«Elektro­mobilität muss cool sein!»

Früher hat sie ihren Käfer selber repariert, heute ist sie verantwortlich für die Elektromobilität bei VW und kann mit faszinierender Leidenschaft von Over-the-Air-Updates erzählen.

Lago Maggiore statt Wörthersee: Vom kultigen GTI-Treffen hat sich Volkswagen verabschiedet, der Anlass passte nicht mehr ins Saubermann-Image, das sich der Konzern verpassen wollte. Jetzt scheint die elektrische Alternative gefunden zu sein: das ID-Treffen am Lago Maggiore im Tessin. Eigentlich sollte es nur ein Communitytreffen für VW-ID-Fahrer aus ganz Europa sein. Aber wenn Volkswagen mit dem ID Xtreme und dem Azubi-Car, dem Projektauto der Lehrlinge aus dem Werk, zwei Weltpremieren nach Locarno TI schickt und dazu noch Elektro-Baureihenleiterin Silke Bagschik mit einer Delegation anreist, verleiht das dem Anlass eben doch einen offiziellen Charakter.

Wir treffen Silke Bagschik, die als Studentin ih­ren Käfer selbst reparierte, zum exklusiven Gespräch und unterhalten uns mit ihr über den Erfolg der ID-Baureihe, die Schwierigkeiten der Energiewende und die Probleme von Touchbedienflächen. Und darüber, wie der ID Buzz die Familienzeit wieder ins Auto bringt.

Automobil Revue: Gut zwei Jahre ist es her, dass der erste VW ID 3 ausgeliefert wurde, jetzt steht da schon eine ganze Modellfamilie. Macht Sie das stolz?

Silke Bagschik: Ja! Wir haben damals versprochen, dass wir jedes Jahr ein neues Modell bringen. Und wir wollten unbedingt mit dem ID.3 im Herzen des Volkswagen-Segments anfangen, auch wenn wirt­schaftlich der ID.4 mehr Sinn gemacht hätte. Und wir haben das auch gemacht, um zu zeigen, dass wir es ernst meinen mit der E-Mobilität. Das hat uns damals ja keiner geglaubt. Aber nachdem wir das Bild mit dem Käfer, dem Golf und dem ID.3 prä­sentiert hatten, verstand jeder, Volkswagen macht Ernst! 

Und die Community gibt es auch bereits, wie man hier am Treffen des ID Drivers Clubs sieht!

Ja, und wir haben noch nicht einmal gross Wer­bung gemacht für den Drivers Club. Und trotzdem sind schon 11 000 Leute dabei, das ist einfach grossartig! Wenn eine neue Software kommt, dann sehen wir sofort die Kommentare. Und wenn es Verbesserungs-Ideen gibt, zeigen wir die direkt den Entwicklern, die sich um technische Lösungen kümmern. Es ist einfach eine schöne, direkte Art, mit den Fah­rern im Austausch zu bleiben. Das ist mir tausend­mal lieber, als wenn ich irgendeine Agentur für viel Geld damit beauftrage, Elektrokunden zu finden und die zu befragen. Wir haben ja unsere Kunden, und die können wir fragen. Das macht Spass! Und die Kunden merken, dass sie einen Einfluss auf die Entwicklung bei Volkswagen haben. Zum Beispiel haben zeigen wir jetzt die Prozentanzeige des La­dezustands direkt im Instrumentencluster an – auf Wunsch unserer Kunden.

Die Abläufe, wie man Updates herausbringen muss, haben sich damit auch verändert? Früher wurden Autos jeweils alle vier Jahre erneuert, jetzt braucht es alle vier Wochen ein Update?

