Zeit für die Rückkehr

Er war einst das Volumenmodell der Rüsselsheimer. Komplett neu konstruiert, hat er die letzten Spuren der alten Besitzer abgeworfen.

Er war einst ein harter Konkurrent des Golf, der Astra, heute fährt der Kompakte von Opel unter ferner liefen – auch wenn sich auch der Konkurrent von VW selber nur noch knapp in den Schweizer Top Ten halten kann. Es scheint, die glorreiche Zeit für Autos wie dieses sei definitiv vorbei. Dennoch – oder gerade deswegen? – hat man sich bei Stellantis, pardon, in Rüsselsheim mächtig ins Zeug gelegt und mit dem neuen Astra ein Auto geschaffen, das nicht nur vordergründig dem Blitz alle Ehre machen soll. Bei vier Motorisierungen, dem Dreizylinder mit 81 oder 96 kW (110 oder 130 PS), einem Diesel mit 96 kW (130 PS)  und einem Vierzylinder-Plug-in-Hybrid mit 133 kW (180 PS), ist die Auswahl weniger umfangreich als anderswo, der Plug-in scheint aber als Gesamtpaket recht harmonisch daherzukommen und erfüllt laut den Leistungswerten den Wunsch nach reichlichen Kraftreserven.

Das Gesicht wiedergefunden

Schon in den ersten Minuten gibt es gute News, der Astra hat nach Jahren des etwas verlorenen Allerweltsdesigns wieder ein markantes Gesicht erhalten. Und das Glänzende daran ist, dass es irgendwie vertraut wirkt. Mit einem Schuss D-Rekord oder Ascona der Serie 1, vielleicht gar einem Hauch von Manta spielen die Designer in Rüsselsheim gekonnt mit den Erinnerungen all jener, die Opel noch als Leader auf dem Schweizer Markt kannten. Ebenso erfreulich: Die Gestaltung des Astra wirkt weder retro noch gequält markentreu. Und der neue Astra steht selbstbewusst da, ja er ist aus gewissen Winkeln gar sexy. Wie lange haben wir auf einen solchen Auftritt eines neuen Opel gewartet? Dass unser Testwagen in einer Schattierung von Gelb mit einem schwarzen Dach angeliefert wird, bringt zudem weitere Erinnerungen zurück. Wer kennt sie noch, die heissen Kadett B und C Coupés in der Rallye- oder GS/E-Variante? Doch genug geschwärmt, die Gegenwart ist weit weniger verklärt: Der Opel Astra muss im Hier und Jetzt liefern.

Die Sitze sind nach den Vorgaben der Aktion Gesunder Rücken (AGR) geformt und in unserem Testwagen in Nappaleder geschlagen – die ARG-­Partnerschaft mit Opel besteht schon länger, das Resultat ist ein Sitzkomfort, der zum Besten gehört, was im C-Segment zu finden ist. In der von uns getesteten Topausstattung sind sie elektrisch vielfältig verstellbar, haben eine ausziehbare Oberschenkelauflage und einen generell sehr grossen Verstellbereich – und Massagesitze für Fahrer und Beifahrer. Hinten sitzt es sich passabel, der Kofferraum muss aufgrund des dichter bepackten Plug-in-Hybrids auf knapp 70 Liter Volumen verzichten. Übrig bleibt ein Fach von 352 bis 1268 Litern Inhalt. In Sachen Ergonomie leistet sich der Astra wenig Schwächen. Als einziger Komfortmangel könnte man die reichlich harte Armauflage in der Fahrertür kritisieren. Die wichtigsten Bedienelemente liegen gut zur Hand, nur der Schalter für die Fahrstufen – in direkter Linie von anderen Modellen des Konzerns übernommen – ist bestimmt nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Ein-Finger-Bedienung ist angesichts der Tragweite seiner Funktion – geht es vorwärts oder rückwärts? – nicht eben vertrauenerweckend. Es beruhigt jedoch, die gewählte Fahrstufe im Display angezeigt zu erhalten. Zudem reagiert der Schalter, anders als bei früher getesteten Beispielen verschiedener Schwestermarken des Opel, unmittelbar. Beim Manövrieren wie bei einer Wende, die flott vonstatten gehen soll, erweist sich der kleine Wählschalter als willig, die Fahrstufe quasi in Echtzeit zu liefern.

