Sie sind das Thema der Stunde: Versorgungssicherheit und eine energieautarke Schweiz, die nicht auf importierte Energie angewiesen ist. Aktuell sind wir noch weit davon entfernt und importieren 72 Prozent der hier verbrauchten Energie. Dazu gehören neben dem Strom, der vor allem in den Wintermonaten importiert wird, auch Öl und Gas – gesamthaft rund 850 000 Terajoules oder 236 000 Gigawattstunden. Die Abhängigkeit kurzfristig zu reduzieren, ist also schwierig und wäre in einem politisch und wirtschaftlich stabilen Umfeld auch nicht nötig. Wenn die Politik die wirtschaftliche Sicherheit nicht mehr garantieren kann, braucht es Lösungen, die regional und lokal funktionieren.
Eine mögliche Lösung kann Biogas sein, ist Andrea Müller vom Hof Unterbruck in Thayngen SH überzeugt: «Wenn wir unser Land von Energieimporten unabhängig machen und die Energiesicherheit gewährleisten wollen, dann müssen wir die regionalen Energiekreisläufe schliessen.» Gemeinsam mit ihrem Mann Christian Müller hat sie deshalb auf ihrem Hof die erste Biogastankstelle der Schweiz in Betrieb genommen. Die ursprüngliche Idee sei es gewesen, mit dem Biogas die eigenen fünf Traktoren betreiben zu können. «Der Gedanke, eigenen Treibstoff für unsere fünf Traktoren zu produzieren, hat uns gefallen. Es ist ein Puzzleteil mehr in unserer Kreislaufwirtschaft», meint Andrea Müller anlässlich der Eröffnung der Anlage. «Dass wir damit den Zeitgeist so gut treffen, ahnten wir damals noch nicht, als wir das Projekt in Angriff nahmen.»
Keine Nahrung
Aktuell sind auf den Schweizer Strassen rund 14 000 Personenwagen mit Gasantrieb unterwegs, der Anteil am Gesamtbestand beträgt also tiefe 0.3 Prozent. Da bei der Verbrennung von Erdgas im Vergleich zum Benzinmotor rund 25 Prozent weniger Kohlendioxid (CO2), 90 Prozent weniger Stickoxide (NOX) und nahezu kein Feinstaub anfällt, wurde es als umweltfreundliche Alternative zu Benzin und Diesel gehandelt. Mit dem Aufkommen der Elektroautos und dem Fokus auf die Tailpipe-Emissions verschwand der Gasmotor wieder aus dem Rampenlicht, und der CNG-Antrieb (Compressed natural gas) konnte sich nie als umweltfreundliche Alternative zum Benzin- und Dieselmotor durchsetzen. Und das, obwohl viele der gut 150 öffentlichen Gastankstellen in der Schweiz dem komprimierten Erdgas auch einen Anteil CO2-neutrales Biomethan beimischen – 26 Prozent sind es im Schnitt.
Dass, wie bei Müllers, hundertprozentiges Biogas direkt ab Hof getankt werden kann, ist einzigartig, der Prozess für die Herstellung aber etabliert. Landwirtschaftliches Biogas entsteht bei der Vergärung von Gülle, Mist und organischen Reststoffen unter anaeroben Bedingungen. Wichtig: In der Schweiz dürfen keine Rohstoffe, die als Nahrung oder als Futtermittel zum Einsatz kommen könnten, zu Treibstoff verarbeitet werden. Im Unterschied zu einem offenen Misthaufen geschieht dies in einem Fermenter unter anaeroben Bedingungen, also unter Ausschluss von Sauerstoff. Mikroorganismen bauen das organische Material ab und wandeln es um zu Roh-Biogas, das ein Gemisch aus Methan, Kohlendioxid und einigen weiteren Gasen ist. Diese Methanisierung geschieht auch, wenn der Mist, wie üblich auf einem Bauernhof offen, verrottet – dann entweichen Methan und CO2 einfach direkt in die Atmosphäre. Durch die Fermentierung in einem geschlossenen System wird das Gas aufgefangen und kann weiterverwertet werden.
Für Roh-Biogas gibt es zwei Verwendungsmöglichkeiten: entweder die Verbrennung in einem Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von erneuerbarem Strom und Wärme oder die Aufbereitung zu Biomethan. In der Gasaufbereitung wird vom Roh-Biogas, das aus 55 bis 60 Prozent Methan (CH4) und 40 Prozent CO2 besteht, das CO2 abgetrennt. Dies bewirkt einen besseren Brennwert, also eine höhere Energiedichte. Bei kleinen Anlagen wie auf dem Hof Unterbruck kommt dazu üblicherweise ein Membranverfahren zum Einsatz. Ein simpler Filter lässt das CO2 passieren und hält die Methanmoleküle zurück. Das Biomethan kann dann entweder ins Gasnetz eingespeist werden oder es wird, wie in Thayngen, über eine Tankstelle als Treibstoff zur Verfügung gestellt. Dazu wird das hochwertige Biomethan auf 200 bar verdichtet und in Gastanks gespeichert.
