Tradition neu entdeckt

Die ­optische Entwicklung von Morgan hat über mehr als 85 Jahre nur in Nuancen ­stattgefunden. Mit einer neuen Plattform wurde zuletzt jedoch technisch ein Riesenschritt nach vorne gemacht.

Keine Frage, wer mit dem Morgan vorfährt, zieht mit dem klassischen Design die Blicke unweigerlich auf sich. Tiefliegender Sportwagen, lange, schmale Motorhaube, breite Kotflügel und Türschweller, ultrakurzes Heck: 1936 brachte Morgan mit dem 4-4 sein erstes vierrädriges Gefährt heraus, das damals kaum anders aussah als der aktuelle Plus Four. Es ist also kein Zufall, dass der Wagen wie ein gut erhaltener Oldtimer daherkommt.

Von der klassischen Optik darf man sich jedoch nicht täuschen lassen, unter dem Karosseriekleid steckt modernste Technologie. Über 85 Jahre lang setzte Morgan auf ein Stahlchassis, begann dieses jedoch ab dem Jahr 2019 durch die aus geklebtem Aluminium bestehende CX-Plattform zu ersetzen, zuerst im Flaggschiff Plus Six, im Jahr danach dann auch im schmaler bauenden Plus Four. Mit der neuen Plattform wechselte Morgan beim Fahrwerk auch von Blattfedern hinten und Gleitsäulenaufhängung vorne (Sliding Pillar) auf Doppelquerlenker rundum. Und Morgan modernisiert die Konstruktion kontinuierlich weiter, denn soeben haben die Briten aus den Westmidlands angekündigt, dass ab Anfang 2023 alle Plus Four und Plus Six mit ESP und mit Airbags aus der Produktion in Malvern rollen werden. Für die Airbags muss natürlich das Armaturenbrett etwas angepasst werden, es bleibt jedoch der bisherigen Grundauslegung treu, auch am gesamten Wagen wird an der Grundauslegung nicht gerüttelt.

Auf einer Probefahrt mit einem aktuellen Plus Four zeigt der Wagen seine zu erwartende dynamische Seite und demonstriert mit dem manuell zu bedienenden Stoffverdeck, den Steckseitenfenstern und dem minimalistischem Platz für etwaiges Gepäck den puristischen Ansatz jedes Morgan. Etwas Gelenkigkeit ist Voraussetzung, um über den breiten Schweller ins Auto hinein- und wieder aus ihm herauszukommen, vor allem wenn das Verdeck geschlossen ist. Kleines Gepäck findet übrigens hinter den Sitzen Platz, umfangreichere Mitbringsel müssen jedoch in einen Koffer und auf den Heckträger.

Charakterstark

Wie bei modernen Sportwagen heute üblich gibt sich der Wagen im Alltagsbetrieb lammfromm und verzichtet auf zickiges Gebaren bei Antriebsstrang und Fahrverhalten oder auf übertriebene Härte im Fahrwerk. Allerdings ist die Individualisierungsliste lang, und die Möglichkeiten, den Fahrzeugcharakter zu schärfen, sind zahlreich.

Morgan bedient sich für seine Plus-Baureihen in den Antriebsstrangregalen von BMW. Im Plus Four kommt ein Vierzylinder-Biturbo zum Einsatz. Es ist dies das erste Mal, dass Morgan einen aufgeladenen Vierzylinder einbaut. Der direkt eingespritzte Zweilitermotor leistet 190 kW (258 PS) und wird für Puristen mit einer Sechsgang-Handschaltung gekoppelt, für alle anderen mit einer ruckarmen Achtstufen-Automatik mit Lenkradwippen. Unser Wagen ist ein Automat. Akustisch geht der Motor zivilisiert ans Werk, und das Wirken von Triebwerk und Automatik gefällt mit dem BMW-typisch harmonischen Zusammenspiel. Wer es gemütlicher mag, kommt also in Genuss kaum spürbarer Gangwechsel. Doch gibt man dem Wagen die Sporen, reagiert er deutlich schärfer, und bedient man sich der Lenkradpaddles, sind die ultraschnellen, knackigen Gangwechsel an Sportlichkeit kaum zu übertreffen. Der Morgan Plus Four bringt problemlos den Spagat vom gemütlichen Cruiser zum hochdynamischen Sportwagen zustande.

Fahr- und Lenkverhalten spielen bei diesem Spagat ebenfalls mit. Die gegenüber dem Stahlchassis um ein mehrfaches steifere CX-Plattform bildet die solide Basis für ein komfortables und fahraktives Fahrzeug. Dabei bleibt das Morgan-typische Fahrerlebnis unangetastet, das sich in seiner präzisen Lenkung und seinem agilen, reaktions­schnellen und gleichwohl gut ausbalancierten Kurvenverhalten zeigt. Was sich nach abgedroschener Werbung anhört, erlebten wir auf voralpinen Kurvenfolgen als ungetrübte Fahr- und Kurvenfreude, wunderbar gepaart mit einem leistungs- und durchzugsstarken Antriebsstrang.

Nachhaltige Handfertigung

Die Wagen von Morgan entstehen wie bisher weitestgehend in Handfertigung. Dabei spielt Holz weiterhin eine grosse Bedeutung, allerdings nicht mehr im Bereich tragender Bauteile. Auch Leder ist ein Schlüsselmaterial bei Morgan, wobei die Nutzung sukzessive reduziert werden soll. Das von Morgan verwendete Leder ist ein Nebenprodukt aus regionaler Rinderzucht (England, Irland), bei denen die Tiere nach fünf Freiheitsprinzipien gehalten werden, die vom britischen Tierschutz-Ausschuss erarbeitet wurden. Die Produktionskapazität von Morgan liegt jährlich bei lediglich 700 bis 800 Fahrzeugen. Von diesen finden rund 30 Stück den Weg in die Schweiz, wo sie von Kestenholz Automobile in Pratteln BL und von Autobritt in Genf offiziell vertrieben werden. 

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