Bildschirmwelt

Das gesamte Instrumentarium verteilt sich auf zwei Bildschirme, dabei verzichteten die Opel-Designer gleich von Anfang an auf einen klassischen Look des Tableaus, etwa einen separaten Instrumententräger. Flach, bündig und eckig bis zum äussersten Rand sowie leicht zueinander angewinkelt sitzen sie da, die beiden Screens. Jener hinter dem Lenkrad liefert unprätentiös Informationen zum Fahr- und Ladezustand genauso wie etwa zum Umfang des Rekuperierens. Entsprechend konfiguriert gibt er auch für jede noch so kurze Fahrt nach Ausschalten der Zündung den Verbrauch in Litern und Kilowattstunden pro 100 Kilometer preis, das kann ein Augenöffner sein wenn – noch mit kaltem Motor – plötzlich 23 Liter pro 100 Kilometer angegeben werden, wenn für eine kurze Fahrt vom Büro zur Tankstelle und zurück der Verbrennungsmotor zum Einsatz kommt. 

Der andere Bildschirm dient allen weiteren Zwecken, zur Fahrzeugeinstellung, für das Infotainment und für die Klimatisierung. Er bietet in seiner Funk­tionalität keine Revolution, operiert allerdings mit denselben geringfügigen Mängeln wie in anderen Stellantis-Produkten. Unglücklich etwa ist die tief in Untermenüs versteckte Funktion zum Erhalt der Batterieladung. Die spielt etwa dann eine Rolle, wenn eine längere Strecke ohne Lademöglichkeit zurückgelegt wird, aber am Ende genügend Energie für den Hybridbetrieb vorhanden sein soll. Auch das Radio lässt sich nicht ohne Weiteres zum Abspielen der Lieblingsstation bewegen. Immerhin hilft einem die Sprachsteuerung, überhaupt bis zum Radio vorzustossen. Wer es einmal begriffen hat, der wird für diesen Effort mit einem raumfüllenden Klang belohnt. Zusammen mit dem kaum wahrnehmbaren Geräusch des Verbrennungsmotors bei Autobahntempo wird der Astra zum unerwartet relaxten Fortbewegungsmittel für Vielfahrer. Überhaupt: Unerwartet ist ein Wort, das einem im täglichen Umgang mit dem Astra einige Male in den Sinn kommt.

Spurtstark

Mit 180 System-PS bietet der Astra auf dem Papier ein gutes Leistungsangebot. In der Praxis kann der Rüsselsheimer auch tatsächlich damit punkten. Das Auto zieht bei Bedarf mit Nachdruck über den Beschleunigungsstreifen auf die Autobahn. Er ist gewiss kein Sportwagen, aber dank des erwachsenen 1.6-Liter-Vierzylinders passieren solche Momente ohne jene aufgeschreckte Änderung der Tonlage, wie sie manche andere Hybride von sich geben, wenn sie für einmal richtig gefordert werden. Etwas Kritik am Antrieb muss sich aber auch der Opel gefallen lassen. In manchen Fahrsituationen wirkt der Automat etwas ruppig, und die Übergänge von reinem E- zum Gemischtantrieb sind besonders im Stadtverkehr zu stark spürbar, als dass man sie ignorieren könnte. Was am Astra uneingeschränkt gefällt, ist seine Strassenlage. Ohne übermässig weich zu wirken – die rund 1.6 Tonnen wollen im Zaum gehalten werden –, bietet der Opel einen guten Fahrkomfort, ist aber auch bei schnell gefahrenen Kurven handlich. Eine grosse Hilfe bietet dabei die präzise Lenkung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die bekannte EMP-2-Plattform, auf der bei Stellantis viele Modelle vom Kompakt- bis zum Lieferwagen basieren, im Opel Astra einen erneuten Feinschliff erhalten hat.

