Zum Schluss machte Deutschland grossen Druck. Zwar beschloss die Europäische Kommission am Dienstag dieser Woche, dass ab 2035 in der EU keine Neuwagen mehr zugelassen werden dürfen, die mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden. Allerdings drohte der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit der Blockade der kompletten Gesetzgebung, wenn nicht eine kleine Hintertür in die Regularien eingebaut würde. Er setzte sich durch: Autos mit Verbrennungsmotoren dürfen auch nach 2035 in der EU zugelassen werden.Voraussetzung ist, dass sie mit synthetischen, CO2-neutral hergestellten Kraftstoffen betrieben werden.
Zur Erinnerung: Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament hatten das Verkaufsverbot für neue Autos mit Verbrennungsmotor bereits verabschiedet. Exakter ausgedrückt: Ab 2035 dürfen nur noch neue Fahrzeuge immatrikuliert werden, die keine Treibhausgase mehr ausstossen. Damit war der Verbrennungsmotor de facto begraben – immer vorausgesetzt, er würde mit konventionellem Diesel oder Benzin betrieben. Anfang März machte der deutsche Verkehrsminister eine Kehrtwende. Wissing drohte mit acht anderen EU-Ländern, darunter Italien, Polen und Tschechien, eine Sperrminorität zu bilden. Sie forderten eine Ausnahme im endgültigen Gesetzestext für Verbrennungsmotoren, wenn diese ausschliesslich mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden.
«Gewollte und erhoffte» Lösung
Konkret bedeutet die jetzt verabschiedete Regelung, dass Motoren ab 2035 zugelassener Autos nicht starten dürfen, wenn sie nicht mit synthetischen Kraftstoffen betankt werden. Eine gesetzlich vorgeschriebene Sensorik muss den Treibstoff erkennen. Das sind technische Details, die noch zu lösen sind, doch von vielen Experten wird die nun getroffene Regelung begrüsst. «Ich habe diese Entwicklung erwartet und erhofft», sagt Christian Bach, der bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) für Fahrzeugantriebe zuständig ist. «Erwartet, weil ich es für die EU als unrealistisch einstufe, dass die Verteilnetzebene bis 2035 im notwendigen Masse ausgebaut ist, und erhofft, weil damit eine weitere Option zur Reduktion fossiler Treibstoffe vorliegt.»
Roland Bilang, Direktor von Avenergy, dem Dachverband der Schweizer Importeure von flüssigen Kraftstoffen, äussert sich ähnlich: «Flüssige Energiequellen und damit Verbrennungsmotoren sind in vielen Bereichen wie im Güterverkehr, in der Luftfahrt und in der Schifffahrt alternativlos. Für diese Bereiche müssen daher in jedem Fall Alternativen zu den heutigen fossilen Energieträgern entwickelt werden, nämlich klimaneutrale, synthetische Kraftstoffe.»
Bilang erinnert daran, dass Ölkonzerne bereits mit Investitionen im Bereich synthetischer Kraftstoffe begonnen haben. Synhelion, ein Schweizer Start-up-Unternehmen, ist seit 2016 im Bereich der E-Fuels aktiv. Geschäftsführer Philipp Furler schätzt, dass es im Jahr 2040 allein in der Schweiz noch «zwischen 1.5 und 2.5 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor» geben wird. Daher müsse ein Weg gefunden werden, sie CO2-neutral zu machen. «Dort, wo die Elektrifizierung zu langsam oder nicht möglich ist, können fossile durch synthetische Kraftstoffe ersetzt werden. Deshalb sehen wir unsere solaren Treibstoffe als eine ergänzende Lösung für die Elektrifizierung des Strassenverkehrs.» Der Chef von Synhelion erinnert an die Vorteile von Treibstoffen gegenüber Elektrizität bei Lagerung, Transport und der Möglichkeit, bestehende Infrastrukturen zu nutzen.
Aber wird es bis 2035 genügend synthetische Kraftstoffe geben – zu günstigen Preisen? Philipp Furler hat keinen Zweifel: «Wir streben in den nächsten zehn Jahren Produktionskosten von weniger als einem Franken pro Liter und eine Produktionskapazität von 875 Millionen Litern Treibstoff pro Jahr an. Das entspricht etwa der Hälfte des Schweizer Bedarfs an Flugbenzin und einem Fünftel des heutigen Benzinverbrauchs in der Schweiz.» Synhelion plant, die Produktionskapazität bis 2040 auf 50 Milliarden Liter E-Fuels zu erhöhen, was die Hälfte des Treibstoffbedarfs der Luftfahrt in Europa decken würde.
