So viel kostet der Verkehr wirklich

Ungedeckte Kosten von zehn Milliarden Franken verursachten die Autofahrer, sagt der Bund, mehr als jeder andere Verkehrsträger. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

Es sind plakative Zahlen, die in den vergangenen Wochen die Runde gemacht haben. Mit zehn Milliarden Franken sollen die Autofahrerinnen und Autofahrer der Schweiz bei der Allgemeinheit in der Kreide stehen. Und das jedes Jahr! Die Zahl entstammt dem Bericht des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE), der jährlich über die externen Kosten der verschiedenen Verkehrsträger informiert. Unter den externen Kosten versteht man Kosten, die beispielsweise durch Umweltverschmutzung, Lärm oder Unfälle verursacht werden. Es sind all jene Kosten, die von einem Verkehrsträger oder von Verkehrsteilnehmern verursacht werden, aber nicht von ihnen direkt getragen werden.

Die entsprechenden Zahlen des ARE für die externen Kosten lauten folgendermassen: Die gesamten Kosten beliefen sich 2019 auf 14 Milliarden Franken. Davon entfielen 9.8 Milliarden auf den Strassenverkehr, 1.5 Milliarden auf den Flugverkehr, 1.2 Milliarden auf den Schienenverkehr, 1.1 Milliarden auf den Langsamverkehr (Fussgänger und Velofahrer), 300 Millionen auf den öffentlichen Strassenverkehr und 106 Millionen auf den Schiffsverkehr. Aber stimmt das wirklich? Und wie lassen sich diese Werte einordnen?

Die Antwort ist, wie immer, wenn es um gesellschaftliche und politische Fragen geht, etwas komplizierter. Grundsätzlich stellen sich zwei Probleme bei der Betrachtungsweise des ARE, die auch von vielen Medien unkritisch übernommen wurden. Zum einen sind die Zahlen nicht nach Personenkilometern gewichtet. So ist es naheliegend, dass das Auto aus dem einfachen Grund, dass es einen viel grösseren Anteil an der Mobilität hat, deutlich höhere Kosten verursacht als das Velo oder der öffentliche Verkehr. Mehr als 75 Prozent des gesamten Verkehrs in der Schweiz finden im Auto statt, während der öffentliche Verkehr gut
18 Prozent trägt. Der Rest ist Langsamverkehr mit Velofahrern und Fussgängern.

Um aussagekräftige Zahlen darüber zu erhalten, welche Kosten ein Verkehrsteilnehmer wirklich verursacht, lohnt es sich, den gesamten Betrag in Relation zu den Personenkilometern zu setzen. Im Bericht des ARE sind diese Zahlen etwas weniger prominent auch zu finden. Das teuerste Verkehrsmittel ist dann noch immer das Auto mit externen Kosten von 7.8 Rappen pro Personenkilometer, gefolgt vom öffentlichen Strassenverkehr (6.5 Rp./km), dem Velo (4.1 Rp./km) und der Bahn (3.9 Rp./km). Den Fussgängern wird unter dem Strich ein Nutzen attestiert, da die angenommenen gesundheitlichen Gewinne die Kosten um 9.5 Rappen pro Kilometer übersteigen.

Autofahrer bezahlen am meisten

Das zweite Problem: Um eine Aussage darüber treffen zu können, wie viel Geld die Allgemeinheit für einen Verkehrsträger einschiessen muss, reicht es nicht, nur die Kosten und einige ausgewählte Gewinne, wie den gesundheitlichen Aspekt zu berücksichtigen – das ist Rosinenpickerei. Es müssen auch die tatsächlichen Einnahmen berücksichtigt werden. Nur so lässt sich abgeschätzen, ob unsere Ressourcen effizient investiert werden. Als Beispiel: Die Autofahrer bezahlen viel Geld, mit dem der Ausbau von Velowegen, Fussgängerzonen und Buslinien finanziert wird. Damit finanziert der angebliche Umweltsünder Autofahrer umweltfreundlichere Mobilitätsformen wie das Velofahren oder die Bahn. Genau diesen Geldfluss klammert der Bericht des ARE aber aus. Dafür braucht es ­einen Blick in den Bericht «Kosten und Finanzierung des Verkehrs», der die Finanzflüsse aufzeigt und der gerne etwas unter dem Radar gehalten wird.

