Renault hat im Laufe der Geschichte schon diverse ikonische Modelle gebaut. Einige von ihnen wie der 4CV, R4, R5, Espace oder Twingo waren nicht nur kommerzielle Erfolge, sondern revolutionierten auch ihr jeweiliges Segment. Das ist aber Vergangenheit, und in den letzten Jahren zeichnete sich die Marke eher dadurch aus, mehr oder weniger geschickt mit dem Strom zu schwimmen. Mit dem Megane E-Tech Electric soll sich dies ändern und Renault wieder an die Spitze fahren.
Im Gegensatz zur Konkurrenz wie Volkswagen oder Hyundai setzt Renault für das neue Elektroauto nicht auf einen neuen Namen, sondern rezykliert einen bekannten: Der Megane ist bestens bekannt, dadurch soll bestehenden Kunden der Schritt zur Elektromobilität erleichert werden – so der Plan. Es ist eine ähnliche Strategie, wie sie Peugeot mit dem E-308 und anderen verfolgt, allerdings mit einem Unterschied: Der Megane ist nicht bloss die elektrische Variante eines bestehenden Modells mit Verbrennungsmotor, sondern ein komplett neues Auto auf einer neuen Plattform. Der Megane E-Tech ist auf der von der Renault-Nissan-Allianz speziell für Elektrofahrzeuge entwickelten CMF-EV-Plattform aufgebaut.
Nicht mit Allrad
Die elektrische Maschine wird von einer Batterie gespiesen, die sich zwischen den beiden Achsen im Unterboden befindet. In der Schweiz ist die Produktpalette auf die stärkste Version reduziert, die auch die grösste Reichweite hat. Der EV60 verfügt über eine Batterie mit einer 60-kWh-Batterie und eine 160 kW (218 PS) starke Elektromaschine an der Vorderachse. Was leider fehlt, ist eine Variante mit Allradantrieb, obwohl die Plattform diesen ermöglichen würde. Auch die Allradlenkung ist nicht vorhanden. Ob diese beiden Lücken im Katalog den Erfolg des Modells hierzulande schmälern werden, wird sich noch zeigen.
Der Megane E-Tech unterscheidet sich optisch von seinem Vorgänger mit Verbrennungsmotor. Er kommt im SUV-Stil daher, wurde höher gelegt und ist etwa 15 Zentimeter kürzer als der Vorgänger. Die völlig neue Formensprache der Marke ist die Handschrift von Designer Gilles Vidal. Besonderes Augenmerk hat er auf fliessende Linien gelegt, was sich unter anderem an den Türgriffen zeigt. Bei den vorderen Türen sind sie in der Karosserie versenkt und werden automatisch ausgefahren, wenn sich der Schlüssel dem Fahrzeug nähert. Hinten sind sie in den C-Säulen versteckt. Die Türen öffnen sich zu einem neu gestalteten Innenraum, der mit schönen Materialien ausgestattet ist. Dies gilt insbesondere für das Lederlenkrad. Es ist leicht abgeflacht und von ausgezeichneter Verarbeitung, genau wie die Sitze in der getesteten Iconic-Ausstattung. Diese sind ebenfalls mit Leder bezogen, elektrisch verstellbar und mit einem Massageprogramm ausgestattet.
Auch begrüssenswert: Die Klimaanlage wird über physische Tasten gesteuert. Renault hat es sich erspart, sich mit der Entwicklung einer Software zu befassen. Stattdessen griff man auf Android Automotive, die Automobil-Software von Google, zurück. Auch das ist eine gute Sache, schliesslich hat kaum ein Unternehmen auf der Welt mehr Erfahrung mit Softwareentwicklung als die Kalifornier. Das Ergebnis ist eindeutig positiv: Das Kombiinstrument (12.3 Zoll Bilddiagonale) und der Infotainmentbildschirm (12 Zoll Bilddiagonale) sind klar strukturiert und gut ablesbar, die Auflösung ist hervorragend. Der Aufbau des Inneraums ohne Mittelkonsole schafft zwar Platz und ein grosszügiges Raumgefühl, sorgt jedoch für ein Manko bei der Bedienung des Infotainments: Es fehlt nämlich eine Handauflage, die ein zielsicheres Treffen des Touchscreens vereinfachen würde.
Gute Verarbeitung
Der Wegfall der Mittelkonsole schafft zwar einen zusätzlichen Stauraum von sieben Litern unter der Armlehne, führt aber auch dazu, dass der Gangwahlschalter auf einen weiteren Lenkstockschalter verlegt wurde. Diese Konfiguration ist wenig praktisch, da die Bedienelemente für die Scheibenwischer und das Radio auch noch rechts hinter dem Lenkrad liegen. Das ist zwar nur ein Detail, aber ein störendes Detail inmitten eines insgesamt sehr gelungenen Armaturenbretts. Ansonsten gibt der schön ausgestattete und verarbeitete Innenraum keinen Anlass zur Kritik.
Die bequemen Vordersitze beeinträchtigen den Platz auf den Rücksitzen. Wenn die Vordersitze in der untersten Position eingestellt sind, können die Passagiere auf den Rücksitzen ihre Füsse nicht unter die Sitzfläche schieben. Die abfallende Dachlinie beeinträchtigt die Kopffreiheit leicht. Glücklicherweise ist die Kniefreiheit in Ordnung. Für den Kofferraum zeigt sich beim Megane E-Tech ein differenziertes Bild. Einerseits verfügt er mit einem Fassungsvermögen von 440 Litern über grosszügig Platz, andererseits liegt die Ladekante auch sehr hoch. Hinzu kommt, dass es keinen doppelten Boden gibt, der bei umgeklappten Sitzen für eine ebene Ladefläche sorgen würde. Das 32-Liter-Staufach im Unterboden für Ladekabel ist etwas zu klein, um seinen Zweck zu erfüllen.
