Covergirl von 1947

Zum ersten Genfer Autosalon nach dem Krieg erschien ­Anfang März 1947 der Katalog der Illustrierten AUTOMOBIL REVUE. Auf dem Titelblatt: ein Auto mit Graber-Karosserie.

Hermann Graber war einer der profiliertesten Schweizer Carrossiers überhaupt. In seiner Werkstatt in Wichtrach BE zwischen Bern und Thun entstanden in der Zeit zwischen 1925 und 1970 etwa 800 Aufbauten auf Chassis aller namhaften Produzenten der Zeit. Einen besonderen Namen aber machte sich Graber mit den Karosserien für Alvis, deren Schweizer Vertretung er ebenso innehatte.

Der Zweite Weltkrieg war ein einschneidendes Ereignis auch für das Schweizer Karosseriegewerbe. Neuwagen waren keine lieferbar, es galt höchstens, eine ältere Limousine in einen Lieferwagen umzubauen oder gar einen Holzvergaser einigermassen pfleglich in einen Wagenkörper zu integrieren. Dies geschah neben den üblichen Reparaturarbeiten. Der private, individuelle Motorfahrzeugverkehr aber war aufgrund der Treibstoffrationierung weitgehend zum Erliegen gekommen, und an eine Veranstaltung wie den Autosalon von Genf war in den Kriegsjahren nie zu denken. Im ersten vollen Friedensjahr 1946 zeigte sich die Situation aber wieder anders. Die Schweiz, in all ihren Bereichen intakt geblieben, lechzte nach neuen Autos, und wo es ging, versuchte das hiesige Gewerbe sich derer habhaft zu werden, während die Industrie mancherorts in Europa in Trümmern lag oder versuchte, an Rohstoffe zu gelangen.

Eine erste Möglichkeit war es, manche der während des Krieges nicht requirierten, meist stillgelegten Autos wiederzubeleben. Dies und noch mehr vollzog Hermann Graber mit einem Peugeot 402 B Légère. Das Auto, im Prinzip eine Form von Sportlimousine mit dem grossen 60-PS-Motor des 402 kombiniert mit dem kompakten Aufbau des 202, war eine ideale Basis für ein neues Graber-Cabriolet. Graber nutzte den relativ kurzen Randstand mit langem Vorderwagen, um darauf ein für damalige Verhältnisse hochmodernes, schnittiges Auto zu formen. Eine von Grabers Qualitäten war dabei nicht nur sein gutes Gespür für harmonische Formen und ausgewogene Proportionen, sondern auch die geschmackvolle Zurückhaltung, was Zierelemente anbelangte. Während zwei weitere Peugeot nur von der Spritzwand an verändert wurden, sollte dieser 402, der in Grabers Milchbüechli, dem Autragsbuch, unter der Kommissionsnummer 559 mit dem Vermerk «Eigene» geführt ist, komplett neu auf die Räder gestellt werden. Graber begann die Arbeiten am 12. Dezember 1945. Womöglich war das Auto für den Meister und seine Angestellten ein Objekt, um nach dem Krieg wieder in Übung zu kommen. Oder der ungetrübte Optimismus des Berners, dass an derlei Wagen demnächst wieder Bedarf herrschen würde, liess Graber die Arbeiten ohne konkreten Auftraggeber in Angriff nehmen. Immerhin stellte Graber im Juli 1946 der Garage Epper in Luzern dafür Rechnung über rund 13 750 Franken.

