Nein, das soll keine Rechtfertigung werden. Es ist eher eine Erklärung. Immer Ende Dezember, wenn es an der Zeit ist, zurückzublicken auf das Geleistete des Jahres, hat man die nötige Distanz für eine objektive Sicht. In unserem Fall heisst das: Wir haben im Jahr 2022 nicht ganz 100 Fahrzeuge umfassend getestet, gemessen und bewertet. Ohne Vorurteile, ohne persönliche Präferenzen.
Und wenn wir jetzt dann Ende Jahr einen Schritt zurück treten und das Geleistete anschauen, merken wir, dass sich jedes Jahr dasselbe Bild zeigt. Unter den bestwerteten Autos des Jahre sind auffällig viele Sportwagen oder zumindest sportlich angehauchte Modelle. Und dann kommen halt doch die Rechtfertigungen. Die Exklusivität eines Ferrari, die Vibrationen eines Reihenfünfzylinders oder der unverwechselbare Sound eines Sechszylinder-Boxermotors sprechen unsere Emotionen an und sorgen für eine leichte Verfälschung unserer – eigentlich – komplett neutralen Bewertung. Ist das wirklich so falsch? Nein, denken wir. Denn, auch wenn es fast alle da draussen nicht zugeben, für fast alle hat das Auto immer auch eine emotionale Komponente. Sei es die Hausfrau, die mit ihrem Cinquecento zum Einkaufen fährt, der Gartenbauer mit seinem Amarok oder die Bankerin mit dem 911er, für sie alle ist ihr Auto mehr als nur vier Räder und eine Tonne Stahl. Sie alle mögen ihr Fahrzeug, vertrauen ihm, geben ihm einen Kosenamen. Und da die Sportwagen nach wie vor die stärksten Emotionen auslösen, zum Träumen einladen, sind sie in unserer Bewertung entsprechend weit vorne vertreten. Und trotzdem kann theoretisch jedes getestete Modell zu den Besten gehören, unabhängig von purer Motorleistung oder guter Beschleunigung. Denn jedes Fahrzeug wird in seinem Umfeld bewertet, und die Kriterien werden den Anforderungen entsprechend gewichtet.
Aber es ist immer das gleiche Bild: Eigentlich gibt es ja heute keine schlechten Autos mehr. Ja, wir wissen dass dieser Spruch fast ebenso alt ist wie das Automobil selbst, und wollen ihn deshalb etwas eingrenzen. Das Auto, wie wir es heute kennen, nähert sich wohl dem Höhepunkt seiner Entwicklung an. Der Verbrennungsmotor wird bald abgelöst, die Innovationschritte in der Fahrwerksentwicklung werden kleiner und kleiner, die Ressourcen in der Entwicklung verschieben sich zu Elektronik und Software. So hält man – halten wir – eben an den Emotionen fest, die uns noch bleiben: an Sound, Vibrationen, Beschleunigung und Fahrdynamik. Genug der Rechtfertigung – wir zeigen auf den folgenden Seiten unsere bestbewerteten Autos des vergangenen Jahres.
BMW M3 Competition, AR-Testnote 86
Voruteile gegenüber dem BMW M3? Wen interessierts – die Sportlimousine setzt sich an die Spitze der diesjährigen AR-Bestenliste. Der Reihensechsyzlinder ist das Markenzeichen von BMW und passt nach wie vor hervorragend zum M3, der Allradantrieb arbeitet fabelhaft und öffnet die ganze Bandbreite fahrdynamischer Situationen vom sicheren Vorwärtskommen im Schnee bis zum kontrollierten Drift auf der Rennstrecke. Ja, die Limousine ist schwer geworden, sie ist gross geworden, sie ist teuer geworden. Und sie ist nicht mehr so kompromisslos wie in früheren Generationen. Und vielleicht gerade deswegen gehört sie zu den besten alltagstauglichen Sportwagen, die man für (viel) Geld kaufen kann. Dass BMW inzwischen auch noch eine Kombiversion nachgeschoben hat, passt bestens dazu.
Porsche Cayman GT4 RS, AR-Testnote 85
Ist der Cayman der bessere 911er? Er ist auf jeden Fall anders – und er ist gut. Sehr gut sogar. Der Motor sitzt direkt im Schwerpunkt, das ganze Auto lässt sich mühelos mit kontrollierten Gasstössen um die Hochachse rotieren. Die kompakten Abmessungen machen den Cayman GT4 RS zur agileren Alternative zum inzwischen sehr gross gewordenen 911 GT3 RS. Und überhaupt: Der Motor! Der freisaugende Sechszylinder-Boxer stammt direkt aus dem GT3, atmet die Luft hörbar direkt am Kopf des Fahrers vorbei ein, die 500 PS arbeiten eine Handbreit hinter den Schalensitzen zum Innenraum hin geöffnet. Der Preis ist hoch, der Fahrspass aber auch.