Ich würde da nicht von müssen sprechen – wir können das jetzt! Und wir wol­len das. Das ganze ID.Team ist mit Herzblut da­bei und mit viel Liebe und Verantwortung für die Marke Volkswagen. Und da wissen, dass wir 300 000 Kunden haben und deren ID. einfach per Over-the-Air-Update noch besser machen können, ist das ein enormer Ansporn.  Das ging früher einfach nicht, da musste man bis zur Modellpflege oder der Produktaufwertung warten – und konnte existierende Kunden nicht mehr erreichen.  Ich wünsche mir daher, dass wir so viel wie möglich über die Software machen und nicht über die Hardware. So können wir neue Funktionen nicht nur all denen geben, die ein neu­es Auto kaufen, sondern auch denjenigen, die schon eines haben. Wir drücken auf den Knopf, und schon erhalten alle Kunden neue Funktionen! Wir tasten uns jetzt heran, wie viele Updates richtig sind und wie umfangreich sie sein sollen. So riesig wie mit der Software 3.0, die wir jetzt gerade ausrollen, wird es wohl nicht mehr, das werden wir in Zukunft gestaffelt ausrol­len. Ich denke, eine Grössenordnung von zwei- bis viermal im Jahr ist völlig in Ordnung.

Wieso macht man das vor allem bei den Elektroautos und nicht bei den Verbrennern?

Aus technischen Gründen. Unsere Elektroautos haben die neue Elektronikarchitektur. Wir haben mit der MEB-Plattform auf einem weissen Blatt Papier begonnen und gesagt, wenn wir sowieso al­les neu machen, dann machen wir die Elektronik­architektur auch gleich noch neu. Und wir machen sie gleich updatefähig.

Die Ladeleistung kann man auch per Update erhöhen. Ist denkbar, dass der ID 3 auch bald mit 170 kW laden kann wie der ID Buzz anstatt wie bisher mit bloss 135 kW?

Erst einmal: 135 KW sind in der Klasse richtig viel. Aber wir entwickeln trotzdem ständig weiter, aber das braucht auch Zeit. Und durch die Erfahrung, die wir mit den Autos auf der Strasse sammeln, kriegt man noch viel raus. Das Thermomanagment beispiels­weise hat noch viel Potenzial, das wir ausnutzen können. Da machen wir die Winterperformance besser, die Reichweite und die Ladegeschwindig­keit. Man muss aber verstehen, dass die Ladege­schwindigkeit auch von der Batteriegrösse und vor allem vom Zellenlieferanten abhängig ist. Und die ideale Ladekurve ist eine Wissenschaft für sich. Manche möchten einen möglichst hohen Peak zu Beginn, aber dafür warten sie ein bisschen länger, um auf 80 Prozent zu kommen. Und andere möch­ten lieber möglichst schnell möglichst viel drin ha­ben. Für die ist dann eine etwas flachere Ladekur­ve besser, die dafür weniger abfällt.

Theoretisch könnte man ja nicht nur die Ladeleistung erhöhen, sondern auch die Motorleistung …

Das ist gut möglich! Volkswagen muss ja im Grun­de bezahlbar sein. Aber man kann sagen, o. k., das Auto ist in der Basis günstig, aber gegen Aufpreis kann man sich Mehrleistung freischalten lassen. Da bekommt man dann als junger ID.-Fahrer zu Weihnachten von Papa eine Sekunde in der Be­schleunigung geschenkt! Wir werden da auch eine Möglichkeit finden, dass das im Vornherein mit der Zulassung abgedeckt ist, damit man das nicht noch extra eintragen lassen muss. Da gibt es eine Span­ne, die man ausnutzen kann, und das werden wir machen!

Ein weniger schönes Weihnachtsgeschenk sind die drohende Stromkrise im Winter und die steigenden Strompreise in ganz Europa. Wie kann man da noch mit gutem Gewissen sagen: Kauft doch jetzt ein Elektroauto?

Wir haben gerade massivste Verwerfungen in Europa, das ist eine multiple Krise. Ich versuche aber immer die guten Dinge zu sehen: Wir alle lernen Energie zu sparen. Und wir lernen auch, möglichst schnell von fossi­len Energieträgern wegzukommen. Ich denke, das wird der Elektromobilität helfen. Denn wir brauchen die Elektromobilität für die Energiewende. Und vor allem: Was ist denn die Alternative? Die Alternative ist ein Verbrenner, bei dem ich für den Sprit zwei Euro pro Liter bezahle. Dann lade ich doch lieber zu Hause. Strom ist im Vergleich zu Benzin immer noch ein Schnäppchen.

