Präsidentensänfte

Grosse Limousinen sind ein typisch deutsches Hoheits­gebiet. Mit dem DS 9 bringen die ­Fran­zosen aber einen äusserst würdigen Gegner ins Spiel.

Er könnte schon la voiture présidentielle sein, der DS 9. Mit einer Länge von knapp fünf Metern ist er immerhin das längste Modell eines französischen Herstellers. Und damit dringt er gleich einmal in die kaiserlichen Gefilde vor, die traditionellerweise von den deutschen Edelmarken kontrolliert werden, und bläst zum Angriff auf Mercedes, BMW und Audi. Während die Deutschen mit leistungsstarken Motoren und nüchterner Ausgestaltung aufwarten, will der DS 9 mit französischem Chic überzeugen. Ob das funktioniert? Im ersten Halbjahr 2022 wurden exakt 31 neue DS 9 eingelöst, während BMW im selben Zeitraum 327 Fünfer zugelassen hat, Audi 367 A6 und Mercedes ganze 568 E-Klassen. Das muss aber erst einmal gar nichts heissen, schliesslich sagen die Verkaufszahlen so gut wie gar nichts über ein Auto aus. Und die noch junge Abspaltung von Citroën macht immer noch einen Findungsprozess durch – und dazu gehört auch, Kunden zu finden.

Dass DS nicht ins selbe Jagdhorn bläst wie die germanische Konkurrenz, ist wohl eine gute Sache, so kann man die Ressourcen gezielt in Eleganz und Komfort an Bord stecken anstatt in erzwungene Sportlichkeit. Das merkt man schnell, egal, auf welchem Sitz man Platz nimmt. Wir machen es richtig présidentiellement und beginnen gleich hinten rechts. DS hat vorgespurt für den Einsatz als Chauffeurlimousine: Der Beifahrersitz lässt sich vom Fahrersitz aus per Knopf an der Lehne ganz nach vorne fahren. So tut sich im Fond eine ganz gehobenen Beinfreiheit auf, sodass es sich mit ausgestreckten Beinen reisen lässt. Dass auch der Qualitätsanmutung in der zweiten Reihe eine hohe Priorität zugemessen wurde, zeigt sich schnell. Die Rücksitze sind ebenso hochwertig verarbeitet wie die Vordersitze und das Leder ist aufwändig vernäht. Gegen Aufpreis gibt es auch hinten nicht nur Sitzheizung und Lüftung, sondern sogar eine Massagefunktion, deren Bedienung in die herunterklappbare mittlere Armlehne integriert ist. Schade, dass die Sitzflächen etwas wenig konturiert ausfallen und der Seitenhalt dadurch leidet. Weiterer kleiner Kritikpunkt: Hätte man das Glasdach bis nach hinten durchgezogen, hätte auch der Chef hinten rechts etwas vom Sternenhimmel.

Gehobenes Interieur

Aber auch in der ersten Reihe muss nicht auf eine gehörige Portion Luxus, fast etwas zu aufdringlich, keinesfalls aber billig, verzichtet werden. Das Leder – in unserem Testwagen aus mattrotem Nappaleder – ist mit aufwändigen Ziernähten versehen, das Ührchen auf dem Armaturenbrett dreht sich bei Motorstart geräuschlos in Position. Die verchromten Drehregler unter dem Bildschirm und am Lenkrad sind gummiert für besseren Halt, nichts wackelt. Ja, wer die Geschwistermodelle der Konzernmarken kennt, wird hier und dort Gleichteile entdecken, den Wählhebel beispielsweise, die Lenkstockschalter oder das gesamte Infotainment. Aber in welchem Konzern ist das schon nicht der Fall? Auch in einem Bentley Bentayga finden sich die Knöpfe aus dem VW Touareg wieder.

Die Platzierung gewisser Tasten ist noch immer nicht ganz intuitiv – wie die der Fensterheber auf der Mittelkonsole –, aber man gewöhnt sich daran. Die Bedienung des Infotainments ist nach wie vor nicht ideal, wieso beispielsweise die Schnellwahltaste für die Hybridfunktionen bei der Klimabedienung angeordnet ist und nicht bei der restlichen Fahrzeugbedienung, ist unverständlich, ebenso dass bei jedem Fahrzeugstart wieder das Radio eingeschaltet ist, auch wenn zuletzt Musik ge­streamt wurde oder Ruhe herrschte. Wer kein Freund von Touchscreens ist, wird sich ebenfalls schwertun, denn viele Funktionen sind auf den Bildschirm verbannt, und die Schnellwahltasten darunter sind schwer zu ertasten und klein und damit schwer zu treffen. Das sorgt für Ablenkung. Gegen Aufpreis gibt es auch eine Nachtsichtkamera, deren Bild im volldigitalen Kombiinstrument angezeigt wird. Ein Head-up-Display sucht man allerdings vergeblich auf der Optionenliste.

