Der Visionär von Ferrari

Der italienische Rennwagen-Ingenieur ist 87-jährig verstorben. Ferraris legendärer früherer Technikchef prägte die Geschichte des nicht minder legendären Rennstalls.

Niki Lauda nannte ihn «den genialen Verrückten». Zwischen 1974 und 1977 war der Österreicher zusammen mit dem Tessiner Clay Regazzoni für eine der glorreichsten Ären der Scuderia Ferrari verantwortlich. Verrückt war Mauro Forghieri in den Augen des zweifachen Formel-1-Weltmeisters für Ferrari, weil sein Temperament einem Vulkan glich und sich dieses sowohl in Gesten als auch in lauten Worten äusserte – das Gegenteil des kühlen Pragmatismus von Lauda. Und genial, weil der Mann, der oft einfach nur l’Ingegnere genannt wurde, ein Visionär war, der zu gewinnbringenden Intuitionen fähig und ein wahrer Allrounder in Sachen Mechanik, Organisation und Menschen war. 57 Grand-Prix-Siege, 16 Weltmeistertitel, verteilt auf sieben Konstrukteurs- und vier Fahrertitel in der Formel 1 sowie fünf bei den Sportprototypen, waren das Ergebnis von Mauro Forghieris Arbeit und machen ihn bis heute zum erfolgreichsten technischen Direktor in der Geschichte der Marke mit dem steigenden Pferd.

Mauro Forghieri beaufsichtigte auch das Sportprototypen-Programm von Ferrari. Ein Höhepunkt war der legendäre Dreifachsieg von Ferrari beim 24-Stunden-Rennen von Daytona im Jahr 1967.

Mauro Forghieri wurde am 13. Januar 1935 in Modena (I) geboren und kam 1960 zu Ferrari, als er gerade die Universität von Bologna (I) mit ­einem Abschluss als Maschinenbauingenieur verlassen hatte. Bei Ferrari lernte Forghieri das Handwerk von der Pike auf und wurde in die Rennabteilung geschickt, wo er als Motorenbauer unter dem technischen Direktor Carlo Chiti arbeitete. Als dieser im Oktober 1961 Maranello verliess und fast den gesamten technischen Stab mitnahm, übertrug Enzo Ferrari, der bereits vom Potenzial seines jungen Rekruten überzeugt war, Forghieri die Position des Leiters der Rennabteilung, die sowohl die Formel 1 als auch die Sportprototypen umfasste. Der erst 26-Jährige Mauro Forghieri hatte aber Bedenken: «Das macht mir Angst, ich habe keine Erfahrung», sagte er zum Commendatore. Dieser antwortete ihm nur: «Tu, was du kannst, gib alles und hab keine Angst. Denk daran, dass ich hier bin.»

«Aber ich brüllte lauter»

Forghieri blieb insgesamt 28 Jahre in Maranello, bis er 1987 auf einen Posten befördert wurde, der ihm nur halbwegs gefiel. Zuvor war ihm auch noch der englische Ingenieur Harvey Postlethwaite wegen dessen aerodynamischer Kenntnisse vom Commendatore zur Seite gestellt worden. Forghieri beschloss deshalb, Ferrari zu verlassen, trotz all der Dinge, die ihn mit dem ehrwürdigen «grande vecchio» verbanden. Der grosse Alte wurde Enzo Ferrari in den Gängen der Fabrik respektvoll genannt. «Ferrari war ein Mann der Intuition», erzählte Forghieri seinem Freund Pino Allievi von der italienischen «Gazzetta dello Sport». «Er hat mich geschaffen, und im Gegensatz zu dem, was mit anderen etwa geschah, hat er mich nicht zerstört. Wir hatten scharfe Diskussionen, er brüllte, aber ich brüllte lauter als er. Und am Ende haben wir uns verstanden. Enzo Ferrari war ein aussergewöhnlicher Mensch, der seinen Mitarbeitern maximale Freiheit gab und sie zu Innovationen anspornte.»

Die Trennung der vertrauensvollen und respektvollen Beziehung, die Forghieri und Ferrari seit drei Jahrzehnten verband, erfolgte in aller Einfachheit. «Ich sagte ihm einfach: ‹Ich gehe›», erzählte Forghieri noch jüngst, «und er antwortete: ‹Geh doch›, und fügte dann hinzu: ‹Ich bin auch bald weg.›» Eine Vorahnung des Commendatore? Einige Monate später, am 14. August 1988, verliess Enzo Ferrari, der Schöpfer der legendärsten aller Automarken, die Welt.

