Kaum beachtete Leitfigur

Trotz seines unkonventionellen Auftritts ist der Honda Civic ein ­Weltstar. Nur mit Europa wird er nicht ganz warm. Unverständlicherweise, wie die neue, elfte Generation beweist.

Der Civic war für Honda vor exakt 50 Jahren in Europa ein Türöffner. Besser, als dies unsere Kollegen in der AR 31/1974 anlässlich des ersten grossen Tests des Honda Civic schrieben, können wir das heute auch nicht schildern: «Weniger bekannt ist jedoch, dass der Welt grösster Motorradproduzent seit 1964 auch Automobile, vor allem kleine, baut. Diese Tatsache mag wohl in erster Linie am wenig exportorientierten Bauprogramm gelegen haben, das bis Ende 1968 vorwiegend Kleinwagen (360 cm3 Inhalt) sowie kleinere Sportzweisitzer umfasste, deren technisch bemerkenswerte Antriebsaggregate von den grossen Erfahrungen auf dem Gebiet des Motorradbaus profitierten. Deshalb war allen bisherigen Versuchen, nach dem Vorbild von Toyota, Nissan-Datsun und Mazda in Europa Fuss zu fassen, wenig Erfolg beschieden.» Seitdem hat sich viel verändert, allem voran der Honda Civic, von dem seither in all den Jahren nun fast 28 Millionen Exemplare verkauft worden sind.

Im weltweiten Allzeit-Verkaufsranking rangiert der Civic damit in den Top Five – übrigens schafft es auch der hier nicht mehr angebotene Accord in die Top Ten. In Europa hingegen fristet Honda ein Nischendasein, insbesondere in der Schweiz. Gemäss Auto-Schweiz wurden in den vergangenen zehn Jahren nur 7031 Honda Civic abgesetzt (Gesamtzahl Honda: 36 107). Zum Vergleich: Spitzenreiter VW verkauft in normalen Zeiten fast so viele Autos – pro Jahr. Ein Grund für den mässigen Erfolg erkannte die AR bereits vor 48 Jahren: «Das Styling des Civic findet in der Öffentlichkeit unterschiedlichen Anklang.» Die einen lieben es, die anderen hassen es. Immerhin fährt die elfte Generation viel gemässigter vor als manche Vorgängerin.

Zwei Herzen

Die Erscheinung ist deshalb aber nicht weniger auffallend. Mit einer Länge von 4.55 Metern ist der Civic für die Kompaktklasse durchaus lang, der Radstand und die Spur wurden minimal vergrössert, gemeinsam mit der flachen Bauhöhe ­ergibt sich ein sportlicher, durchaus passender Look. Denn der Honda Civic ist trotz Hybridisierung und E-CVT – der Name täuscht – richtig knackig unterwegs, nicht nur beim Überholen auf der Autobahn, wo man überdies am besten auf den souverän funktionierenden Spurhalteassistenten vertraut und damit richtig gemütlich unterwegs ist. Das nicht adaptive Fahrwerk ist ausreichend komfortabel, filtert aber nicht alles heraus, sodass man auch etwas von der Strasse mitbekommt – auf die gute Art und Weise. Das hilft nicht zuletzt in Kurven, wo ordentlich Fahrspass aufkommt. Der Civic schafft viel höhere Geschwindigkeiten, als man ihm zutrauen würde, die Traktion an der Vorderachse hält lange an. Dank des niedrigen Schwerpunkts und der um 22 Prozent erhöhten Karosseriesteifigkeit (jetzt auf dem Niveau wie des vorherigen Type R) ist die Balance des Japaners ziemlich perfekt.

Auch der Antrieb vermag positiv zu überraschen. Die Motoren aus dem Vorgänger hat Honda in Europa aus dem Programm gestrichen, neu gibt es nur noch den Zweiliter-Vollhybrid, einen aus dem CR-V bekannten Direkteinspritzer mit Atkinson-Zyklus. Allerdings, so bekräftigt Honda, wurden 47 Prozent der Komponenten neu entwickelt. Auffällig ist die Spreizung, die durch die Ausgereiftheit dieses Antriebskonzeptes entsteht.