Bentley Continental GTC Speed, AR-Testnote 84.5
Mit der Unangepasstheit ist es wie mit der eigenen Meinung: Man muss sie sich leisten können. Im Falle des Bentley Continental sind es mindestens 250 000 Franken, die es braucht, um sich mit einem einen Sechsliter-W12 gegen den politisch korrekten Elektro-und-Hybrid-Mainstream zur Wehr zu setzen. Wir geben es auch ganz unumwunden zu, der Motor hatte einen sehr grossen Einfluss auf die gute Platzierung des GTC Speed in unserer Bestenliste. Aber die kaum zu bändigende Kraft des Aggregats, das Drehmoment, das das über zwei Tonnen schwere Cabriolet bereits ab 1700 U/min vorwärts schiebt, sind mehr als beeindruckend.
Ferrari 296 GTB, AR-Testnote 84
Es war eine intensive Diskussion, ob man einen elektrifizierten Ferrari wirklich so positiv bewerten dürfe. Die Angst, von den Puristen im Eilverfahren zum Schafott geführt zu werden, war dabei immer im Hinterkopf. Aber am Ende ist die Punktvergabe der Redaktion immer ein objektiver Vorgang, und die nahezu perfekte Symbiose zwischen dem Elektroantrieb und dem Dreiliter-V6 ist beeindruckend und der Schub nahezu bei jeder Drehzahl in beeindruckender Weise präsent. Das Fahrwerk lässt trotz etwas Mehrgewicht durch das Hybridaggregat nichts zu wünschen übrig, der Fahrer ist in jeder Situation eine Einheit mit dem Auto, ganz wie es sich gehört für einen Ferrari.
Hyundai Tucson, AR-Testnote 84
Der Tucson war 2021 Hyundais Bestseller in der Schweiz. Mit dem Plug-in-Hybrid positioniert sich das Kompakt-SUV noch besser. Die Basis dafür ist solide: eine Systemleistung von 265 PS, eine elektrische Reichweite von real bis zu 50 Kilometern, den für die Schweiz so wichtigen Allradantrieb und kaum Einschränkungen im Innenraum. Dass der Hybridantrieb auch bei seltenem Laden hervorragend funktioniert, ist ein weiterer Pluspunkt. Das Design ist Geschmacksache und womöglich in einigen Jahren heillos überholt, aber das Aussehen ist im Segment der Praktiker auch zweit- oder drittrangig. Deutlich wichtiger ist da der Preis, und da überzeugt Hyundai – wie eigentlich immer.
Porsche Cayenne Turbo GT, AR-Testnote 84
Wir wollen gar nicht streiten darüber: Der Cayenne Turbo GT ist komplett überflüssig. Aber das ist irgendwie das gesamte Segment der Sport-SUV, in dem sich das 640-PS-Monster aus Zuffenhausen messen muss. Dass es ihn ausschliesslich mit der Coupékarosserie gibt, macht die Sache auch nicht besser. Und trotzdem beweisen die Verkaufszahlen von Audi RS Q8, Lamorghini Urus, BMW X6M und Co., dass eine gewisse Nachfrage besteht, die man als Hersteller bedienen kann. Und Porsche macht das mit dem Cayenne Turbo GT porschetypisch einwandfrei mit einem sauber abgestimmten Fahrwerk, überzeugendem Motor und makelloser Verarbeitung.
Cupra Formentor VZ5, AR-Testnote 83.5
Eigentlich wird im Volkswagen-Konzern ja alles brüderlich geteilt, von der Plattform bis zum Blinkerschalter. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Reihenfünfzylinder, den Audi einfach nur für sich selber behalten möchte. Nur den Spaniern hat man ihn zur Verfügung gestellt in einer streng limitierten Auflage von 7000 Stück. Mit denen baut Cupra den Formentor VZ5. Und auch sonst packt man ihn Barcelona so ziemlich alles aus Ingolstadt in das Kompakt-SUV, was Fahrspass bringt – wie beispielsweise das Sperrdifferenzial mit Driftmodus für die Hinterachse. Und bei Cupra wirkt das alles so herzlich unverkrampft, dass man ihn einfach mögen muss, den Formentor VZ5.
Kia EV6, AR-Testnote 83.5
Es wäre mit Sicherheit etwas falsch mit unserer Bestenliste, wenn der Kia EV6 nicht weit vorne auftauchen würde. Schliesslich sind die Koreaner ziemlich stolz darauf, dass ihr Stromer zum europäischen Car of the Year 2022 gewählt wurde. Und auch im Test der AUTOMOBIL REVUE hat der EV6 damit überzeugt, dass er Qualitäten, die bisher vor allem dem hochpreisigen Segment vorbehalten waren, auch in die Masse bringen kann. Dazu gehören die 800-Volt-Architektur, High-Power-Charging mit bis zu 240 kW, ein tiefer Verbrauch und eine hohe Reichweite. Damit setzt Kia die Konkurrenz unter Zugzwang. Und dann lockt noch die Aussicht auf den – immer noch nicht lieferbaren – GT mit 585 PS.
