Das Flaggschiff fährt weiter und leiser. Volvo hat seinem XC90 T8 Recharge ein ganzes Paket an Neuerungen spendiert, darunter eine grössere Batterie (18.8 kWh, netto 14.9 kWh). Immerhin ist der acht Jahre alte Patriarch der Modellreihe bei den Schweizer Kunden immer noch beliebt, wie die 657 Verkäufe im letzten Jahr belegen. Das ist jedoch weit entfernt von den Zahlen eines BMW X5 (2152 Einheiten) oder eines Mercedes GLE (1638).
Von Neuerungen ausgeschlossen ist das Aussehen des 4.95 Meter langen SUV, das nicht in die Jahre gekommen ist. Die subtil modellierten, sparsam gemeisselten Oberflächen suggerieren Kraft. Der Innenraum folgt demselben Credo. Die Materialkombinationen – Leder, gebürstetes oder guillochiertes Metall – sind elegant und tappen nicht in die Opulenzfalle.
Volvo hat physische Tasten zurückhaltend eingesetzt, sogar zu sehr: Der Grossteil der Bedienung einschliesslich der Temperaturregelung erfolgt über den hochformatigen Touchscreen. Für eine Marke, die Sicherheit in ihrer DNA hat, ist dies ein Fehler, da die Bedienung des Touchscreens zu viel Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Vor allem braucht es Gewöhnungszeit, um sich in den Menüs des Infotainmentsystems zurechtzufinden, das auf Google-Technologie basiert. Die Sprachsteuerung gleicht dieses Problem aus, denn sie funktioniert hervorragend. Will man den Radiosender wechseln, reicht der Satz: «Ich möchte Radio XY hören». Sagt man jedoch «Mir ist kalt», erhöht das System nicht die Temperatur der Heizung, wie es die Systeme der Konkurrenz tun, sondern antwortet sarkastisch: «In solchen Momenten wünscht man sich, ein Kaiserpinguin zu sein.»
Mission Gelassenheit
Für alle, die lieber auf dem Bildschirm herumtippen, gibt es die Infotainmentfunktionen in Form von Apps. Wer mit dem Android-System vertraut ist, wird Google Maps, das von der Suchmaschine entwickelte Navigationssystem, wiedererkennen. Die Grafiken sind zwar einfach, aber die Routenführung gehört zu den präzisesten, die es gibt. Google Maps schlägt zum Beispiel schnellere Alternativrouten vor, sobald es einen Stau auf der Strecke entdeckt.
Der XC90 ist so konzipiert, dass er den Insassen ein Gefühl der Gelassenheit vermittelt. Zu den beruhigenden Massnahmen gehört auch das Armaturenbrett, das den Fahrer nicht mit einer Kaskade von Menüs oder einer Flut von Informationen überfordert. Es wird nur das Nötigste angezeigt. Oder noch weniger, denn die Instrumente verraten nicht einmal die Kühlwassertemperatur.
Auch die Sitze tragen zu diesem Streben nach Zen bei, indem sie Komfort, Halt und eine breite Palette an Einstellungen bieten. Das Raumangebot ist in dieser Hinsicht bemerkenswert. Knie- und Kopffreiheit sind erstaunlich, selbst in der dritten Sitzreihe des Siebensitzers. Der Zugang zu den beiden hinteren Sitzen ist schwieriger, da sich die Sitze in der zweiten Reihe nur wenig auseinanderschieben lassen.
Eher ein Notsitz ist der Platz in der Mitte des Fahrzeugs. Der unglückliche Passagier muss nicht nur wegen der geringen Breite die Ellbogen anlegen, sondern auch mit den Füssen gegen den Mitteltunnel kämpfen, in dem sich die Batterie verbirgt. Es ist besser, diesen Platz für ein Kind zu reservieren, da der Sitz über eine clevere integrierte Sitzerhöhung verfügt. Die drei Sitze der zweiten Reihe sind verschiebbar und können umgeklappt werden, falls die 640 Liter Kofferraumvolumen nicht ausreichen sollten, das Volumen steigt dann auf 1816 Liter. Leider verfügt der XC90 nicht über einen Hebel, mit dem sich die Sitze mit einem Handgriff umlegen liessen.
Die Mission Gelassenheit im Innenraum geht weiter mit der ausgezeichneten Rundumsicht, die durch die grossen Rückspiegel und die grosse Heckscheibe gewährleistet wird. Nach vorne hin hat der Fahrer die wichtigsten Informationen auf einem angenehm grossen Head-up-Display direkt vor sich. Diese Gelassenheit wird auch nicht durch Unebenheiten auf der Strasse gestört, da die Federung diese Störungen hervorragend eindämmt. Die meisten Fahrgeräusche und aerodynamischen Geräusche bleiben ebenfalls draussen, die Stille im schwedischen Kokon ist erstaunlich, vor allem, wenn das Flaggschiff mit Strom fährt. Der XC90 T8 Recharge schafft unter winterlichen Bedingungen etwa 60 Kilometer elektrische Reichweite, versprochen sind 73 Kilometer. Dafür muss man allerdings einen leichten Fuss haben. Der Schwede mit dem Doppelherz – Vierzylinder mit 228 kW (310 PS) plus Elektromotor mit 107 kW (145 PS) – funktioniert nicht wie andere Plug-in-Hybridautos (PHEV).