Sofort klimaneutral
Die Anlage von Christian und Andrea Müller verwertet jährlich 15 200 Tonnen Mist, Gülle und Bioabfälle, die teils auf dem eigenen Hof anfallen und teils von anderen Bauern angeliefert werden. Daraus entstehen unter anderem Strom für 400 Haushalte und Biogas für die Tankstelle. «Unsere Aufbereitungsanlage ersetzt jährlich gut 200 000 Liter Diesel», sagt Andrea Müller. Von den fünf Traktoren ist erst einer auf Gaseinsatz umgerüstet – Hersteller New Holland sei da leider wenig kooperativ, ärgert sich Andrea Müller. Dieser Traktor verursache jetzt aber bei gleichen Leistungswerten bis zu 95 Prozent weniger Feinstaub, 35 Prozent weniger NOX und sei nahezu CO2-neutral unterwegs. Ausserdem sind die Betriebskosten um ganze 30 Prozent gesunken.
Der Einsatz von Biogas oder Erdgas ist technisch in mehrfacher Hinsicht spannend. So sind die meisten aktuellen Modelle mit Gasmotoren für einen bivalenten Antrieb ausgerüstet, können also auf Benzinbetrieb umschalten, wenn einmal keine Gastankstelle in der Nähe ist. Ausserdem wird auch an einer Kombination von Gas- und Wasserstoffverbrenner geforscht, was die Flexibiltät noch weiter verbessern könnte. Dass trotzdem nicht mehr Bewegung in der Sache drin ist, nervt Andrea Müller. Im Jahr 2006 hätten sie und ihr Mann mit der Planung der Biogasanlage begonnen – 2014 konnten sie ans Netz gehen. «Sieben Jahre Bewilligungszeit sind sechseinhalb Jahre zu viel», sagt sie. Und auch die Traktorenindustrie biete zu wenig Hand, wolle die neuen, sauberen Modelle lieber zuerst an Messen präsentieren, aber nicht verkaufen: «Alle sagen ‹wir schauen mal›, aber damit machen wir keine Fortschritte. Wir sind klimaneutral. Und zwar sofort!»
CNG- statt Elektroantrieb für Stadtbusse?
14 990 neue Stadtbusse wurden im vergangenen Jahr in der EU, Grossbritannien, Norwegen und der Schweiz auf die Strassen gebracht. Zum ersten Mal überholten dabei die elektrischen Modelle diejenigen mit CNG-Antrieb. So stieg der Anteil der Elektrobusse von knapp 15 auf 21.7 Prozent, der-jenige der Gasmodelle sank derweil auf 14.8 Prozent. Ein Blick auf die Schweizer Busbetriebe zeigt ein ähnliches Bild: Bei den Ausbauprojekten, die im Rahmen der Agglomerationsprogramme beim Bund um finanzielle Beteiligung angefragt haben, geht es ausnahmslos darum, Fahrzeuge mit Elektroantrieb zu beschaffen und die dazu notwendige Infrastruktur zu errichten. Wie eine europäische Fallstudie am Beispiel der Stadt Košice in der Slowakischen Republik gezeigt hat, muss das nicht immer die sinnvollste Lösung sein. So sei eine Kombination aus Gas- und Elektrobussen die effizientere Lösung als eine Flotte aus reinen Elektrobussen. Wenig überraschend: Der entscheidende Faktor für die Rentabilität aus Sicht der Verkehrsdienste ist die Höhe der Subventionen, die man vom Staat oder von der EU erhält. Werden diese ausgeklammert, lohnen sich die Elektrobusse in keinem Fall. Um das politische Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, muss der CO2-Ausstoss zwar reduziert werden, aber auch die CNG-Busse können CO2-neutral unterwegs sein, wenn sie nicht mit Erdgas, sondern mit Biogas betrieben werden.
Pioniere stossen immer auf den Widerstand der Platzhirsche und Ewiggestrigen, welche ihr Terrain mit Macht und Vorschriften verteidigen wollen. Sie können sich nur mit enormen Engagement, Ausdauer, Überzeugung und dem Quäntchen Glück, zur richtigen Zeit gekommen zu sein, durchsetzen. Christian und Andrea Müller sind insofern auf die gleiche Stufe wie Elon Musk und andere Pioniere zu setzen. Danke, dass die Automobil Revue ihnen den medialen Auftritt ermöglicht.