Abteilung Attacke

Der Audi S8 hat viel Technologie an Bord, aber auch viel Gewicht. Die Stärke des V8-Biturbo lässt diesen schweren Rucksack vergessen – bis zu einem gewissen Grad.

Es gab eine Zeit, in der die Hierarchie in den Produktpaletten der Autohersteller klar war. Die Limousine war das Flaggschiff, das grösste, stärkste und technisch fortschrittlichste Modell, das die Preisliste mit sechsstelligen Preisschildern abschloss. Bei Audi hat der A8 die Rolle des Oberhaupts inne. Die Dynastie wurde 1994 begründet, als der A8 den V8 ablöste. Die edle Limousine im F-Segment verlor jedoch nach und nach Superlative und Privilegien. Die vierte Generation, die 2017 auf den Markt kam, wurde technologisch von den anderen Baureihen der Marke eingeholt. Die Preis- und Leistungsrekorde hat längst der Audi-Supersport­wagen, der R8, an sich gerissen.

Intimes Konzert

Trotzdem sorgt der S8, der wie der Rest der A8-Reihe 2021 überarbeitet wurde, noch immer für grosse Augen. Angefangen beim Preis: Der S8 stellt mit einem Grundpreis von 168 200 Franken oder sogar 215 450 Franken beim Testmodell das Eigenkapital für eine Immobilie dar. Die Leistung des Flaggschiffs mit den Ringen ist ebenfalls gigantisch: Der V8-Biturbo mit Mildhybridantrieb spuckt 571 PS aus, das Drehmoment liegt bei 800 Nm. Beeindruckend, ja, aber es fällt auf, dass diese Werte seit der Einführung des Modells unverändert geblieben sind. Die Designer haben sich beim Facelift auch nicht zu sehr ins Zeug gelegt, denn die Änderungen beschränken sich auf einen breiteren Kühlergrill, Frontscheinwerfer mit einer kleinen Aussparung im unteren Bereich und eine ausgeprägtere Abrisskante am Heck. Der S8 überlässt den optischen Überbietungswettbewerb den grossen Jungs in den unteren Segmenten.

Auch im Innenraum hat sich nicht viel getan, ausser für die Hauptzielgruppe, die Passagiere auf den Rücksitzen. Sie können ihre Lieblingsserie über die neuen 10.1-Zoll-Bildschirme (2350 Fr.) mit allen Anschlüssen sehen, die an den Vordersitzen befestigt sind. 

Sie sind auch die Meister der Stereoanlage, denn die Passagiere können den Radiosender über den hervorragenden Bildschirm in der Armlehne wechseln. Die spektakuläre Hi-Fi-­Anlage von Bang & Olufsen (6890 Fr.) lässt sich am besten auf den vielfach verstellbaren, beheizten und belüfteten Sitzen geniessen. Der Sound ist so kristallklar, dass der wohlhabende Fahrgast das Gefühl hat, an einem intimen Konzert seines Lieblingskünstlers teilzunehmen. Die Frontpassagiere werden sich nicht beschweren können, denn dank der 22-fach verstellbaren Sitze ist es unmöglich, keine perfekte Sitzposition zu finden.

Die beiden Touchscreens scheinen mit den schwarzen Klavierlackeinlagen zu verschmelzen. Der Effekt ist gut, aber nicht von Dauer: Die Oberflächen registrieren leider jedes Verrutschen der Finger. Das sieht dann nicht mehr edel aus. Apropos schlecht gewählte Materialien: Die Hebel für Blinker und Scheibenwischer wurden eins zu eins vom A4 übernommen. Generell ist die Bedienung über den Touchscreen kein Quell der Freude (und der Verkehrssicherheit), weil sie zu viel Aufmerksamkeit vom Fahrer verlangt. Zudem muss man oft mit Nachdruck darauf bestehen, bis der Bildschirm den Befehl mit einer Vibration quittiert. Auch mit der Sprachsteuerung kommt man nicht schneller ans Ziel, weil das Audi-System Schwierigkeiten hat, die natürliche Sprache zu verstehen.

Erfreulicher: das wunderschöne Leder und die millimetergenaue Verarbeitung. Diese Fülle an Luxus hat natürlich ihren Preis, und zwar nicht nur auf der Rechnung. Audi gibt für sein 5.19 Meter langes Flaggschiff 2220 Kilogramm Leergewicht an – trotz Aluminiumstruktur. Dieses Gewicht erklärt sich auch durch andere Raffinessen wie das adaptive und prädiktive Fahrwerk. Es passt sich kontinuierlich dem Strassenzustand an, indem es von einer Kamera, die den Untergrund scannt, unterstützt wird. So hebt die über das 48-Volt-Bordnetz aktivierte Federung das Auto vor einer Bodenwelle um einige Zentimeter an. Bei einem drohenden Seitenaufprall neigt sich der S8 zur anderen Seite, um die Insassen besser zu schützen, und bei Kurvenfahrten wirkt die Limousine den Auswirkungen der Zentrifugalkraft entgegen, indem sie sich zur Innenseite der Kurve neigt.