Wenn man beim Anfahren am Berg etwas zu viel Gas gibt, kommt der Verbrennungsmotor zum Einsatz, während andere Plug-in-Hybride sich eher auf die Elektromaschine verlassen. Es ist hingegen erfreulich, dass man die Batterieladung halten oder sogar während der Fahrt aufladen kann. Der Vierzylinder ladet zwar nicht schnell, aber auf der Autobahn zumindest soviel, dass man für eine spätere emissionsfreie Fahrt in der Stadt genügend elektrische Reichweite hat. Für den Fall: Eine vollständige Ladung dauert mindestens fünf Stunden, da die Ladeleistung auf 3.6 kW begrenzt ist. Angesichts der Verdoppelung der Batteriekapazität wäre Volvo gut beraten gewesen, die Ladeleistung anzupassen.
Mehr Ballast als Sport
Zu den guten Noten zählt, dass der Antriebsstrang trotz seines etwas rauen Vierzylinders harmonisch arbeitet und bis zu 335 kW (455 PS) leistet. Volvo verspricht eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in nur 5.4 Sekunden. Diese Zahlen sind auf dem Papier beeindruckender als auf der Strasse, denn der schwedische Koloss ist eher schwerfällig als sportlich. Die Beschleunigung ist sehr komfortabel und erleichtert das Überholen, aber das Fahrgefühl bleibt auf der Strecke. Der XC90 leidet unter seinem hohen Gewicht von 2.2 Tonnen. Diese Masse macht sich besonders auf kurvenreichen Strecken bemerkbar.
Der bevorzugte Spielplatz des Skandinaviers bleibt die Autobahn, wo sein Komfort die Entfernungen aufzuheben scheint. Leider wird diese Ruhe durch die Fahrhilfen gestört. Der adaptive Tempomat bremst manchmal unerwartet ab, vor allem in Kurven. Am nervigsten ist der Spurhalteassistent, der darauf beharrt, zentimetergenau in der Mitte der Spur zu bleiben, indem er ständig ins Lenkrad eingreift. Glücklicherweise kann er deaktiviert werden. Der Verbrauch hängt wie immer davon ab, wie der Elektroantrieb genutzt wird. Auf der AR-Normrunde wurden 5.3 l/100 km gemessen, der Testverbrauch lag bei 8.0 l/100 km.
Der Anschaffungspreis des Testmodells lag bei über 130 000 Franken. Eine Summe, die angesichts der Konkurrenz schwer zu rechtfertigen ist. Aber wer ein siebensitziges SUV mit Plug-in-Hybridantrieb braucht, hat praktisch keine Alternativen.
Testergebnis
Gesamtnote 75/100
Antrieb
Der Vierzylindermotor ist nicht besonders edel, arbeitet aber harmonisch mit der elektrischen Maschine zusammen. Die 335 kW (445 PS) sorgen für eine gute Beschleunigung, aber nicht für Sportlichkeit.
Fahrwerk
Sportliche Ansprüche? Adieu. Der XC90 ist eher behäbig. Die Filterung von Strassenunebenheiten und der Komfort sind auf hohem Niveau.
Innenraum
Einerseits: vereinfachtes Armaturenbrett und Lenkrad mit den richtigen Bedienelementen. Andererseits: zu viele berührungsempfindliche Knöpfe, die die Aufmerksamkeit des Fahrers beeinträchtigen. Raumangebot und Flexibilität sind auf höchstem Niveau.
Sicherheit
Die Sicht ist ausgezeichnet, und es gibt viele Fahrhilfen, wobei der Spurhalteassistent zu aufdringlich ist. Der Bremsweg liegt im Rahmen dieser Fahrzeugklasse.
Budget
Mit Optionen 130 000 Franken teuer und damit auf einem Level mit der deutschen Konkurrenz. Im Gegensatz dazu ist er einer der wenigen, die einen Plug-in-Hybridantrieb in Kombination mit sieben Sitzen anbieten.
Fazit
Der Plug-in-Hybridantrieb ist flüssig, das steigert die Reisequalitäten.Komfort und Geräumigkeit sind immer noch zeitgemäss. Bei Fahrassistenten oder Gadgets kann der Volvo seine acht Jahre nicht verbergen. Technikfreaks werden die ähnlich teuren deutschen Rivalen vorziehen.
Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.
Die geforderte erhöhte Ladeleistung ist bereits umgesetzt, alle 60er und 90er Volvo PIH, welche ab Mai diesen Jahres mit MJ2024 ausgeliefert werden, erhalten einen 2-phasigen on board Lader, mit maximal 6.4 kW.