Neuer Partylöwe

Was ist vom neuen Alfa Romeo zu halten? Die ersten Eindrücke sind gemischt. Der Tonale macht vieles ­richtig, kann seine Herkunft aber nicht verleugnen.

Alfa Romeo hegt irrsinnige Hoffnungen mit dem Tonale. Dürfen die Italiener auch, weil er genau dem Zeitgeist entspricht und sich kompakte SUV schon fast von selbst verkaufen. Und siehe da! In den ersten zwei Monaten seit der Markteinführung wurden bereits 122 Exemplare abgesetzt. Nicht schlecht, allerdings auch nicht ungeheuer gut. Wenn man nur die Bilder zu Rate zieht, dann ist der Tonale schon eine Wucht, die italienischen Gene sind unübersehbar. Angesichts der knackigen LED-Signaturen vorne und hinten und des Scudetto-Kühlergrills, für den das Nummernschild nach links ausweicht, kann man schnell ins Schwärmen geraten. Auch das knackige Profil und die bis zu 20 Zoll grossen Felgen im typischen Alfa-Design gefallen, das spitz zulaufende Heck rundet den stimmigen Auftritt – unaufgeregt, aber ausdrucksstark – ab, macht Eindruck und lässt den Tonale grösser wirken, als er eigentlich ist. Denn die Platzverhältnisse sind in allen Reihen durchschnittlich, nirgendwo aber üppig. Zum Stelvio hält er einen ordentlichen Abstand, die Länge von 4.53 Metern entspricht ungefähr derjenigen – und damit sind wir bei dem Teil der Familie angelangt, den man lieber verstecken würde – des Jeep Compass. Mit diesem teilt der Italiener nämlich die Plattform, die Antriebe und damit wohl mehr, als ihm lieb ist.
Der Jeep Compass stellte sich schon zweimal in diesem Jahr unserem Testprozedere, einmal mit dem 110 kW (150 PS) starken 1.3-Liter-Motor und einmal als Plug-in-Hybrid 4XE. Beide Mal konnte er nur bedingt überzeugen.

Kleine Details

Aber wir wollen ja nicht voreingenommen erscheinen. Die Unterscheidung zum Compass zeigt sich auch im Innenraum. Als Allererstes fallen da die riesigen Schaltwippen aus Metall auf. Inwiefern es diese in Anbetracht der Leistung von 96 kW (130 PS) braucht, sei dahingestellt, doch dazu später mehr. Auch das Alfa-Logo im Lenkrad wird hochwertig und prominent in Szene gesetzt, dazu gesellt sich die kleine Italien-Flagge unterhalb des Schalthebels. Auffällig ist auch der 12.3 Zoll grosse Bildschirm fürs Infotainment, bei Alfa Romeo in die Breite gezogen und damit hübsch und relativ dezent ins Armaturenbrett integriert. Das Infotainmentsystem gefällt mit seinem Aufbau, seiner Reaktionsfreudigkeit und der Vernetzung. Standesgemäss können Updates und neue Funktionen bequem via Internet hinzugefügt werden. Und die wichtigsten Funktionen werden noch richtig und klassisch mit physischen Tasten geregelt. Ganz und gar nicht old school, sondern Neuland ist die Integration sogenannter Non-Fungible Tokens (NFT). Kurz und vereinfacht gesagt: Das Serviceheft entfällt, die wichtigsten Fahrzeugdaten werden in einer Blockchain gespeichert und sind damit immer zugänglich und fälschungssicher.

Weiter unterscheidet sich der Tonale in kleineren Dingen wie der Bedieneinheit für die Klimasteuerung, den Türverkleidungen und das Dashboard vom Compass. Wieder macht das auf den Bildern alles einen äusserst gelungenen Eindruck. In Wirklichkeit kommt es allerdings stark auf die gewählte Ausstattungsvariante an, von denen es beim Tonale nicht weniger als 17 gibt. Das hat immerhin den Vorteil, dass es ausser der Farbe keine zusätzlichen Optionen gibt. Doch natürlich wird die Auswahl damit nicht sehr übersichtlich. Der Testwagen in der Variante Speciale Premium ADAS (52 900 Fr.) liegt ziemlich genau in der Mitte der Preisskala. Was bedeutet, dass die Voll-Matrix-­Scheinwerfer, die roten Brembo-Bremssättel und die Harman-Kardon-­Audioanlage mit an Bord waren, die Materialanmutung im Innenraum aber eher auf der dürftigeren Seite lag. Wer (etwas) mehr will, muss zu den teureren Varianten greifen.

