Giorgio lässt grüssen!

Kommt sie, oder kommt sie nicht in Fahrt, die ­erneuerte Traditionsmarke als Alternative im Premiumbereich? Die Dinge sind im Rollen – und der Grecale soll Volumen bringen.

Es hat ein Weilchen gedauert, und nicht immer war nachzuvollziehen, warum die anerkannt gute Basis von Alfa Romeo Giulia und Stelvio nicht weitere Verwendung gefunden hat im Verbund von FCA, jetzt Stellantis. Nun zeigt Maserati – in Sachen Charakter, Image und sportlicher Vergangenheit der Marke mit der gefiederten Schlange gewiss am ähnlichsten – mit dem Grecale, was mit der Heckantriebs-Plattform möglich ist. Oder zumindest, dass ein Jeep auf Giorgio, der neue Cherokee, geradezu nach einer Verwendung dieser Plattform durch Maserati schrie, nachdem diese endlich anderweitig im Konzern eingesetzt wird. In unserer Wahrnehmung bleiben wir übrigens gerne beim Alfa als nächstem Verwandten des Grecale, nicht beim Jeep. Der Grecale hilft uns dabei und zeigt gewisse Parallelen zum Stelvio. Die Kabine ist gleich gegliedert, und manche Linie kommt uns bekannt vor. Ein Mangel ist dies gewiss nicht. Als einzigen Kritikpunkt könnte man die nicht sehr inspiriert ausgeführte Frontansicht ins Feld führen, besonders die Leuchten erinnern an ein kleineres Modell der Marke mit dem liegenden, blauen Oval – oder an gar nichts.

All dies geht allerdings schnell vergessen, wenn man sich hinter das Lenkrad gesetzt hat. Der Arbeitsort des Fahrers huldigt nicht auf Teufel komm raus der Digitalisierung moderner Autos. Trotz Bildschirmanzeigen – grosszügiger bemessenen als bei Alfa Romeo übrigens – blickt das Auge auf eine geschmackvoll zwischen Tradition und Moderne gesetzte Armaturenbrett-Landschaft. Und nicht nur das, die Nähte sitzen perfekt, das kleine Kissen in der Lenkradmitte ist so geschaffen, dass man als erstes sicherstellen möchte, ob es sich nicht doch um ein unterschäumtes Plastikteil handelt. Wonach wir vergeblich suchen, ist ein Wählhebel. Dafür gibt es Tasten in der Armaturenbrettmitte, die die durch dezidierten Fingerdruck übermittelten Befehle aber etwas fixer umsetzen dürften.

Zunächst will aber der Zweilitermotor mit 221 kW (300 PS) gestartet werden. Dafür gibt es einen Druckknopf am Lenkrad. In der Nachbarschaft regelt ein Drehknopf die Einstellung der Fahrmodi.

Der Kompromiss

Einen aufgeladenen, relativ moderat dimensionierten Vierzylinder für ein Auto von stattlicher Grösse und besonders auch von stattlichem Gewicht gibt es anderswo längst. Manche dieser Konkurrenten bieten dabei kaum mehr Laufkultur, als sie der mit Turbolader und elektrischem Verdichter versehene Motor bietet. Er erinnert im ersten Moment an einen Selbstzünder. Erfreulich ist, dass er im Innenraum zwar hörbar ist, aber nicht dominant. Und er geht ordentlich zur Sache. Dabei wird man feststellen, dass dieses SUV nicht ein auf der Nordschleife auf Rekordwerte geprügeltes SUV ist, das zu allem Übel als konzeptionell benachteiligtes Auto auch noch die ganze Last einer sportlichen Vergangenheit zu tragen hätte. Man wollte offenbar in Modena mehr an den subtilen Komfort eines frühen Quattroporte erinnern als an den Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft 1957 mit Juan Manuel Fangio im 250F. Vielleicht erinnerte sich aber auch überhaupt niemand an irgendein historisches Ereignis der Maserati-Vergangenheit, und Maserati konstruierte schlicht einen neuen Wagen, der im Hier und Jetzt unterwegs ist und darum beispielsweise auch als Mildhybrid daherkommt. Der Grecale GT, dieser nach einem kühlen Nordostwind im Mittelmeerraum benannte Maserati, hat eine laue, elektrische Brise als Rückenwind, mehr nicht. Dafür gibt es aber nichts, das man mit ihm im täglichen Umgang extra zu beachten hätte.

Der GT ist das Einstiegsmodell des Grecale, darüber rangieren der 243 kW (330 PS) starke Modena und der Trofeo mit dem 390 kW ( kW 530 PS) starken V6-Motor, jener freudvollen Maschine, die sich auch im MC20 – allerdings mit mehr Leistung und Trockensumpfschmierung – austoben darf. Der Vierzylinder hingegen ist aus emotionaler Sicht vielleicht nicht das Sahnestück des Grecale GT, aber er tut, was man von ihm verlangt, und bringt bereits als Basismotorisierung etwas Leben in die Bude. Im Vergleich mit dem vierzylindrigen Porsche Macan etwa braucht er sich ganz gewiss nicht zu verstecken.