Für die Energiewende braucht es aber auch sauberen Strom. Und genau da scheint die Politik aktuell stillzustehen. Muss die Privatwirtschaft das Problem lösen?

Ich glaube, das ist gar nicht wirklich bekannt, ob­wohl es uns ein Vermögen kostet: Wir speisen für jeden verkauften ID. den Energieverbrauch für ein ganzes Fahrzeugleben als Grünstrom ins Netz ein. Das heisst, wir haben Grünstromanlagen gekauft oder beteiligen uns daran, um den Anteil an Grün­strom zu erhöhen. Das ist, glaube ich, eine sehr sinnvolle Sache. Ich hoffe, dass auch die Politik ge­legentlich merkt, dass wir erneuerbare Energien brauchen. Aber aktuell sind halt alle gelähmt von der Krise, was ich auch verstehen kann. Schliess­lich geht es jetzt ans Eingemachte. Da hat die Elek­tromobilität nicht erste Priorität, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht den Drive verlieren. Denn eigentlich müsste das Klima immer erste Pri­orität haben.

Grosse Hoffnungen für die Energiewende ruhen auf der Vehicle-to-Grid-Technologie, also der Rückeinspeisung von Energie vom Fahrzeug ins Stromnetz. Wie sehen Sie das?

Die ID-Fahrzeuge könnten das. Wir starten jetzt mit den Pilotversuchen, und die Funktion wird dann per Update auf die Fahrzeuge spielbar sein. Aber: Um dann Energie ein­zuspeisen, braucht es erst die Normen und die Ge­setzgebung. Ich hoffe, das wird bald kommen.

Aber für den eigenen Haushalt würde es schon funktionieren?

Für den eigenen Haushalt, also Vehicle-to-Home, geht das bereits. Je nach dem wie intensiv man das nutzt und wieviel Kapazität der Batterie dafür nutzbar gemacht wird, ist das auch wieder Neuland, das es zu durchdenken gilt.  Man fährt zwar nicht, aber die Batterie wird geladen und entladen.  Wir müssen deshalb schauen, wie wir das mit der Garantie machen wol­len.

Das gibt dann eine Art virtuelle Kilometer?

Vielleicht – je nach Intensität der Nutzung. Wir geben aktuell acht Jahre und 160 000 Kilo­meter Garantie plus eine Anschlussgarantie von bis zu zwölf Jahren. Am Ende kann es wirtschaftlich Sinn machen, ganz viele Autos oft am Grid zu haben, um auch Peaks abbauen zu können. Es macht ja keinen Sinn, dass die Windkrafträder leerlaufen und die Ener­gie verschwendet wird. Oder Gaskraftwerke zum Abfedern von Peaks hochgefahren werden. Deswegen möchte ich, dass ein grosser Teil der Fahrzeuge, wenn nicht sogar alle, das unseren Kunden möglich machen.

Wo wäre denn der Anreiz für den Kunden?

Darin, dass der Energieprovider einen günstigeren Stromtarif anbietet, wenn man sein Auto einsteckt. Dafür kann der Provider das Auto nutzen, um sei­ne Last zu managen. Man sieht: E-Mobilität ist ein ganzheitliches, komplexes Thema, das man sorg­fältig durchdenken muss. Und das tun wir.

Ein ganz anderes Thema, das man noch einmal durchdenken sollte, ist die Bedienung der aktuellen Fahrzeuge über Touchflächen und sehr oft sehr unübersichtliche Menüstrukturen. Wird da nachgebessert?