Der Fahrer fühlt sich am Steuer des Megane wohl. Der elektrische Kompaktwagen ist zweifellos eines der am angenehmsten zu fahrenden Autos in seinem Segment. Trotz der erhöhten Bodenfreiheit und des fehlenden Fussraums ist die Sitzposition hervorragend, und die Bedienelemente liegen gut in der Hand. Die lange Radstand sorgt für eine hohe Stabilität, während die MacPherson-Vorderachse und die Mehrlenker-Hinterachse für ein gutes Fahrgefühl sorgen. Die Federung des Franzosen ist eher auf der harten Seite. Das Gewicht des Fahrzeugs ist mit 1700 Kilogramm für ein Elektroauto tief.
Als Gesamtpaket fühlt sich der Megane eher dynamisch als komfortabel an, nicht zuletzt auch wegen der 20-Zoll-Felgen und der flachen Reifen (215/45 R20). Die Lenkung ist einwandfrei. Dank einer Übersetzung von 12:1 ist sie nicht nur direkt, sondern auch angenehm präzise. Gerade im Umfeld der kompakten Elektroautos ist diese leicht dynamische Abstimmung eine willkommene Abwechslung. Unterhalb von 100 km/h sind die Windgeräusche angenehm zurückhaltend, bei Autobahntempo jedoch deutlich hörbar und störend. Die Assistenzsysteme sind umfangreich und funktionieren gut.
Dynamisch unterwegs
Auch die Längsdynamik ist auf einem guten Niveau mit einer Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 7.4 Sekunden. Auch der Durchzug von 80 auf 120 km/h ist stark. Mit den Schaltwippen hinter dem Lenkrad lässt sich die regenerative Bremsleistung in vier Stufen vom Freilauf bis zu einer starken Verzögerung einstellen. Ein Abbremsen bis zum kompletten Stillstand allein mit dem Gaspedal ist aber nicht möglich. Die Fussbremse muss also immer bemüht werden, sie weist einen äusserst kurzen Pedalweg auf und ist damit nicht ganz einfach zu dosieren, was auf den letzten Metern oft zu einem abrupten Abbremsen führt.
Der Durchschnittsverbrauch wird von Renault mit 17.3 kWh/100 km angegeben. In der Praxis konnte dieser Wert sogar im Winter erreicht werden. Der Grund dafür ist, dass die Batterie des Megane E-Tech mit einer Wärmepumpe ausgestattet ist, was den Unterschied in der Reichweite zwischen Winter- und Sommertemperaturen minimiert. Das Ergebnis ist eine tatsächliche Reichweite von fast 300 Kilometern, was angesichts der Batteriekapaztät von bloss 60 kWh ein guter Wert ist. Bei der Batteriegrösse allerdings hat die Konkurrenz auch in diesem Segment mehr zu bieten. An einer Schnellladestation kann die Batterie mit einer maximalen Leistung von 130 kW geladen werden und erreicht nach 42 Minuten wieder 80 Prozent ihres Ladestands. Die Option Optimum-Charge ist in der Schweiz im Basispreis bereits inbegriffen und ermöglicht das Wechselstromladen an einer Wallbox mit bis zu 22 kW.
Der Megane E-Tech mit 220 PS kostet in der Grundausstattung exakt 40 000 Franken. In der teuersten Ausstattungslinie Iconic kann der Preis – mit einigen Optionen – schnell einmal auf über 50 000 Franken ansteigen. Das ist deutlich mehr als beim alten Megane mit Verbrennungsmotor, dessen Preis bei 34 600 Franken beginnt. Doch trotz des gemeinsamen Namens und der ähnlichen Abmessungen können die beiden Modelle nicht miteinander verglichen werden. Der neue Megane ist ein Zeichen dafür, dass bei Renault auch eine neue Ära begonnen hat. Und sofern die nachfolgenden Modelle dem Megane in nichts nachstehen, wird diese äusserst interessant.
Testergebnis
Gesamtnote 77/100
Antrieb
Der Antriebsstrang des Renault Megane E-Tech gibt keinen Anlass zur Kritik: Der Motor ist kräftig, der Durchzug gut. Einzig die Batteriekapazität ist mit 60 kWh etwas knapp bemessen.
Fahrwerk
Mit MacPherson-Aufhängung vorne und Mehrlenkerachse hinten liegt der Megane gut auf der Strasse. Er profitiert vor allem von seinem verhältnismässig geringen Gewicht.
Innenraum
Abgesehen von einigen ärgerlichen Details ist der Innenraum insgesamt gut verarbeitet. Der Kofferraum ist gross, aber die Ladekante liegt hoch.
Sicherheit
Die Assistenzsysteme sind zahlreich und wenig intrusiv.
Budget
Der Preis ist ein starkes Argument: Mit einem Einstiegspreis von 40 000 Franken ist der Renault Megane E-Tech eines der günstigsten Angebote auf dem Markt.
Fazit
Trotz einiger Schwächen ist der Renault Megane E-Tech mit seiner guten Verarbeitung und dem angenehmen Fahrverhalten eines der interessanteren Angebote im Segment der elektrischen Kompaktwagen.
Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.