Die richtige Strategie?

Ist das umkämpfte Segment der Kompakt-SUV der richtige Einstieg für eine neue Marke? Mit dem Atto 3 versucht BYD kreativer zu sein.

Er sei die grösste Hoffnung für den europäischen Markt, sagt BYD zum Atto 3. Die chinesische Marke startet ihre Europa-Offensive deshalb im beliebten Segment der Kompakt-SUV. Ob das geschickt ist? Wir wissen es nicht. Auch noch ein Stück von einem Kuchen ergattern zu wollen, um den sich schon alle prügeln, ist vielleicht nicht der einfachste Weg. Einfacher wäre es, eine Nische abzudecken, die bisher wenig beachtet blieb. Welche das sein könnte? Wir wissen es nicht mit Sicherheit. Aber die Handyhersteller – ja, wir ziehen das Beispiel gerne herbei – haben vorgemacht, wie es funktionieren kann: Premiumprodukte zum Budgetpreis. Wären Huawei oder Xiaomi mit halbherzigen Produkten zu durchschnittlichen Preisen eingestiegen, hätten sie sich mit Sicherheit nie den Erfolg aufbauen können, den sie heute haben. Doch sie forderten Apple mit Flaggschiffprodukten zu massentauglichen Preisen direkt heraus – und passten dann langsam, aber stetig die Preisgestaltung an. Handymarken, die eine andere Strategie wählten, gingen eher früher als später wieder unter.

Was uns zurückbringt zu BYD und zum Atto 3, der als SUV im C-Segment VW ID 4, Kia E-Niro und andere angreifen soll. Mit einer Länge von 4.45 Metern und einer Motorleistung von 150 kW (204 PS) ist er dafür auch bestens geeignet. Bei diesen durchschnittlichen Kennzahlen gibt es zwei Faktoren, die für den Erfolg entscheidend sein können: der Preis und das Markenimage. Ersteres ist das Erfolgsgeheimnis des E-Niro, Letzteres das des Audi Q4 E-Tron. Markenimage hat der BYD keines, es läuft am Ende alles über die Preisgestaltung. Denn echte Schwachstellen hat der Atto 3 nach einer ersten Probefahrt keine präsentiert. Dafür wartet er mit einigen unerwarteten, kreativen Ansätzen wie der Gitarre in der Türverkleidung auf. Tatsächlich ziehen sich über das Staufach in der Türe drei Gummischnüre, hinter denen sich nicht nur Flaschen oder sonstiger Ramsch versorgen lassen, sie geben auch tatsächlich wie drei Saiten unterschiedliche Töne von sich. Wie lange das witzig ist, wenn die Kinder auf der Fahrt in die Ferien unentwegt daherschrummen … Der eine oder andere wird da vielleicht früher oder später zur Schere greifen. Die Kreativität der Design­abteilung von BYD geht aber noch deutlich weiter. Seien es die extravaganten Türgriffe, die Luftdüsen oder der unkonventionelle Wählhebel – die Designer des
Atto 3 konnten ihre Fantasie ausleben. Auch der zentrale Bildschirm ist aussergewöhnlich und lässt sich auf Knopfdruck um 90 Grad vom Quer- ins Hochformat und zurück drehen. Ob der Nutzen wirklich so gross ist, dass es dafür ­einen Knopf direkt auf dem Lenkrad braucht, konnte auch bei BYD niemand schlüssig erklären. Eine nette Spielerei ist es aber.

Kurze Lieferfrist

Die neue Blade-Batterie baut kompakter als eine herkömmliche mit Pouch-Zellen in Modulen, was für Platz im Innenraum sorgt. Wie üblich bei der Skateboard-Architektur ist der Boden vor der Rückbank komplett flach, was für gute Platzverhältnisse sorgt. Der Kofferraum liegt mit seinem Ladevolumen von 440 Litern gut im Durchschnitt, aber dass es unter der vorderen Haube keinen Frunk gibt, obwohl das Packaging mehr als genügend Platz bieten würde, ist etwas schade. Dass die Ladekabel in einem doppelten Boden unter dem Kofferraum verstaut werden, halten wir immer noch für eine ungünstige Lösung. Dass trotz Frontantrieb unter der Haube so viel Platz ist, hat vor allem mit dem Aufbau des Autos zu tun. Der Motor sitzt sehr tief über der Achse, ebenso die 8-in-1-Leistungselektronik, die dank der neuen Plattform bereits sehr kompakt ausfällt.

Zum Fahrverhalten lässt sich nicht viel sagen,  weil es schlicht nichts zu sagen gibt. Mit 150 kW (204 PS) beschleunig der Atto 3 in 7.3 Sekunden auf 100 km/h. Das Fahrwerk ist auf der weichen Seite, die Lenkung wenig direkt – der Atto 3 fährt sich wie jedes andere durchschnittliche elektrische Kompakt-SUV. Wann der Marktstart in Europa erfolgen soll ist noch nicht klar, und die Schweiz wird sich noch etwas länger gedulden müssen. Den entscheidenden Vorteil könnte sich BYD dann vor allem über die Lieferfristen verschaffen: Während es nämlich bei der Konkurrenz überall mindestens zwölf Monate Geduld braucht, bis das Auto ausgeliefert wird, will BYD innert weniger Wochen liefern. Vertikaler Integration sei Dank. 

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