Im Kontrast zum grosszügigen Platzangebot im Inneren steht übrigens der Kofferraum mit ­einem Volumen von 510 Litern mit manueller und 473 Litern mit elektrischer Heckklappe. Die Rückbank lässt sich in Kombination mit den Massagesitzen nicht mehr geteilt herunterklappen, und die Durchreiche entfällt. 

Viel elektrisch Fahren

Die Motorenauswahl für den DS 9 reicht vom reinen Benziner mit 165 kW (225 PS) bis zum Plug-­in-Hybrid mit Allradantrieb und 265 kW (360 PS). Dazwischen finden sich noch zwei weitere Plug-­in-Hybride mit 165 kW (225 PS) und 184 kW (250 PS). Unser Testwagen ist mit dem kleinen Plug-in-Hybrid ausgestattet, der einen 1.6-Liter-Benziner mit 133 kW (180 PS) mit einem Elektromotor mit 81 kW (110 PS) kombiniert. Mit den 11.9 kWh der unter dem Kofferraum verbauten Lithium-Ionen-Batterie geht es nach offiziellen Angaben elektrisch 46 Kilometer weit, ein Wert, den wir in der Realität auch erreichten. Im Konkurrenzvergleich liegt der DS 9 damit im vorderen Mittelfeld. Bis zu einer Geschwindigkeit von 135 km/h gleitet die Limousine elektrisch und damit äusserst ruhig dahin. Angenehm: Auch bei zügiger Fahrweise, wenn beispielsweise beim Ampelstart einmal etwas mehr Drehmoment abverlangt wird, verbleibt der Antrieb im elektrischen Modus und bemüht nicht gleich den Verbrennungsmotor. Emotionale Ausbrüche sind vom Antrieb aber keine zu erwarten, egal ob rein elektrisch oder im kombinierten Modus. Der 1.6-Liter-Turbobenziner gibt sich bei zurückhaltendem Fahrstil kultiviert und ruhig. Wenn er gefordert wird, beispielsweise bei leerer Batterie, dann wird er laut und rau.

Wie alle Plug-in-Hybride will natürlich auch der DS 9 E-Tense so häufig wie möglich geladen werden, dann bleibt auch der Verbrauch tief. Auf der AR-Normrunde erzielte er einen kombinierten Verbrauch von guten 3.7 l/100 km, bei leerer Batterie oder wenn der Ladezustand gehalten werden soll, steigt der Verbrauch auf durchschnittlich 8.9 l/100 km. Wer also viel elektrisch unterwegs ist, kann die Mehrkosten von rund 5000 Franken des PHEV gegenüber dem gewöhnlichen 225-PS-Benziner wieder amortisieren. Unser Testwagen mit Quasi-Vollausstattung bringt es auf 80 400 Franken.

Bei der Ausstattungslinie Rivoli serienmässig dabei ist die Geheimwaffe der Franzosen: das aktive Fahrwerk, das den sprichwörtlichen Komfort der Citroën DS in die Neuzeit holen soll. Und kann. Mittels Kamera wird die Strasse vor dem Fahrzeug auf Unebenheiten gescannt und die Dämpferrate jedes Rads individuell und in Echtzeit angepasst. Gerade auf Landstrassen mit ihrer oft wechselnder Oberflächenqualität und Belagsschäden sorgt das System für eine entspannte Fahrt. Auf gut ausgebauten Autobahnen tritt es in den Hintergrund, da kann auch bereits das Standardfahrwerk für hohen Fahrkomfort sorgen, zumal das System ein leichtes Schaukeln über längere Wellen auch nicht auszugleichen vermag und sowieso nur bis zu einer Geschwindigkeit von 130 km/h funktioniert.

Der Fahrkomfort, die gehobene Ausstattung und das grosszügige Platzangebot harmonieren mit der eleganten Linie und der edlen Optik auch von aussen. Die Pariser Eleganz zieht sich durch vom schmuck gestylten Chromkühlergrill bis zu den feinen Linien in den Rückleuchten. Ergänzt wird das Bild der Limousine mit Reminiszenzen an die grossen Zeiten der Grande Nation: Die kleinen Blinker in der C-Säule sind eine Hommage an die markanten Blinker am Ur-DS, die 19-Zoll-Felgen heissen: Versailles. 

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