besser als bei einem Tesla. Die Bedienung erfolgt leider grösstenteils über die Bildschirme.
Sicherheit
Die Bremsen sind kraftvoll, neigen aber bei intensiver Nutzung schnell zum Überhitzen. Der Spurhalteassistent ist ziemlich aufdringlich.
Budget
Der Aufpreis für die einstellbare Federung ist übertrieben, aber kein Problem: Die 270 Einheiten sind bereits verkauft.
Fazit
Der Polestar 2 BST Edition 270 ist ausgewogen und verspielt. Dennoch darf man die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, die Federung eines Rennwagens mit einer Zwei-Tonnen-Limousine zu kombinieren.
Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.