Hyundai Santa Fe PHEV, AR-Testnote 83
Über 70 000 Franken sind ein stolzer Preis für einen Hyundai. Dafür gibt es beim Santa Fe PHEV aber auch richtig viel Auto und viel Ausstattung, was den Preis mehr als rechtfertigt. Die Hybridbatterien sind clever unter den Vordersitzen verbaut, sodass sie den Platz im Kofferraum nicht einschränken und sogar noch Raum bleibt für eine optionale dritte Sitzreihe. Die Konkurrenz an siebenplätzigen SUV mit Plug-in-Hybrid ist vor allem im Premiumsegment zu finden, sodass der Santa Fe preislich dann doch wieder sehr gut dasteht, zumal bei Hyundai die Verarbeitung einwandfrei, die Ausstattung umfangreich und die Aufpreislisten kurz und übersichtlich gehalten sind.
Porsche 911 Carrera GTS, AR-Testnote 83
Noch ein Porsche? Ja, noch ein Porsche. Alleine vom 911er gibt es in zwischen über 30 Varianten. So erstaunt es kaum, dass es eine davon in unsere Bestenliste geschafft hat. Von den GTS-Modellen behauptet Porsche, sie seien eine Kombination des Besten aus allen Welten. So wenig Glauben wir üblicherweise diesen Marketingversprechen schenken, so wahr ist es doch für den Carrera GTS. Mit einem Preis von deutlich über 200 000 Franken ist der GTS für die meisten Neuwagenkunden unerreichbar. Aber schon der Basis-Neunelfer ist nicht gerade ein Schnäppchen – und geht in der Schweiz trotzdem weg wie frische Gipfeli an einem Sonntagmorgen.
Zusammensetzung der Testwagenflotte
Exakt 95 Testwagen waren es, die wir im Jahr 2022 für die AUTOMOBIL REVUE ausführlich getestet haben. Bei den meisten davon konnten wir unsere eigenen Messungen für Bremsweg, Beschleunigung, Verbrauch und andere relevante Daten durchführen – bei einer Minderheit war das, meist wegen schlechten Wetters, nicht möglich.
Bei der Auswahl der Fahrzeuge stellt sich immer wieder die Frage nach deren Ausgewogenheit. Sind unsere Testwagen zu teuer? Sind zu viele Sportwagen dabei? Sind es zu viele Deutsche, Franzosen oder Japaner? Zur Einordnung nachfolgend einige Zahlen zur Zusammensetzung unserer Testwagenflotte.
Betrachtet man den Preis aller 2022 getesteten Autos, liegt der Median bei 64 040 Franken. Dies ist der Preis inklusive aller Sonderausstattungen – bei der die Importeure ja üblicherweise nicht geizen und gerne zeigen, was ihre Autos können. Lässt man die Zusatzaustattung weg und betrachtet den Basispreis der getesteten Modelle, sinkt der Median auf 52 700 Franken. Die preisliche Bandbreite erstreckt sich von 21 640 Franken, die der Dacia Spring kostet, bis zu rund 340 000 Franken am anderen Ende. Diesen Spitzenplatz teilen sich der Bentley Continental GTC Speed und der Ferrari 296 GTB.
Wenig überraschend ist auch bei der Motorleistung die Spannweite nicht gerade klein. Am unteren Ende der Fahnenstange befindet sich – wieder – der Dacia Spring mit gerade einmal 33 kW (45 PS). Dann geht es aber steil aufwärts, ausser dem Spring hat bloss noch der Toyota Aygo X weniger als 100 PS. Die leistungsmässige Spitze bildet mit deutlichem Abstand der Ferrari 296 GTB mit einer Motorleistung von 610 kW (830 PS). Auf den Plätzen zwei und drei liegen der Bentley Continental GTC Speed mit 485 kW (660 PS) und der Porsche Cayenne Turbo GT mit 471 kW (641 PS). Und wie sieht es mit dem Durchschnitt aus? Der Median der Leistung aller getesteten Fahrzeuge liegt bei 16 5 kW (224 PS). Das dürfte leicht höher sein als der Mittelwert der im vergangenen Jahr tatsächlich verkauften Neuwagen. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Motorleistung der in der Schweiz zugelassenen Neuwagen des Jahres 2021 liegt bei 149 kW (202 PS).
Von den 96 getesteten Fahrzeugen waren knapp 19 Prozent rein elektrisch angetrieben. Der Anteil der Elektroautos aller in der Schweiz zugelassenen Neuwagen liegt bei 16 Prozent, also minimal tiefer. Betrachtet man die Länderverteilung, so zeigt sich ein eindeutiges Bild: Das meistvertretene Land ist Deutschland mit 38 Prozent, dann folgen Japan mit 18 Prozent, Korea mit 12 Prozent und Frankreich mit 10 Prozent. Vergleicht man diese Zahlen mit den verkauften Neuwagen im vergangenen Jahr, so zeigt sich eine leichte Untervertretung der deutschen Marken. So waren diese in der Realität für knapp 44 Prozent aller Neuwagenverkäufe verantwortlich, während es die japanischen Marken auf 13, die Koreaner auf 6.5 und die Franzosen auf 8 Prozent brachten.