Brüsseler Treibstoffsalat

Die ­EU-Politik drängt (auch) in Richtung synthetische Treibstoffe. Aber aus anderen Gründen, als es Freunde des Ver­brennungsmotors hoffen.

Porsche betreibt mit Siemens Energy im südlichen Chile eine Pilotanlage zur Erzeugung von E-Fuels aus Windkraft. Dieses Jahr sollen 130 000 Liter E-Fuels produziert werden, bis 2026 soll die Kapazität auf rund 550 Millionen Liter gesteigert werden.

Wer auch in Zukunft gern Autos mit Verbrennungsmotor kaufen möchte, vernahm aus den EU-Städten diesen Sommer widersprüchliche Signale. Als Beobachter aus der Ferne wusste man nicht recht, ob den synthetischen Treibstoffen der Stecker gezogen werden soll oder ob sie gar gefördert werden.

In Strassburg (F) tagte im Juni das EU-Parlament und beschloss eine Gesetzgebung, die auf ein Verbrennerverbot für neu verkaufte Autos und leichte Transporter ab 2035 hinausläuft. Und zwar ohne Ausnahmen. Auch nicht für Verbrennungsmotoren, die mit Wasserstoff oder E-­Fuels laufen. Obschon sie, falls sie mit Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden, als klimaneutral gelten. Die Politiker starren aber wie schon bei der Förderung der E-Autos, meist nur auf den Betrieb (Tailpipe emissions, dt. Auspuffemissionen) und nicht aufs Gesamtsystem. Deshalb eben: Verbot!

Böse Verbrenner mit E-Fuel wieder gut?

Etwa drei Wochen darauf folgten Nachrichten aus Brüssel. Hier tagten die Fachminister für Umweltfragen der 27 EU-Mitgliedstaaten. Solche Ministerräte bilden im Gesetzgebungsprozess der EU die zweite Kammer, so wie in der Schweiz der Ständerat als Vertretung der Kantone den Nationalrat ergänzt. Diese zweite Kammer bestätigte das Verbrennerverbot. Allerdings mit einem interessanten Zusatz, den Länder einbrachten, in denen die Autoindustrie wichtige Arbeitgeberin ist, zuvorderst Deutschland: Die EU-Kommission solle eine Ergänzung formulieren, welche die E-Fuels wieder ins Spiel bringe.

Dafür sind Vorschläge gefragt, wie nach 2035 Fahrzeuge zugelassen werden können, die ausschliesslich mit CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben werden. Da der Charme der E-Fuels genau darin besteht, dass sie in ihrer chemischen Zusammensetzung weitgehend den fossil gewonnenen Treibstoffen entsprechen, ist das schon technisch eine knifflige Herausforderung. Und gänzlich offen ist, ob sich EU-Parlament, EU-Kommission und EU-Ministerrat überhaupt auf einen Kompromiss einigen können, den Skeptiker aus dem grünen Lager bloss als Hintertür für den Verbrennungsmotor ansehen.

So weit, so unsicher. Was hingegen sicher ist: Erstens betreffen die Entscheide, wie immer sie im Detail ausfallen, ganz direkt Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten, die auf üblichen Handelswegen nur Fahrzeuge mit EU-konformer Zulassung kaufen können. Zweitens war bisher ausschliesslich von Neuwagen die Rede. Die grossen Bestandesflotten werden 2035 davon nicht betroffen sein. Ohne E-Fuels bleiben Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor bis ans Ende ihrer Lebensdauer bilanzielle CO2-Emittenten.

Technisch gibt die Herstellung von E-Fuels keine Rätsel mehr auf. Für Elektrolyse zu Beginn braucht es viel Strom. CO2 aus der Luft wird mit Wasser und Wasserstoff zu E-Fuels gebunden.

Beimischungspflicht für E-Fuels

Mitte September folgte aber noch eine weitere Nachricht aus der EU. Erstmals sprach sich das EU-Parlament für Mindestquoten für die Verwendung klimaneutraler synthetischer Kraftstoffe aus, E-Fuels also. Demnach soll bis 2030 der Anteil der erneuerbaren Kraftstoffe nicht biologischen Ursprungs (RFNBO) im Verkehrssektor mindestens 5.7 Prozent betragen.

Monika Griefahn, Vorstandsvorsitzende der E-Fuel Alliance, wertet die Entscheidung als ein wichtiges Signal für die Branche: «Durch die Bestätigung des Europäischen Parlaments wurde ­eine bessere Planungssicherheit für Produzenten und Anwender wasserstoffbasierter Produkte wie E-­Fuels erzielt.» Nur mit konkreten Zielvorgaben lasse sich der Ausstieg aus fossilen Energieträgern beschleunigen und der CO2-Ausstoss reduzieren, so Griefahn. Worauf die Interessenvertreterin, SPD-Politikerin und Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland hinweist, ist von Bedeutung, wenn Politik mehr als warme Worte sein soll: Damit sie Wünsche aus der Gesellschaft umsetzen können, benötigen wirtschaftliche Akteure verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen.

Als ein gutes Beispiel mag man die CO2-Reduktionspolitik der EU bis dato ansehen: Früh wurden CO2-Ziele definiert, seit zehn Jahren gilt die Drohung von Sanktionszahlungen, sollten die Flottenziele verfehlt werden. Das war für die Industrie absehbar und brachte zuerst die Down­sizing-Motoren und dann die Elektrifizierung der Fahrzeuge. Inhaltlich kann man den Kurs der EU kritisieren, doch zumindest war er – im Prinzip – technologieoffen und langfristig angelegt.

