Es ist Montag, wir feiern Jubiläen. Heute mit dem Mercedes-Benz 600, der vor 60 Jahren seine Weltpremiere erlebte.
– 2723 Exemplare gebaut in 18 Jahren
– Jedes Fahrzeug war ein Verlustgeschäft
– Design von Paul Bracq
Es war «Wirtschaftswunder» in Deutschland Mitte der 50er Jahre, nichts schien unmöglich. Fritz Nallinger, damals Chefentwickler bei Daimler-Benz, erhielt von seinen Vorgesetzten den Auftrag, das «technisch Machbare» auf vier Räder zu bringen. Der noch junge Paul Bracq, der Künstler unter den Auto-Designer, zeichnete ein «ewiges» Design. 12 Prototypen wurden gebaut, eine unglaubliche Anzahl für damals, 15 Patente wurden angemeldet.
Leider kein V12
Die Vorstellung des Mercedes-Benz 600, intern als W100 bezeichnet, erfolgte im September 1963 auf der IAA in Frankfurt. Der «Grosse Mercedes» erhielt tatsächlich alles, was damals technisch möglich war. Besonders zu erwähnen ist die «Komforthydraulik», mit der sich die Sitze vorne und hinten, die Fenster und auch das Schiebedach fast lautlos betätigen liessen. Dazu gab es eine Luftfederung mit Niveauregulierung an allen vier Rädern.
Auch der Motor des Mercedes-Benz 600 war eine Neuentwicklung. Nallinger hatte auch 12-Zylinder entwickelt, doch man entschied sich dann doch für einen V8 mit 6,3 Liter Hubraum und zu Beginn 250 PS. Dieser beschleunigte das mindestens 2,4 Tonnen schwere Fahrzeug in weniger als 10 Sekunden auf 100 km/h und machte es über 200 km/h schnell. Geschaltet wurde über eine ebenfalls neue 4-Gang-Automatik.
Sonderwünsche
Ab Werk gab es zwei Versionen, den 600, 5,54 Meter lang, und den 600 Pullman, der mit 3,9 Meter Radstand sowie vier oder sechs Türen auf eine Gesamtlänge von 6,24 Meter kam. Die 1,95 Meter Breite waren für die damalige Zeit mehr als imposant. Selbstverständlich gab es auch diverse Sonderanfertigungen, am berühmtesten ist wohl ein für Papst Paul VI. gebautes Landaulet. Wobei es diese Halb-Cabrios auch direkt ab Werk gab, mit vier oder sechs Türen; es entstanden immerhin 59 Exemplare.
Mercedes hatte grosse Pläne mit dem W100, die Produktionskapazitäten waren auf 3000 Exemplare pro Jahr ausgelegt; das war in etwa die Anzahl an Fahrzeugen, welche die Konkurrenten Rolls-Royce und Bentley damals absetzten. Doch es kam etwas anders, in der gesamten Produktionszeit von 18 Jahren wurden nur 2723 Mercedes-Benz 600 verkauft, mit Abstand am meisten mit «kurzem» Radstand.
Von Elvis bis Coco
Jeder verkaufte W100 war ein Verlustgeschäft, wurden die Fahrzeuge doch in aufwendiger Handarbeit gebaut. Doch Mercedes hielt am «Grossen» fest, in Sachen Prestige war der 600er unschlagbar – er definiert wohl bis heute das Bild, wie eine Staats-Limousine auszusehen hat. Kein Wunder, denn es standen diese Mercedes-Benz 600 in Diensten vieler Staatsoberhäupter, dies von Ägypten über Kuba bis in die Türkei.
Auch die Liste der weiteren prominenten Besitzer ist so lang wie interessant. Der «Held der Sowjetunion» Leonid Breschnew fuhr privat einen Mercedes-Benz 600 – genau wie der Drogenbaren Pablo Escobar. Musiker wie Elvis Presley, John Lennon, David Bowie oder Udo Jürgens besassen einen W100. Elizabeth Taylor liebte ihren «Grossen Mercedes» genau wie Coco Chanel, Idi Amin hatte einen in seinem Besitz und Jeremy Clarkson auch.
Komplexe Technik
In der Basis-Version kostete ein Mercedes-Benz 600 zu Beginn 56’500 deutsche Mark (das wären inflationsbereinigt heute etwa 130’000 Franken). Zu Ende seiner Bauzeit hatten die Preise deutlich angezogen, da mussten für die Einstiegsvariante schon 144’032 DM bezahlt werden, für einen Landaulet mit sechs Türen waren 175’392 DM fällig. So richtig gesucht sind die W100 heute nicht, ihre Technik (Hydraulik) ist zu komplex, gute Exemplare sind ab etwa 200’000 Franken zu haben. Es geht aber auch anders: der «Kurze», den wir zeigen, wurde vor einigen Jahren in der Schweiz restauriert, die Kosten beliefen sich auf über 500’000 Franken.
In der monatlich erscheinenden Klassik-Beilage der AUTOMOBIL REVUE finden Sie immer schöne Old- und Youngtimer.