Assistenzsysteme? Kein Musterschüler

Diese technische Teufelei beeindruckt beim sportlichen Fahren, der S8 wirft sich, auch dank der Hinterradlenkung, mit einer für diese Grösse ungeahnten Verve in die Kurven. Die Haftungsgrenze liegt unvorstellbar hoch, man muss den S8 schon brachial provozieren, damit er seine Contenance verliert. Selbst wenn sich der Fahrer aufgrund des unnatürlichen Lenkgefühls von der Strasse abgekoppelt fühlt, sind die Balance und die Traktion des Quattro-Antriebs verblüffend effizient. Dabei gibt es im Maschinenraum einen V8 mit 571 PS, dessen Power die 2.2 Tonnen zu Staub zerfallen lässt, wenn der Vierliter-Biturbo auf acht Zylindern zur Attacke bläst. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h dauert nur 3.8 Sekunden.

Der S8 verhält sich jedoch nie wie ein Vandale. Sein Drehmoment setzt sehr früh ein, schon bei 2000 U/min. Er beschleunigt linear, auch dank seines reaktionsschnellen Getriebes. Selbst der Klang des V8-Biturbos ist eher ein bedrohliches Fiepen als ein wildes Brüllen. Und will man die Fahrt in Ruhe geniessen, gibt der V8 nur ein kaum hörbares Brummen von sich. Auf langen Fahrten zeigt sich der S8 so von seiner besten Seite, denn er schluckt jede Unebenheit und filtert alle störenden Geräusche heraus. Der Komfort ist fantastisch, lange Strecken fühlen sich plötzlich viel kürzer an. 

Es gibt jedoch einen grossen Haken. Der S8 hat, genau wie die anderen A8, nur wenige Fahrhilfen. Es gibt eine Nachtsichtkamera mit Fussgängererkennung, ein Head-up-Display, einen adaptiven Tempomaten und einen Spurhalteassistenten, und das war es dann auch schon. Nachdem Audi 2018 die Einführung der Stufe 3 des autonomen Fahrens im A8 lanciert hatte, machte der Hersteller 2020 einen Rückzieher aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen. Stufe 3 sieht vor, dass der Autofahrer das Auto unter bestimmten Bedingungen gewähren lässt, aber bereit sein muss, das Lenkrad zu übernehmen, wenn das Auto ihn dazu auffordert («Hands off»). Angesichts der unklaren Haftungsfrage im Falle eines Unfalls hat Ingolstadt es vorgezogen, auf das System zu verzichten. Das geht so weit, dass der S8 nicht selbständig die Geschwindigkeit übernimmt, die auf den Geschwindigkeitsschildern angegeben ist, was der Travel-Assist eines VW Golf kann. Das ist angesichts des unregelmässigen Funktionierens im Kompaktwagen nicht allzu sehr zu bedauern – vom Spitzenmodell des Herstellers mit dem Claim «Vorsprung durch Technik» könnte man aber mehr erwarten. Die Limousine aus Ingostadt trägt sichtlich die Last ihrer sechs Jahre gegenüber der Konkurrenz.

Andererseits gibt es aber sonst nichts Altmodisches am S8. Der vielseitige Audi bewältigt den Spagat zwischen komfortablem Reisewagen und sportlich-stürmischer Limousine mit Bravour. 

Testergebnis

Gesamtnote 77.5/100

Antrieb

Der V8-Biturbo liefert dank seines unerbittlichen und beeindruckenden, aber nie überbordenden Griffs eine sensationelle Leistung ab. Schnelles Getriebe, ausser beim Herunterschalten.

Fahrwerk

Mit seiner vorausschauenden Aufhängung, seiner Allradlenkung und seinem Allradantrieb kann der S8 alles: komfortabel fahren oder in die Kurve gehen.

Innenraum

Der Luxus ist allgegenwärtig, die Montage vorbildlich, aber einige Materialien sind schlecht gewählt. Die Passagiere im Fond sind die Könige, das Raumangebot ist gut, aber nicht überwältigend.

Sicherheit

Das Fahrverhalten ist sehr sicher, und die Bremsen sind stark, aber es ist bedauerlich, dass die Fahrhilfen nicht umfangreicher sind.

Budget

Der Verbrauch ist in allen Situationen hoch. Die Preisliste ist noch zu lang, aber die Tarife sind an die der Konkurrenz angeglichen.

Fazit 

Der Audi S8 ist alles, vom komfortablen Reisewagen bis zum unerbittlichen Dragster. Lange Reisen werden sich sehr kurz anfühlen, vor allem auf deutschen Autobahnen, wo man die enorme Leistung des S8 voll ausnutzen kann. Er wird jedoch nicht das Auto für Technikfreaks sein, da die Limousine beim teilautonomen Fahren hinterherhinkt.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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