In den letzten Jahren allerdings zeichne die EU eine solche ruhige gesetzgeberische Hand kaum mehr aus, kritisiert Fabian Bilger, stellvertretender Geschäftsführer von Avenergy Suisse, der Interessenvertretung der Importeure flüssiger Brenn- und Treibstoffe. Bilger ortet in Brüssel viel Aktionismus und Selbstprofilierung. «Da wechseln die Vorgaben schneller, als ich die Garderobe wechsle.» So hätten die EU-Auflagen für die Wasserstoff-Infrastruktur schon acht Mal geändert. Überlässt man die Gesetzgebung den Ländern, wird es nicht zwingend besser: Steuererleichterungen und Subventionen zur Förderung der Elektromobilität unterscheiden sich von Land zu Land und ändern sich dauernd.

Fehlende Verlässlichkeit politischer Vorgaben sind nicht nur ein Ärgernis, sie sind ein Investi­tionshemmnis. Besonders Investitionen in die Energie-Infrastruktur seien langfristiger Natur, so Bilger: «Unsicherheiten über die Rahmenbedingungen sind deshalb ein Alptraum für Investoren.» Womit wir wieder bei den E-Fuels – sie heissen so, weil für ihre Herstellung Elektrizität eingesetzt wird – sind. Kann das etwas werden mit den synthetischen Treibstoffen?

Infrastruktur, Motoren, alles schon da

Die Pro-Argumente sind bekannt: E-Fuels sind insgesamt klimaneutral, wenn sie mit Strom aus Wind- oder Sonnenenergie gewonnen werden, denn bei der Verbrennung wird nur jenes Kohlendioxid freigesetzt, das zuvor im Herstellungsprozess gebunden wurde. Dieser synthetisch hergestellte Sprit macht den flüchtigen Energieträger Strom speicher- und leicht transportierbar. E-­Fuels, in genügender Menge und schnell genug verfügbar, erlaubten, die heute global rund 1.5 Milliarden Autos mit Verbrennungsmotor zu dekarbonisieren. Keine Motoren müssten ersetzt, keine neuen Tankstellen gebaut werden. Ausserdem lassen sich die chemischen Eigenschaften so optimieren, dass Verbrennung von E-Fuels emissions­ärmer ist als jene von Treibstoffen auf Rohölbasis.

Das wichtigste Gegenargument ist ebenfalls kein Geheimnis: Die Produktions- und Verbrauchskette von E-Fuels ist kein Wunder an Effizienz. Für die am Anfang stehende Elektrolyse ist viel Strom erforderlich, und Hubkolbenmotoren spielen in Sachen Wirkungsgrad nicht annähernd in der Liga von Elektromotoren. Salopp formuliert stellt man Sprit aufwendig her und verfeuert ihn obendrein sehr ineffizient. Eine Zahl, die das Problem illustriert: In einem Liter E-Fuel stecken rund 27 kWh Strom. Damit fahren Elektroautos etwa 150 Kilometer. Solche Zahlen sind nicht absolut zu sehen, sie illustrieren aber die Grössenordnung.

Weil die Effizienz bei der Herstellung von E-Fuels auf absehbare Zeit kaum nennenswert gesteigert werden kann, plädieren Expertinnen und Experten dafür, dass Produktionskapazitäten in erster Linie dort zur Anwendung kommen, wo ­eine andere Form der Dekarbonisierung kaum möglich ist: im Flugverkehr und im weltweiten Schiffstransport. Die erwähnte EU-Beimischpflicht für den Strassenverkehr liefe dieser Priorisierung entgegen.

Diversifizierung der Herkunft

Die Promotoren ausschliesslich batterieelektrischer Antriebe sehen im Effizienzdefizit der E-­Fuels das Killerargument. Andere betonen, dass Effizienz nicht alles sei. Für die synthetischen Treibstoffe sprechen nicht nur die bereits genannten Gründe, sondern auch Überlegungen zur Versorgungssicherheit durch Diversifizierung der Quellen. Zu den bekannten Herkunftsländern von Rohöl kämen neue Gebiete, wo Wind und Sonne reichlich vorhanden sind und Strom zu niedrigen Kosten produziert werden kann. Man denkt an die zugigen Gebiete Südamerikas – wie Porsche mit seiner E-Fuel-Produktion aus Windenergie in Chile – oder an den sonnenreichen Maghreb.

Auch hier gibt es langfristig keine Garantie, die Energie nur aus lupenreinen Demokratien beziehen zu können. Für die bevölkerungsreichen globalen Wirtschaftszentren Europas und Südost­asiens sei Energieautarkie eine Illusion, heute und in Zukunft, gibt Fabian Bilger zu bedenken.

Doch zurück zur EU-Politik mit ihren Auswirkungen auf die Schweiz: Das Verbot für Fahrzeuge mit CO2-Ausstoss scheint ein konsolidierter Entscheid. Ob aus den Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Mitgliedsländern (sogenannter Trilog) eine Ausnahme für E-Fuels resultiert, ist nicht vorherzusagen.

Und die Beimischpflicht von E-Fuels im Verkehrssektor? Erdölkonzerne, die sich zunehmend zu Energiedienstleistern wandeln, begrüssen den Schritt grundsätzlich. Energiefachmann Fabian Bilger auch, wenngleich ihm die Quote erstens willkürlich scheint, zweitens aber auch sehr ambitiös. Ein Anteil von 5.7 Prozent allen in Europa gezapften Treibstoffen bedeute eine Riesenmenge eines heute nur in Kleinstmengen produzierten Guts. Technisch gibt die Herstellung von E-Fuels keine grundlegenden Rätsel mehr auf. Der schnelle Aufbau der geforderten Kapazitäten allerdings erfordert einen gewaltigen Investitionsbedarf für die Energiebranche. Vielleicht hilft es ja, dass in dieser Branche derzeit der Rubel, pardon, der Dollar rollt. 

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