Auf der einen Seite stehen 135 kW (184 PS) und ein Drehmoment von 315 Nm, was zu ansprechenden Fahrleistungen führt. Angegeben wird für den Civic eine Zeit von 7.8 Sekunden für die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h, gemessen haben wir rasante 7.0 Sekunden. Die Elektrifizierung sorgt für ordentlich Schub bei tiefen Drehzahlen, während der Zweiliter-­Sauger seine Stärken im oberen Drehzahlbereich hat, womit sich eine lineare und durchwegs kräftige Beschleunigung ergibt. Interessant ist dabei auch die Geräuschkulisse. Beim sportlichen Beschleunigen im Sport-Modus gibt es künstlichen Sound aus der Dose, der die simulierten Schaltvorgänge irgendwie witzig, aber auch irgendwie nervig untermalt. Das hat etwas von Formel-1-Wagen, aber auch etwas von einer Gratis-­App, die nach Rennauto klingen soll.

Mit allen Systemen in voller Aktion zeigt das Powermeter im digitalen Tacho durchgehend 100 Prozent Leistungsabgabe, der Verbrenner röhrt am Anschlag und äusserst angestrengt. Hier drückt auch durch, dass es eigentlich gar kein Getriebe gibt. Der Verbrenner ist mit einer fixen Übersetzung mit einem Generator verbunden, die Räder mit einer elektrischen Antriebsmaschine. E-CVT wird das deshalb genannt, weil die simulierten Gänge zwar variabel sind, aber aus einer Veränderung der Stromstärke resultieren, die über die Drehzahl des Verbrenners herbeigeführt wird.

Die zwei Herzen führen dazu, dass drei Betriebszustände möglich sind. Wenn immer möglich – und das ist in der Stadt relativ oft der Fall – fährt der Civic rein elektrisch, leise und butterzart. Dabei entlädt die Batterie mit einer Kapazität von 1.05 kWh nie komplett. Oder der Verbrenner treibt den Generator und damit die elektrische Antriebsmaschine allein an und lädt zugleich den Akku.

Meist arbeiten Verbrenner und Hybridisierung jedoch Hand in Hand, unterstützen sich gegenseitig, wie erwähnt haben beide Antriebskonzepte ihre Stärken in unterschiedlichen Bereichen und ergänzen sich deshalb hervorragend. Zudem, und das ist wiederum höchst positiv, gelingt das Zusammenspiel der Motoren in jedem Betriebsfenster bestens. Übergänge sind ausser akustisch und optisch durch die Animation im Infotainment nicht wahrzunehmen, ein kleiner, aber wichtiger Unterschied zu anderen Hybridangeboten. Und natürlich fährt der Honda Civic damit auch wirklich sparsam. Die Japaner sprechen von einem thermischen Wirkungsgrad von 41 Prozent. Verbrauchswerte um die vier Liter sind keine Ausnahme, auf unserer AR-Normrunde waren es 4.4 l/10 km. Der WLTP-­Verbrauch von 4.7 l/100 km ist damit absolut realistisch.

Das Auto entscheidet immer selbst, welcher Modus in der jeweiligen Situation optimal ist, ­eine Möglichkeit zum manuellen Eingreifen gibt es nicht. Das führt ab und an zur komischen Situation, dass man beispielsweise lautlos auf eine Ampel zurollt, wartet, und der Motor entscheidet, die Batterie im Stand mit hoher Drehzahl nachzuladen.

Kleine Zugeständnisse

Ausser im Stand fällt das Geräusch aber kaum auf, weil einerseits der Motorraum hervorragend isoliert ist, andererseits vor allem die Abrollgeräusche stark in den Innenraum dringen. So solide der Civic auch gebaut und verarbeitet ist, hier spürt man den Preis ab 35 990 Franken dann doch etwas. Gleiches gilt für das Infotainmentsystem, das auch in der neuen Generation äusserst altbacken daherkommt. Der nicht sonderlich reaktive Touchbildschirm ist zudem nicht dem Fahrer zugeneigt. Das heisst aber nicht automatisch, dass das System schlecht wäre. Es beschränkt sich einfach aufs Wesentliche. Die Icons im Menü sind beinahe riesig (und damit gut zu treffen), die Nutzeroberfläche ist eher rudimentär, und es gibt noch viele physische Knöpfe.