Ja, das schauen wir uns sehr intensiv an – unser Kunde steht ja immer im Mittelpunkt unseres Handelns. Aber es gehört zur Innovation, dass man manchmal vielleicht einen Schritt zu weit geht. Das muss man erkennen und reagieren. Das ist aber  immer noch besser, als es gar nicht erst zu versuchen. Das Feedback unserer Kunden zu den Touchbe­dienflächen nehmen wir sehr ernst. Wenn man alles clean und aufgeräumt und ohne Knöp­fe haben will, dann sieht das zwar toll aus – wichtiger ist aber, dass ein ganz normaler Volkswagenkunde intuitiv damit klarkommt. Am aufschlussreichsten ist für mich der „Mietwagen-Test“: Kunden verschiedener automobiler Herkunft steigen ein ohne Schulung und Vorwissen – und müssen die Basis-Funktionen intuitiv bedienen können. Wenn wir da jetzt noch etwas nachjustieren können, dann tun wir das auch.

Sehr positiv hingegen waren die Reaktionen auf den ID Buzz. Nicht nur in der Presse und bei den Fans, sondern auch auf der Strasse. Was hat man richtig gemacht?

Es gab schon so viele Versuche, einen Bulli zu ma­chen – sie scheiterten alle daran, dass der Motor vorne war. Sobald feststand, dass die MEB-Platt­form einen Heckantrieb erhält, kam sofort die Idee für den ID. Buzz. Und dann kamen die Herausforderungen mit der Grösse, dem Luftwiderstand und der Reichwei­te. Aber irgendwann hatten wir die grosse Batterie, und dann entschieden wir uns dazu, den ID. Buzz zu bauen. Das Kunden- und Medienfeedback ist enorm positiv, alle lieben das Auto. Und das ist ja erst der Anfang, die Langversion ab Ende 2023 wird auch richtig cool! Sie kommt mit drehbaren Einzelsitzen, da hat man wieder wie früher Familienzeit im Auto. Da kann man auf dem Weg in die Ferien den Kindern sa­gen, pack den Nintendo weg, wir spielen Karten! Das ist doch schön!

Wieso hat man nicht mit diesem Kultmodell die ID-Reihe gestartet, sondern mit dem ID 3?

Volkswagen steht ja nicht nur für Ikonen wie den Bulli, sondern vor allem im besten Wortsinn von VOLKSwagen für Einstiegsmobilität – deshalb müssen wir auch bei elektrischen Fahrzeugen bezahlbar sein. Deshalb wollten wir mit dem ID. 3 starten. Eigentlich fehlen uns noch die Zahlen unterhalb des ID.3, deshalb arbeiten wir mit Hochdruck daran, da auch noch eine kleine Modellfamilie aufzumachen. Das wird dann unser nächstes grosses Steckenpferd. Erst einmal müssen wir aber die 700-Kilometer-Reich­weitengrenze knacken, damit die Menschen nicht länger denken, dass Elektro und Langstrecke nicht zusammengingen.

Es kommt ja auch immer auf die Ladegeschwindigkeit an. Wenn ich schnell genug laden kann, kann ich auch nach 350 Kilometern kurz an den Stecker.

Ja und nein. Schnellade-fähig sind alle ID.s. Reichweitenangst ist aber noch weit verbreitet bei Leuten, die nicht elektrisch fahren. Damit noch mehr Leute in die E-Mobilität sich «trauen» , hilft es schon, wenn da eine Sie­benhundert steht. In Zeiten von E-Golf und Co. hatte Elektromobilität immer dieses Verzichtsstig­ma, und das ist halt schlecht. Deshalb haben wir nach dem ID.3 gesagt, dass wir erst einmal darü­ber weiter machen. Elektro­mobilität muss cool sein. Deshalb machen wir jetzt die 700 Kilometer in einem tollen grossen Langstrecken-Cruiser, dann ist die Mär weg, dass man ein Langstrecken-Familienfahr­zeug nicht elektrisch betreiben kann. Aber direkt danach geht’s mit den Baby-ID.s weiter. 

Zur Person

Silke Bagschik studierte Ingenieurswissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt (D) und am Georgia Institute of Technology in Atlanta (USA). Nach vier Jahren beim Beratungsunternehmen McKinsey arbeitet sie seit 2006 in verschiedenen Funktionen bei Volkswagen. Seit 2022 ist sie Head of Marketing and Sales für die Produktlinie E-Mobilität.

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