Der Zeit voraus

Mauro Forghieri wechselte schliesslich zu Lamborghini, wo er die Entwicklung des V12-Motors für die Formel 1 beaufsichtigte, der 1989 den Lola des Larrousse-Rennstalls antrieb. Danach ging er zu Bugatti, wo er an der Entwicklung des EB110 beteiligt war, und gründete 1994 sein eigenes Unternehmen, Oral Engineering. Dort vergab er zahlreiche Aufträge – unter anderem mit seinem deutschen Ingenieurskollegen Paul Rosche den Prototyp des BMW-V10-Motors, der im Jahr 2000 in die Williams-F1 eingebaut wurde –, und zwar nicht nur für die Automobilindustrie. In den späten 1980er-Jahren arbeitete er sogar an einem Projekt für ein Elektroauto. Als guter Visionär war er seiner Zeit wieder einmal voraus.

Mehrere geschichtsträchtige Ferrari-Boliden stammen aus der Feder von Mauro Forghieri. ­Dazu gehören der 250 GTO und der wunder­schöne 330 P4, der 1967 die Sportwagenwelt­meisterschaft gewann. Aber auch die Formel-1-­Rennwagen der 312er-Generation vom 312B von 1970 über den 312T, mit dem Niki Lauda 1975 und 1977 zwei Titel holte, den T5 von Weltmeister Jody Scheckter aus dem Jahr 1979 bis hin zum 126C2 von 1982 mit Turbomotor und Ground­effect zählen dazu. For­ghie­ri arbeitete neben den bereits erwähnten Lauda, Regazzoni und Scheckter mit den besten Fahrern verschiedener Epochen zusammen, von John Surtees über Chris Amon, Mario Andretti, Lorenzo Bandini, Jacky Ickx, ­Arturo Merzario, Didier Pironi, Carlos Reutemann, Pedro Rodriguez, Patrick Tambay und Gilles Villeneuve bis hin zu René Arnoux und vielen anderen. Sie alle zusammen haben eine unvergleichliche Geschichte geschrieben, in einer Zeit, in der lange vor den Computern und ihren standardisierten Programmen alles direkt aus den Gehirnen der Menschen stammte. Vereint durch die gleiche Leidenschaft und das gleiche Streben nach Perfektion. 

Campiche über Forghieri: «Er sprach oft sehr laut!»

Der Waadtländer Jean Campiche, der von 1973 bis Ende 1986 bei Heuer und später bei Longines Verantwortlicher für die Zeitmessung bei der Scuderia Ferrari war, arbeitete 14 Jahre lang mit Mauro Forghieri zusammen. «Er war eine aussergewöhnliche Persönlichkeit, aufgrund seiner Intelligenz und der Bandbreite seiner Qualitäten», sagt Campiche. «Er hat Motoren, Fahrgestelle, Getriebe und Aufhängungen entwickelt, das sagt alles. Ingenieure von seiner Grösse findet man heute nicht mehr.»

Mauro Forghieri hatte auch seinen eigenen Charakter, «unglaublich stark, manchmal sogar stur», erinnert sich Jean Campiche. «Mit dem Aufkommen der ersten Rennwagen mit Groundeffect um die Wende der 1970er- zu den 1980er-Jahren herum waren die Ferrari schwer zu fahren. Eines Tages verliess er bei einem Grand Prix die Boxen, um die Autos auf der Strecke vorbeifahren zu sehen. Als er zurückkam, hörte ich bei seinem Telefongespräch mit Enzo Ferrari zu, und er meinte zum Commendatore: ‹Ich muss mit den Fahrern sprechen, weil sie so komisch fahren.› Er war so sehr davon überzeugt, dass er im Recht war, dass er nicht von seinen Ideen abrückte. Ich habe ihn nie vielleicht sagen hören.»

Keine Widerrede geduldet

Mauro Forghieri vertrat alle seine Anliegen mit Überzeugung, «und man durfte ihm nicht widersprechen», sagt Campiche mit einem Schmunzeln. «Im Fahrerlager erinnert man sich auch an ihn wegen seiner Stimmungsausbrüche. Er sprach oft sehr laut, und die Dezibelzahl stieg schnell an, wenn man nicht seiner Meinung war. Aber das war sofort wieder vergessen. Er war unglaublich gesellig, sympathisch und extrem unterhaltsam.
Er war auch immer gut gelaunt, dynamisch und unermüdlich. Und sehr menschlich. Er war es, der darauf drängte, dass die Mechaniker etwas anderes als schnelle Sandwiches am Auto essen konnten, da er sich bewusst war, dass Lebensqualität wichtig war, damit sie gute Arbeit leisteten. Er war auch ein hervorragender Manager, weil er die Menschen mochte. Die Fahrer mochten ihn, und letztlich funktionierte die Zusammenarbeit trotz seiner Seitenhiebe.»

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