Spartanisch, aber durchdacht kommt auch der Innenraum daher. Spielereien sucht man vergebens. Auffälligstes Merkmal ist die Gitterblende, die sich quer durchs Auto zieht. Dahinter verstecken sich die perfekt regulierbaren Luftauslassdüsen. Obschon das Farbangebot eher defensiv gewählt ist, sind die verarbeiteten Materialien allesamt solide und die Bedienelemente am richtigen Ort. Im Honda Civic findet man sich sofort und intuitiv zurecht. Die Qualitätsanmutung ist so hoch, dass sich selbst die Druckpunkte der Knöpfe und der Hebel hochwertig und einzigartig anfühlen. Über die Oberflächenbeschaffenheit und das Muster der Mittelkonsole lässt sich streiten. Und wieder: Manche mögen es, manche – wie wir – eher nicht.

Was dem Civic gut gelingt, ist ein gutes Raumgefühl zu vermitteln. Die A-Säule ist im Vergleich zum Vorgänger etwas zurückgezogen, die Kotflügel sind flacher und die Fensterflächen gross. Nach vorne und zur Seite hin ergibt sich dadurch trotz der tiefen Sitzposition eine tolle Übersicht. Auf den vorderen beiden Plätzen gibt es auch mehr als ausreichend Platz.

Etwas anders sieht es hinten aus. Zwar ist auch hier die Beinfreiheit grosszügig, die Kopffreiheit wiederum ist selbst für normal grosse Passagiere sehr knapp bemessen. Weil die Hybridbatterie im Kofferraum untergebracht ist, sinkt auch das Kofferraumvolumen etwas, in der aktuellen Genera­tion sind es gut nutzbare 400 Liter.

Letztlich sind das alles eher kleine Zugeständnisse, weil man mit dem Honda Civic tatsächlich sehr viel und vor allem führende Hybridtechnik erhält. «Mit dem kleinen Modell Civic ist Honda ein beachtlicher Wurf gelungen», prophezeite die AR schon bei der ersten Modellgeneration. Das stimmt – bis auf das Wort klein – ein halbes Jahrhundert später immer noch und umso mehr. Allein interessiert das in Europa unverständlicherweise kaum jemanden. 

Testergebnis

Gesamtnote 78.5/100

Antrieb

Der Hybridantrieb ist in erster Linie effizient. Und er stört nicht, weil das Zusammenspiel allererste Sahne ist. Nur wenn ordentlich auf die Tube gedrückt wird, heult der Motor. Dafür ist die Beschleunigung auch rasant.

Fahrwerk

Der Civic kann durchaus auch sportlicher gefahren werden, sowohl die Lenkung als auch die Balance sind hervorragend. Dafür muss man Abstriche beim Komfort hinnehmen, aber nur geringfügig.

Innenraum

Auch wenn alles etwas farblos daherkommt, fühlt man sich sofort wohl. Das Infotainment ist nicht mehr das allerneuste, aber logisch und intuitiv.

Sicherheit

Vor allem der aktive Spurhalteassistent vermag zu überzeugen. Schön ist, dass alles serienmässig mit dabei ist. Auch der Bremsweg ist gut.

Budget

Beispielsweise bei der Geräuschdämmung merkt man, dass der Civic nicht ganz so viel kostet. Insgesamt sind es aber äusserst wenige Abstriche, die man für viel Auto zu einem fairen Preis machen muss.

Fazit 

Der Honda Civic ist ein echter Welthit. Und das aus gutem Grund, denn das Gesamtpaket ist hervorragend, und selbst der vielseitige und nunmehr allein angebotene Hybridantrieb vermag zu überzeugen. Aus einigermassen unverständlichen Gründen findet der Civic in Europa allerdings kaum Anklang.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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