Stellt man den tatsächlichen Ausgaben (beispielsweise für den Ausbau der Infrastruktur, die Beschaffung von Rollmaterial oder den Bau von Velowegen) und den externen Kosten (also Umweltschäden, Lärmbelästigung oder Unfallkosten) die Einnahmen gegenüber – beim Auto sind dies beispielsweise die Mineralölsteuer, bei der Bahn die Billettverkäufe –, dann zeigt sich ein anderes Bild. So kostete der motorisierte Individualverkehr im Jahr 2018 gesamthaft 52.5 Milliarden Franken, eingebracht hat er 45.3 Milliarden. Unter dem Strich bleiben also tatsächlich rund sieben Milliarden Franken ungedeckt, knapp sieben Rappen pro Personenkilometer. Deutlich schlechter stehen die übrigen Verkehrsträger da. Der Langsamverkehr generiert keine Einnahmen, man kann ihm aber den Gesundheitsnutzen durch die körperliche Betätigung attestieren. Die Fussgänger kosten die Allgemeinheit 6.1 Rappen pro Kilometer. Bei den Velofahrern stehen Ausgaben für die Infrastruktur, die sie nutzen, aber nicht bezahlen, und hohe Unfallkosten zu Buche. Sie kosten die Öffentlichkeit 20.5 Rappen pro Personenkilometer.

Weniger gut sieht die Bilanz bei den öffentlichen Verkehrsmitteln aus. Mit den verkauften ­Billetts können sie bloss rund 40 Prozent der Ausgaben decken, der Rest geht zulasten der Allgemeinheit. Für die Eisenbahn bedeutet das, dass die Allgemeinheit für jeden zurückgelegten Personenkilometer 25 Rappen drauflegt. Noch schlechter steht der Regionalverkehr mit Bus und Tram da, vornehmlich wegen der kurzen Distanzen, die damit zurückgelegt werden. Hier müssen die Schweizerinnen und Schweizer ganze 50 Rappen pro ­Personenkilometer drauflegen, damit Betriebskosten, Infrastruktur, Umweltschäden, Lärmbelästigung und Luftverschmutzung abgegolten werden können.

Gelder effizient einsetzen

Werden also die gesamten Finanzflüsse angeschaut, offenbaren sich die Probleme bei der einseitigen Betrachtungsweise der externen Kosten. Sie fokussiert auf eine beschränkte Auswahl von Parametern und verzerrt damit die Bilanz zu­ungunsten des motorisierten Individualverkehrs. Ob die ungedeckten Beträge hauptsächlich bei der Umweltbelastung anfallen (wie beim Auto) oder bei der Infrastruktur (wie beim ÖV) ist am Ende nicht relevant für die Allgemeinheit, die auf den Kosten sitzenbleibt. Ein Franken ist ein Franken, egal wo er fehlt.

ARE-Vizedirektor Ulrich Seewer macht die Aussage, es liege im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung, dass die Nutzer ihre verursachten Kosten selbst trügen. Auch wenn er das vermutlich anders beabsichtigt hat, so richtet sich diese also zuallerletzt an die Automobilisten. Wer es ernst meint mit einer nachhaltigen Entwicklung der Mobilität in der Schweiz, müsste sich sehr dediziert dafür einsetzen, dass die wenigen Prozent des Verkehrsanteils, die der öffentliche Verkehr trägt, so rasch wie möglich aufs Auto umgelagert werden und nicht umgekehrt. Dann könnten die Beträge, die dadurch frei werden, dass ineffiziente Verkehrsmittel nicht mehr genutzt werden, in eine tatsächlich nachhaltige Entwicklung und in Umweltschutz gesteckt werden. 

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