Unglückliches Kunststück

Die Verwandtschaft des Alfa Romeo Tonale mit dem Jeep Compass bedeutet auch, dass es keinen echten Allradantrieb gibt. Sollen alle vier Räder angetrieben werden, muss man zum Plug-in-Hybrid mit 275 PS greifen, der später nachgereicht wird. Im Testwagen werkelte ein 1.5-Liter-Benzinmotor, den es mit 130 oder 160 PS gibt, beide mit Mildhybridsystem und an ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe gekoppelt.

Womit wir bei einem wirklich haarigen Thema angelangt sind. Man kann es leider kaum anders sagen, aber dem 130 PS starken Aggregat mit Mildhybrid-Unterstützung gelingt das Kunststück, in beinahe jeder Fahrsituation störend in den Vordergrund zu treten. Das beginnt bereits beim Losfahren, wenn auf den ersten, kleinen Drehmomentschub eine lange Pause folgt, bis der Benziner endlich übernimmt. Im Stau wird es wirklich schlimm, weil das Zusammenspiel der beiden Aggregate bei Schleichfahrt gar nicht mehr funkioniert. Der Alfa Tonale stottert, heult, tut merkwürdige Dinge, wie es ihm gerade in den Kram passt. Bei schneller Fahrt vergeht wiederum eine halbe Ewigkeit, bis die geforderte Leistung auch in Vortrieb umgesetzt wird. Auch wenn die Abstimmung der Automatik verständlicherweise nicht sportlich ausfällt, so arbeiten gerade Doppelkuppler in der Regel verbindlicher.

Bereits im Fahrbericht mit der 160-PS-Version beschrieben wir, wie zögerlich der Antriebsstrang auf Bewegungen des Gaspedals reagiert. Obwohl gerade einmal 240 Nm zur Verfügung stehen, das Getriebe also doppelt gefordert wäre mit schnellen Gangwechseln. Bei 30 PS weniger und gleichem Drehmoment wird dieser Umstand nochmals deutlicher. Umso mehr, als dass die kleine Elektromaschine mit ihrer Leistung von 15 kW (22 PS) und 55 Nm – ausser beim Anfahren – kaum je spürbar unterstützend eingreift. Die Batteriekapazität beträgt 0.77 kWh, wodurch der Tonale ab und zu rein elektrisch fährt oder besser: rollt. Man spürt allerdings beinahe zu jedem Zeitpunkt, dass die Elektrifizierung bei Alfa Romeo noch in den Kinderschuhen steckt und zumindest die steckerlose Hybridtechnik im gesamten Stellantis-Konzern keine allzu grosse Rolle spielt. Kurz gesagt: Konkurrenten wie Toyota oder Renault bringen das Zusammenspiel um einiges homogener zustande.

Viele Alternativen

Vielleicht ist es aber auch einfach das italienische Flair, das wir spüren. Italienische Karossen lassen die Herzen höher schlagen, aber irgendetwas ist, salopp gesagt, halt immer. Wenig auszusetzten gibt es indes an der Fahrwerksabstimmung. Für die dargebotene Leistung ist diese absolut stimmig. Die Radaufhängungen nach MacPherson-System vorne wie hinten dämpfen straff, teilweise etwas plump, nicht aber unangenehm hart. Die aktive Drehmomentverteilung hält die – zugegebenermassen nicht sehr grossen – Kräfte gut im Zaum. Auch Wankbewegungen bleiben relativ lange aus, der Vorderwagen bringt Längs- und Querdynamik gut unter einen Hut. Eine ordentliche Spassbremse ist hingegen die Lenkung, die ungemein leichtgängig und darum für die Stadt in Ordnung ist, aber auch extrem gefühlslos und unpräzise. Und das bei nur zweieinviertel Lenkradumdrehungen.

