Die Lärmliga Schweiz ist ein Verein, den es seit über 60 Jahren gibt. Mehr Ruhe für die Bevölkerung ist das einzige Anliegen, für das sie kämpft. Als Hauptsünder hat die Liga drei Verursacher ausgemacht, alle zuständig für die Mobilität im Land: die Strasse, die Schiene und die Luftfahrt. Zu den Herausforderungen gehört, dass es dank Milliardeninvestitionen zwar Fortschritte in Sachen Lärmschutz gibt, jedoch zugleich die Mobilität wächst und die Fortschritte wieder aufwiegt.
Eine zusätzliche Schwierigkeit manifestiert sich besonders im Strassenverkehr. Man kann zwar Maschinen nach festgelegten Normen messen und mit Emissionsgrenzwerten gesetzlich einhegen. Schwieriger ist es, das menschliche Verhalten zuverlässig in die gewünschten Bahnen zu leiten, denn auch mit einem vollständig legalen Auto lassen sich vortrefflich Geräusche erzeugen, die andere Menschen als Lärm taxieren. Aktuell hat die Polizei in der Schweiz primär ein Mittel, um überlaute Fahrzeuge herauszufiltern: technische Kontrollen. Entspricht das Auto oder Motorrad nicht den Vorgaben der Homologation, wird der Fahrzeugbesitzer gebüsst und muss das Fahrzeug wieder auf den legalen Originalzustand umrüsten. Variante B sind Lärmmessungen. Die von der Polizei durchgeführte Nahfeldmessung wird mit einem Referenzwert verglichen. Dieser selbst ist nicht Teil der Strassenzulassung, ein Überschreiten dieses Werts deshalb nur ein Indiz für ein möglicherweise zu lautes Fahrzeug. Klarheit bringt erst eine spätere Kontrolle auf dem Strassenverkehrsamt oder bei einer autorisierten Prüfstelle.
Das alles ist in der Praxis ziemlich aufwendig und zielt nur auf die technischen Voraussetzungen der Fahrzeuge. Das menschliche Verhalten kann so nicht erfasst werden. Dabei ist die gesetzliche Grundlage an sich klar und auch streng. Jede vermeidbare Belästigung von Strassenbenutzern und Anwohnern sei zu unterlassen, egal ob mittels Lärm, Staub, Rauch oder Geruch, fordert das Strassenverkehrsgesetz. Die Verkehrsregelnverordnung listet detailliert mögliche Verfehlungen aus, vom «Vorwärmen und Laufenlassen des Motors stillstehender Fahrzeuge» über «hohe Drehzahlen» im Leerlauf oder beim Fahren bis zum schnellen Beschleunigen und – wortwörtlich nicht genannten, aber umschriebenen – Reifenquietschen in Kurven. Polizisten gelten in solchen Fällen zwar als glaubwürdige Ohrenzeugen, ihre Aussagen werden als Basis für Strafverfahren zugelassen. Aber auch das ist in der Praxis eher schwer umsetzbar.
Wer unnötiger Lärmbelastung im Strassenverkehr an den Kragen will, setzt die Hoffnung deshalb auf technischen Fortschritt. Auf einfach einsetzbare Geräte, sogenannte Lärmblitzer. Einen solchen stellte die Lärmliga einem Schweizer Fachpublikum an einer Tagung im November vor. Das Gerät trägt den Namen Medusa, wurde für einmal nicht von Schweizern erfunden, obwohl auch hier private und universitäre Forschung auf diesem Gebiet betrieben wird, sondern in Frankreich von der Entwicklungsplattform Bruitparif. Seit Jahren kommt es dort im Testbetrieb zum Einsatz.
Schwierige Messung im Verkehr
Es gehe darum, den Lärm verständlich und sichtbar zu machen, erläuterte Raphaël Coulmann, Verkaufsleiter von Bruitparif. Tatsächlich ist die Herausforderung gross. Schon nur ein Fahrzeug auf abgesperrtem Gelände korrekt auszumessen, beispielsweise für die Homologation, bedeutet einen immensen Aufwand. Einzelne Krachmacher aus dem fliessenden Verkehr herauszufiltern, ist nochmals eine ganz andere Herausforderung.
Konkret macht dies Medusa mit vier etwa 20 Zentimeter voneinander angeordneten Mikrofonen und einer Kamera für die Nummernschilderkennung der Fahrzeuge. Diese Geräte wurden bislang mit pädagogischem Ansatz eingesetzt. Die Verkehrsteilnehmenden konnten den eigenen Geräuschpegel auf Leuchttafeln sehen. Noch sind die Geräte für den gerichtsfesten Einsatz nicht homologiert, doch 2023 soll es in Frankreich so weit sein. Dafür werden zwei der Vierfachmikrofone mit zwei Kameras (eine fotografiert die Fahrzeuge von vorn, eine von hinten) an einen Kandelaber montiert. Die Herkunft des Lärms wird 25-mal pro Sekunde bewertet, herausgefiltert wird jeweils das lauteste Fahrzeug. In der anschliessenden Datenverarbeitung werden die akustischen und optischen Aufnahmen gewissermassen übereinandergelegt.