Sie seien eine Mogelpackung und dergleichen, wird gelegentlich den Stecker-Hybriden vorgeworfen. Natürlich gelten die angegebenen, brillanten Verbrauchswerte nicht für lange Strecken. Aber aufgeladen fährt der Astra die ersten hundert Kilometer dank seiner Batterie mit 12.4 kWh Kapazität tatsächlich zur Hälfte rein elektrisch. Dazu steht ein im Antriebsstrang integrierter E-Motor mit 81.2 kW (110 PS) zur Verfügung. Tatsächlich ist dieser für all jene Fahrsituationen, die im urbanen Umfeld auftreten können, mehr als ausreichend. Etwas knapp bemessen scheint uns hingegen das Tankvolumen mit 42 Litern, wenn die Energiereserven daraus zusätzlich dem 1.6-Liter-­Turbobenziner mit 110 kW (150 PS) zugeführt werden sollen. Laut unseren Messungen ergab sich ­eine kombinierte Reichweite von 600 Kilometer. Allerdings stehen in der Praxis die Chancen gut, dass der Astra PHEV – wenn er jeweils korrekt geladen wird – den durchschnittlichen, alltäglichen Pendlerverkehr unter der Woche ohne einen einzigen Tropfen Benzin zurücklegen kann. Zum Laden steht dabei ein 3.7-kW-Onboard-Ladegerät für eine Ladezeit von rund dreieinhalb Stunden von null bis 100 Prozent zur Verfügung. Damit liegt der Astra im guten Durchschnitt. Im direkten Vergleich mit dem VW Golf, dem alten Konkurrenten aus Wolfsburg, mit dem sich so manche Genera­tion des Kompakt-­Opels herumschlug, macht der Astra eine gute Figur: Mit etwas weniger Leistung, und ­dafür einem günstigeren Preis steht er gut da. Die Frage aber bleibt, wie gross die Zukunft für die einst führende Kompaktklasse überhaupt noch ist und wie lange der Plug-in-Hybrid noch seine Rolle als Übergangsmodell hin zur Elektrifizierung spielen kann und soll. Denn auch bei Opel sind die Weichen längst gestellt, ab 2028 gilt auch in Rüsselsheim unmissverständlich: Ende Verbrenner! 

Testergebnis

Gesamtnote 76.5/100

Antrieb

Kraftvoll mit gutem Durchzug bleibt der Verbrenner akustisch dennoch sehr zurückhaltend. Gelegentlich interagieren Benzin- und E-Motor zusammen mit dem Achtgang-Getriebe etwas ruppig.

Fahrwerk

Der Astra ist agil, ohne allzu sportlich-straff zu wirken, und sehr routiniert abgestimmt. Die Lenkung ist zielgenau und vermittelt ein gutes Gefühl für die Fahrsituation.

Innenraum

Brillante Sitze mit hohem Sitzkomfort, die Armauflagen in den Türen sind recht hart. Der Wählschalter für das Getriebe ist unterdimensioniert, die Bedienerführung durch die Menüs ist nicht immer sehr schlüssig.

Sicherheit

Gutes Licht im Astra-Spitzenmodell, komplettes Sicherheitspaket, der Totwinkelwarner dürfte etwas ausgeprägter sein. Gute Bremsleistungen!

Budget

Attraktive Preisgerstaltung im Verhältnis zum wichtigsten Konkurrenten – mit mehr Leistung und besserer Ausstattung.

Fazit 

Der Astra PHEV sieht flott aus und fährt sich auch so. Das Auto wirkt wie aus einem Guss. Die besten Zeiten dieser Fahrzeugklasse mögen wohl vorbei sein, aber es ist dem Astra anzumerken, dass Opel das Beste aus dieser Plattform herausgeholt hat und sich gerne ein stattliches Stück vom kleiner gewordenen Kuchen abschneiden will.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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