Weiter Bogen

Der Grecale hat einen gegenüber dem Alfa Romeo Stelvio um rund acht Zentimeter verlängerten Radstand von genau 2.9 Metern (Stelvio 2.82 m). Dies schafft besonders hinten mehr Freiraum und sorgt für ein etwas gelasseneres Fahrverhalten. Ihren Beitrag dazu leistet auch die Lenkung, sie wurde eine Spur indirekter und damit etwas weniger sportorientiert ausgelegt. Für ein SUV gebärdet sich der Grecale allerdings beim ersten Eindruck noch immer so, als wäre er ausgesprochen fahraktiv. Beim zügigen Kurvenfahren tut sogar etwas zurückhaltende Ruhe am Lenkrad gut. Sonst sägt man sich schnell einmal durch die Landschaft von Kurve zu Kurve – auf der stetigen Suche nach einer fliessenden Linie. Da der Aufbau des Grecale im Comfort- und GT-Modus zudem reichlich in Bewegung bleibt und sich in Kurven deutlich zur Seite neigt, resultiert daraus unter Umständen sogar ein gewisses Unwohlsein der Passagiere. Die Sport-Stellung am rechten Drehrad neben der unteren Lenkradspeiche schränkt diese Unruhe aber glücklicherweise wirksam ein.

Diese Spanne ist ein Sinnbild für den Grecale in mehreren Belangen, denn ganz so leicht lässt er sich nicht einordnen. Er kann sich auf der Autobahn beispielsweise ausgesprochen wohlig über Bodenwellen schwingen und taugt als gelungener Langstreckenläufer. Andererseits stammt er von einem grossen Sportwagenbauer, und man erwartet, dass er dieser Tradition verpflichtet ist. Das lässt einen darüber sinnieren, wie sich so ein Wagen wohl mit einem Lancia-Kühlergrill gemacht hätte. Vom Charakter würde der Grecale auch sehr gut zur nur noch in Italien aktiven Marke passen. 

Heilsbringer?

Wenn Maserati endlich auf Volumen kommen soll, hilft der Grecale gewiss ein gutes Stück dabei, die Modeneser ihrem Ziel etwas näher zu bringen. Mit seiner feinen Basis hat er gute Anlagen mit auf den Weg erhalten. Allerdings dürften seine Charakterzüge noch etwas besser akzentuiert sein. Gelegentlich fällt man dem Gedanken anheim, der Grecale wolle es allen recht machen – etwas von hier und etwas von da. Dazu fehlt es der Marke noch etwas an Profil. Der Grecale ist im Prinzip jedoch gelungen. Er wirkt gut motorisiert, der elektrische Lader macht den nicht sehr grossen Zweilitermotor vergessen.

Aber noch fehlt ihm das Scheibchen Trüffel auf der Pasta, damit der Kunde erkennt, wo sich das Modell hinbewegen will. Nur Konkurrent zu sein, reicht nicht. Fairerweise muss man sagen, dass wir beim Grecale erst am Anfang und beim GT ganz unten in der Modellhierarchie stehen. Da kommt noch ein besonders lustvoller Motor, der V6, allerdings auch für wesentlich mehr Geld. Und genau dies sollte beim Grecale am Ende doch noch zur Kenntnis genommen werden: Er kostet ordentlich viel! Abgesehen von einigen wenigen Seltsamkeiten wie etwa den Tasten für den Wechsel der Armaturenanzeige links und der Lautstärke rechts, beide hinter (!) den Lenkradspeichen, oder den elektrischen Türöffnern ist der Grecale aber durchaus gelungen. 

Testergebnis

Gesamtnote 76/100

Antrieb

Zumindest der Vierzylindermotor ist kein ­Sahnestück bei diesem Maserati. Abgesehen von seiner akustischen Belanglosigkeit verrichtet er seinen Dienst ansonsten aber ganz ­ordentlich.

Fahrwerk

Der Grecale ist abstammungsgemäss bestens gerüstet. Aber manchmal weiss er nicht so recht, ob er sportlich oder komfortorientiert sein will.

Innenraum

Ausgesprochen hübsch hat er nur ein Problem: Manche Elemente sind so präzise, dass man kaum glaubt, dass die Materialien echt sind.

Sicherheit

Die Sicherheitsausstattung lässt wenig Wünsche offen. Das ist ein ­stichhaltiges Argument gegenüber der hauptsächlich deutschen ­Konkurrenz.

Budget

Maserati langt ordentlich zu. Dafür erhält man ein Auto, das Exotenstatus geniesst und in Sachen Ausstattung vieles serienmässig bietet.

Fazit 

Die guten, ja vielversprechenden Anlagen sind beim Maserati Grecale zweifellos vorhanden. Aufbauend auf Giorgio, einer der feinsten Platt­formen, die aktuell in der Industrie zur Verfügung stehen, gibt es in ­Sachen Antrieb allerdings doch einige Wünsche, die (noch) offen bleiben. Allerdings hat Maserati in diesem Punkt noch nicht das letzte Wort ­gesprochen, und wir warten mit Spannung auf den V6.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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