Zukunft der Elektromobilität
Vonseiten der Autohersteller wurde der EU-Kompromiss gemischt aufgenommen. Benedetto Vigna, Generaldirektor von Ferrari, freute sich in den Medien über die «grössere Freiheit», die ihm die Entscheidung gebe, auch wenn Ferrari bereits einen ersten Elektro-Sportwagen für 2025 plane. Porsche setzt zwar bei seiner Modellpalette überwiegend auf elektrische Antriebe, will aber das Kernmodell Porsche 911 als Verbrenner retten. Im Dezember 2022 eröffnete Porsche ein Gemeinschaftsunternehmen für E-Fuels in Chile, aktuell beträgt die jährliche Produktionskapazität 130 000 Liter, bis Ende des Jahrzehnts soll sie auf 550 Millionen Liter anwachsen – genug, um rund eine halbe Million Fahrzeuge mit E-Fuels zu versorgen. Die Produktionskosten, schätzte Vorstand Michael Steiner im Interview mit der AR (5/2023), würden aber nicht unter zwei Dollar pro Liter liegen.
Andere Hersteller nehmen den Aufschub für Verbrennungsmotoren etwas gelassener auf. Für Luca de Meo, Generaldirektor der Renault-Gruppe, ist die Messe gelesen. Seiner Meinung nach liegt die Zukunft in der Elektromobilität, da die Investitionen zu gross und zu weit fortgeschritten seien: «Niemand entwickelt in Europa mehr einen neuen Verbrennungsmotor. Alles Geld fliesst in die Elektro- oder Wasserstofftechnologie», sagte der Italiener dem Medienportal «Politico», «alle Zulieferer hören komplett auf, in Verbrennungsmotoren zu investieren.»
Das sieht auch Christian Bach von der Empa so: «Elektroautos setzen sich nicht nur wegen der gesetzlichen Rahmenbedingungen durch, sondern auch, weil die Elektrifizierung in dieser Übergangsphase, in der wir von fossilen und nuklearen Energieträgern auf erneuerbare Energien umsteigen, viele Vorteile hat.» Auch bei Synhelion glaubt man, dass die Zukunft in der Elektromobilität liegt: «Wir glauben, dass diese Entscheidung keinen grossen Einfluss haben wird und dass die Elektrifizierung des Strassenverkehrs weiter voranschreiten wird», sagt Phillipp Furler. Das Start-up-Unternehmen plant auch nicht, seine Investitionen zu erhöhen. Da die EU de facto die technologische Freiheit zur Erreichung der CO2-Neutralität anerkannt habe, könnten synthetische Kraftstoffe und Elektromobilität nun unter gleichen Bedingungen ihre Relevanz beweisen. Für Roland Bilang von Avenergy ist diese Freiheit das Wichtigste: «Der Markt und nicht die Bürokratie muss entscheiden, ob sich eine Technologie durchsetzt.»
Was sind synthetische Kraftstoffe?
Synthetische Kraftstoffe sind eine kohlendioxidneutrale Energiequelle. Diese Neutralität kommt durch den Herstellungsprozess zustande: Kohlenstoff (CO) wird aus der Luft oder aus Industrieprodukten extrahiert und mit Wasserstoffmolekülen (H2) verbunden. Wenn der Prozess ausschliesslich mit erneuerbarer Energie umgesetzt wird, gilt er als CO2-neutral. Synhelion, ein Schweizer Start-up-Unternehmen, nutzt die Sonneneinstrahlung zur Herstellung von E-Fuels: Mithilfe von Spiegeln werden die Sonnenstrahlen in einem Reaktor gebündelt, wodurch Wärme und damit Energie für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe erzeugt wird. Das Verfahren verbraucht mehr als fünfmal so viel Energie wie die direkte Nutzung des Stroms via Batterie, aber das ist für Christian Bach von der Empa kein Problem: «Die synthetischen Treibstoffe werden nicht in der Schweiz, sondern im Sonnengürtel der Erde produziert, zum Beispiel in Wüsten-regionen, wo die Sonneneinstrahlung pro Quadratmeter doppelt so hoch ist wie in der Schweiz. Dies relativiert den Effizienznachteil der Herstellung synthetischer Kraftstoffe.»