Übergang und Neuanfang

In der Evolution gelten jene Vertreter, welche Elemente zweiter Epochen miteinander verbinden, als Brückentiere. Den Peugeot kann man ebenso sehen. Technisch etwa mit seinen Seilzugbremsen nicht mehr ganz auf dem letzten Stand, sorgte die flache, horizontal statt vertikal ausgerichtete Kühlerfront mit den zwei sie einrahmenden, integrierten Scheinwerfern für Aufsehen. Kein Peugeot hatte je so ausgesehen, selbst die spektakulären Kreationen von Darl’mat waren konzeptionell noch der Vorkriegszeit verhaftet. Nicht so der Wagen, den Hermann Graber und seine Frau am Salon 1947 in Genf ausstellten. Mit ihm wehte der Hauch der Erneuerung, des Aufbruchs durch den Salon. Zur Ankündigung seines Auftritts an dieser ersten, international besuchten Automesse nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich der Karosserieschneider einen prominenten und wirkungsvollen Platz ausgesucht. Mit dem Bild auf der Titelseite des AUTOMOBIL REVUE Katalogs 1947 machte er darauf aufmerksam, dass er wieder in alter Qualität im Geschäft sei. Den Katalog hatte es schon vor dem Krieg gegeben, er war jeweils einmal jährlich als Katalog-Nummer der unregelmässig herausgegebenen Illustrierten AR neben der Wochenzeitung erschienen. Der für 2.50 Franken verkaufte Katalog 1947 aber begründete eine Reihe, die im Verlaufe der Jahre immer umfangreicher und international ein Begrifff wurde. Mit seiner vollständigen Übersicht über den internationalen Automobilmarkt war der AR-Katalog einzigartig. Die Möglichkeiten des Internets mit dem direkten Zugang zu den Auftritten aller Hersteller und selbst der exotischsten Marken sowie in schmerzhafter Weise auch der Wegfall des Autosalon setzten dieser Reihe 2021 ein Ende.

Eine Bewertung am Anfang

Heinz Luder ist kein Unbekannter. Der Unternehmer und ehemalige Präsident des Oldtimer Clubs Bern (OCB) besitzt eine feine Sammlung klassischer Automobile, darunter auch mehrere Wagen mit Graber-Karosserie. Der Umstand, dass der Katalog-Graber überlebt hatte, war in den 1980er-Jahren bekannt. 1946 verkaufte Ernst Epper in Luzern, seit 1937 Peugeot-Vertreter und der zweite Jaguar-Händler im Land, das Auto nach Zürich. 1948 kam der Peugeot zu ­einem Posthalter in Brenzikofen BE. In den 1960er-Jahren lackierte dieser den Peugeot, wohl nach einer umfangreichen Revision, weiss um. Schliesslich landete der Wagen 1971 nach einem Motorschaden in einer Scheune eines Neffen des Brenzikofer Posthalters, und es wurde still um den Titelhelden des ersten AR-Katalogs.

2009 erhielt Luder die Anfrage eines Emmentaler Uhrmachers, der wissen wollte, welchen Wert er hinter einem Graber-Cabriolet vermute. Ein Grund für Luder, hinzufahren. Und siehe da, es war der 1947er Peugeot. Verkaufen wollte der damalige Besitzer das Auto allerdings um keinen Preis, selbst wenn es zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr betriebsfähig war. In der Scheune hatte das Auto viel Zeit, um langsam vor sich hinzugammeln. Erst 2017 sollte der Kauf schliesslich zustandekommen. Der Besitzer hatte eingesehen, dass zu seinen Lebzeiten der Peugeot nie und nimmer mehr auf die Strasse kommen würde.

Kompromisslos original

Für Heinz Luder war klar, dass es mit etwas Lack und einer Motorrevision nicht getan sein würde. Graber, der seine Kreationen nach traditionellem Karosseriebau mit Holzrahmen und aufgebrachten, handgehämmerten Blechen auszuführen pflegte, stellte bereits damals sehr hohe Ansprüche an die Fertigungsqualität. Aber auch die Mechanik des Peugeot war restlos am Ende. Immerhin war der Wagen vollständig, sogar das Leder der Innenausstattung konnte gerettet werden. Heinz Luder sorgte mit einem ganzen Team an Fachleuten dafür, dass der Peugeot komplett zerlegt, gestrahlt, gespenglert und nach der Revision aller Komponenten zu einem «Höhepunkt seines Oldtimer­lebens» wurde. Heute fährt das Auto mit seinem elektromagnetisch geschalteten Cotal-Getriebe wieder so, wie es im Juli 1946 von Graber nach Luzern übergeben worden war. Bezeichnend sind bis heute die Qualität der Ausführung, die einfache Handhabung des Verdecks und die schnittige Form  des Autos. Sinnbild für diesen Peugeot ist aber auch das, was Graber zum Bild seines Autos 1947 auf den Katalogumschlag schreiben liess: «Graber-Cabriolets immer noch ein Begriff». 

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