Ob und wie mithilfe von Lärmblitzern laute Verkehrsteilnehmer in der Schweiz zur Rechenschaft gezogen werden können, wird sich noch zeigen müssen. Da darf mit Spannung ein Bericht der Bundesämter für Strassen (Astra) und Umwelt (Bafu) erwartet werden. Den Auftrag dazu bildet eine Motion der nationalrätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek), die «übermässigen Motorenlärm wirksam reduzieren» soll. Darin ist der Bundesrat aufgefordert darzulegen, «mit welchen Instrumenten der Bund die Vollzugstätigkeit unterstützen kann, insbesondere durch die Entwicklung und den Einsatz von Lärmblitzern, und welche rechtlichen Grundlagen dafür notwendig sind». Interessant wird unter anderem sein, wie der Bericht, der laut Astra demnächst in die Vernehmlassung gehen soll, die Grenzwerte definiert, deren Überschreitung allenfalls bestraft würde. Die Homologationswerte können es nicht sein, schliesslich werden diese frei von Umgebungsgeräuschen ermittelt.
Hintergrund der Bemühungen zur Reduktion unerwünschter Geräuschemissionen sind die gesundheitlichen Folgen. Es gibt Studien, die als Folge einer Verdoppelung der Lärmbelastung eine um drei bis zehn Prozent erhöhte Depressions- und gar Suizidgefährdung feststellen. Zu hoher Umgebungslärm führt ausserdem zu Schlafstörungen und langfristig zu Herzproblemen. Die einzelnen Ursachen solcher Schädigungen aufzudröseln, ist indes äusserst knifflig. Dennoch traut sich die Wissenschaft konkrete Aussagen zu, beispielsweise, dass Umgebungslärm in Westeuropa jährlich für den Verlust von bis zu 1.6 Millionen gesunden Lebensjahren verantwortlich sei, also Lebensjahren, die aufgrund von Erkrankung, Behinderung und vorzeitigem Tod verloren gehen.
Fahrverhalten wichtiger als Vorschiften?
Was die Schweizer Bemühungen Richtung verschärfter Kontroll- und Straftätigkeit, die Lärmblitzer aus Frankreich, spezifische Fahrverbote auf beliebten Strecken in Deutschland oder das 2020 auf einigen Strassen in Tirol eingeführte Fahrverbot für Motorräder mit einem Standgeräusch von über 95 dB (A) gemeinsam haben, ist der Versuch, die wie auch immer definierten schwarzen Schafe aus dem Verkehr zu ziehen. Denn Umfragen zeigen immer wieder, dass Ausreisser nach oben viel öfter beklagt werden als ein gewisses Grundrauschen des Verkehrs.
Potenziellen Ausreissern ist eine Studie im Auftrag des deutschen Umweltbundesamtes auf den Grund gegangen. Mehrere Fahrzeuge wurden im realen Verkehr gemessen und bewertet, nicht ausschliesslich nach Schalldruck, sondern nach weiteren Parametern, die in der Psychoakustik angewendet werden: Lautheit, Rauigkeit und Schärfe. Aus diesen vier Grössen errechnen die Akustiker die sogenannte Lästigkeit. Und sie haben den menschlichen Faktor insofern simuliert, als sie auch Messungen nach dem Worst Case vorgenommen und die Fahrzeuge auch im kleinen Gang unter Volllast haben vorbeifahren lassen – was in der Realität die Ausnahme ist, aber schon einmal vorkommen soll. Man muss Methode und Resultate nicht kritiklos feiern, bedenkenswert sind sie wohl schon. So wurde eine per se gemütliche Harley-Davidson Softail Heritage Classic zum Krawallanten. Bei einem typengeprüften Zubehörauspuff bauten die Tester (illegalerweise) den Dezibel-Killer aus. Bei einer forciert sportlichen Durchfahrt führte dies insgesamt zu einer Anhebung der psychoakustischen Lästigkeit um den Faktor 18.9 im Vergleich zu einer Durchfahrt gemäss standardisierter Durchfahrtmessung.
Doch auch technisch vollständig legal ist einiges möglich: Bei der Messung sportlicher Fahrzeuge waren die Resultate je nach Fahrweise – und im Fall des Autos je nach Fahrmodus – ebenfalls erheblich. Sowohl ein 1000er-Superbike von Kawasaki wie auch ein Audi TT RS im Sport-Modus überschreiten hochtourig beschleunigend die Schwelle von 100 dB (A). In der deutlich weniger aggressiven Beschleunigungsmessung gemäss Vorschrift ECE R51.03, bei der die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt der Messung exakt 50 km/h betragen muss, bleibt der Audi im Komfort-Modus unter dem Grenzwert von 75 dB (A), sprengt diesen Wert im Sport-Modus – mit offener Auspuffklappe – mit 97 dB aber sehr deutlich. Im schlechtesten Fall beträgt der Schallpegel etwa das Achtfache des Homologationswertes (+31 dB).
«Somit kann geschlussfolgert werden, dass das Ergebnis der Typprüfung nicht in der Lage ist, die tatsächlich durch die untersuchten Fahrzeuge verursachte Belästigung für die Anwohner zu erfassen», lautet das Fazit der Studienverfasser. Man könnte daraus aber auch schliessen, dass eine intelligente Fahrweise womöglich mehr bringt als immer strengere Vorschriften.