An dieser Abstimmung ändert auch die Verstellung über den DNA-Schalter wenig. Die drei Fahrmodi beeinflussen die Gasannahme, das Schaltverhalten und das Lenkgefühl – es wird nur härter, nicht besser –, leider jedoch nicht das Fahrwerk, weil die adaptive Variante nur gegen Aufpreis erhältlich ist und im Testwagen nicht verbaut war. Stets elektronisch geregelt ist die Kommunikation mit den Bremsen, eine mechanische Verbindung ist nicht vorhanden. Die Abstimmung ist harmonisch, der Bremsweg zum Stillstand aus 100 km/h mit 34.6 Metern unterdurchschnittlich kurz.

Glücklicherweise ist auch der Antrieb effizient. Ein Verbrauch von 5.4 l/100 km auf der AR-Normrunde ist ein guter Wert, umso mehr, als dass ein Gewicht von mindestens 1.6 Tonnen herumgefahren wird. Trotzdem: Wenn schon der Aufwand für den Mildhybridantrieb betrieben wird, dann hätte man mit noch etwas tieferen Werten rechnen dürfen. So wird denn auch der 1.6-Liter-Turbodiesel mit 96 kW (130 PS) zu einer interessanten Alternative. Zumal er gleich viel kostet und mehr Drehmoment (320 Nm) zur Verfügung stellt.

Womit wir bei einem weiteren Problem des Alfa Romeo sind: Er hat einfach zu viele Konkurrenten. Und das im gesamten Preisband, in dem der Tonale vertreten ist, also von 41 900 Franken bis maximal 61 900 Franken bei Vollausstattung. Im Kompakt-SUV-Segment ist nahezu jeder Hersteller stark vertreten, sich hier ein Stück vom Kuchen abzuschneiden, ist schwierig. Handkehrum muss man, um an das Süsse zu kommen, zuerst überhaupt Teil der Party sein, und dafür ist der Tonale das späte Eintrittsticket für Alfa. Ob er da dann aber gleich im Rampenlicht steht, wird sich weisen. Wichtig und auch wünschenswert für Alfa Romeo wäre es ganz gewiss. 

Testergebnis

Gesamtnote 70/100

Antrieb

Der Mildhybrid-Antriebsstrang ist effizient, Ziel also vorderhand erreicht. Aber das Zusammenspiel des Motors mit dem Getriebe ist eben auch sehr langsam, pomadig, teilweise sogar störend.

Fahrwerk

Die Abstimmung ist grundsolide, aber weder total komfortabel noch sonderlich dynamisch. In der Stadt und geradeaus geht auch die Lenkung in Ordnung.

Innenraum

Der Tonale gibt sich grösste Mühe, mit kleinen Details zu punkten. Das gelingt, kann aber nur bedingt über das billige und grossflächig eingesetzte Plastik hinwegtäuschen. Infotainment und Platzangebot sind o. k.

Sicherheit

Je höher die Ausstattungslinie, desto mehr ist dabei. Gröbere Aussetzer gab es während der Testdauer keine. Die Bremsleistung ist sehr gut.

Budget

Man muss schon genau überlegen, welcher Tonale in welcher Ausstattung zu einem passt. Immerhin ist die Preisspanne 20 000 Franken weit.

Fazit 

Mit dem Tonale will sich Alfa Romeo spät ein Stück vom Erfolgskuchen der Kompakt-SUV abschneiden. Doch was lange währt, wird manchmal auch nur bedingt gut. Das italienische Flair drückt klar durch, das wird ­sicherlich einige Fans anlocken. Aufgrund der semioptimalen Basis jedoch kämpft der Tonale mit einem grösseren Handicap und rennt der Konkurrenz vor allem beim Antriebsstrang doch recht klar hinterher.

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