Rennwagen im SUV-Anzug

Der DBX 707 setzt in der Kategorie der Über-SUV alles auf eine Karte, wie ein Rennstreckenbesuch am aufregenden Bilster Berg zeigt. Der Aston Martin trifft damit vollends ins Schwarze.

Das schnellste Luxus-SUV der Welt. So nennt ihn Aston Martin selbstbewusst und stolz. Auf dem Papier überflügelt der DBX 707 (520 kW, 900 Nm) seine primären Kontrahenten, die beiden sportlichen Plattformbrüder Lamborghini Urus und Porsche Cayenne Turbo GT, relativ locker. Mit etwas mehr Leistung und ein wenig weniger Gewicht sprintet der DBX 707 in 3.3 Sekunden von 0 auf 100 km/h, marschiert danach ebenso brachial weiter. Dem Lamborghini (478 kW, 850 Nm) fehlt das letzte Bisschen an Leistung, dem Porsche (471 kW, 850 Nm) die Philosophie, nicht alles perfekt machen zu wollen. Und dem gerade ausgelaufenen Jeep Grand Cherokee Trackhawk (522 kW, 868 Nm), der mit 710 PS gar noch etwas mehr Leistung als der Aston Martin propagiert, fehlt es ausser beim Geradeausfahren grundlegend an Sportlichkeit. Alles, was einem sonst noch in den Sinn kommt wie beispielsweise der Mercedes-AMG GLE/GLS 63 S (466 kW, 850 Nm) ist oder fährt eine Klasse darunter. Mindestens.

Wobei, wenn wir gerade von Mercedes sprechen: Viele Komponenten für den DBX bezieht Aston Martin aus Deutschland. Darunter den famosen Vierliter-V8 mit doppelter Turboaufladung. Für die Mehrleistung von 157 PS und 200 Nm gegenüber dem DBX gibt es neu unter anderem kugelgelagerte Turbos. Die Neungang-­Automatik kommt mit einer Mehrscheiben-­Nasskupplung, die dem höheren Drehmoment gerecht wird. Die Kardanwelle besteht aus Kohlefaser. Das elektronische Sperrdifferenzial wurde gestärkt und hat eine kürzere Endübersetzung, was in einer schnelleren Sprintfähigkeit und einem besseren Ansprechverhalten beim Schalten resultiert. Trotz Allradantrieb können bis zu 100 Prozent des Drehmoments auch während der Fahrt nach hinten geleitet werden.

Wo sonst als auf der technisch anspruchsvollen Strecke am Bilster Berg (D) liesse sich – wenn auch nur annähernd – besser erfahren, welch Urgewalt im Briten steckt? Wobei wir das wortwörtlich meinen. Spätestens wenn die beiden Turbos ordentlich um Luft ringen und die vier Auspuffrohre zu einem rotzfrechen Crescendo blasen, ist man dem Zauber verfallen.

Die Zügel etwas lockerer lassen

Also nichts wie los, Aufwärmrunde. Einen Komfort-Modus gibt es nicht, was bereits vieles über die Ausrichtung sagt. Der Weg aus der Boxengasse reicht, um zu erkennen, dass hier nicht irgendein gemütliches SUV auf dicke Hose macht, sondern eine Sportskanone sich redlich Mühe gibt, Rücksicht auf seine Passagiere zu nehmen. Die Luftfederung mit dreifachen Kammern holt bei der radikalen Abstimmung das Möglichste für die Fahrt bei niedriger Geschwindigkeit heraus, das hölzerne Abrollen der optionalen 23-Zoll-Walzen kann es nicht ganz überdecken. Gut also, dass die Sitze gleichermassen bequem wie sportlich sind und die Position nahezu perfekt ist für ein SUV. Hinten wiederum ist die Bank nicht konturiert, aber so gar nicht. Was im schnellsten SUV der Welt je nach Fahrweise dann doch etwas unangenehm werden kann. Die Musik spielt aber bekanntlich vorne. Dort ist das Cockpit wie das gesamte Interieur hübsch, die Bedienung gewöhnungsbedürftig, das Infotainment wie bei einem Mercedes der letzten Generation – all das kann die Konkurrenz besser, doch darum geht es bei Aston Martin nicht. Zurück auf die Strecke also.

Das mildeste Set-up nennt sich GT, wobei der allgemeine Komfort in Ordnung geht, aber bereits hier die Gasannahme zackig und die Gangwechsel ruppig sind. Der 707 will: vorwärts. Also umschalten auf Sport Plus, die Zügel werden etwas lockerer, aber keineswegs losgelassen. Das ESP bleibt aktiviert, so die Vorgabe über den gesamten Tag. «Um diesen letzten Rettungsschirm zu wissen, ist spätestens dann gut, wenn wir bei der freien Fahrt das Tempo erhöhen», sagt Fabian Vettel, der jüngere Bruder von Sebastian und heutiger Fahr­instruktor. Wie recht er damit haben sollte.

Jeden Millimeter mitnehmen

Zum Einstieg stehen zunächst ein Slalomparcours und präzises Kurvenfahren auf dem Programm – und die ständigen Korrekturen vor allem bei schnellen Richtungswechseln nerven erst einmal gewaltig. Der DBX 707 reagiert auf zu starke Lenkwinkel mit starken Bremseingriffen, erstickt Übersteuern im Keim, schiebt bei falschen Lastwechseln über alle vier Räder. Aston Martin erstickt jede Tendenz zur Unkontrolliertheit im Keim, bevor die Physik kickt.

Erstes Feedback von Vettel: «Seid geduldig, aber bestimmt mit dem Auto. Und findet einen Rhythmus.» Denn darum gehts in einem solchen Monster. Das Leergewicht von 2.2 Tonnen und der hohe Schwerpunkt fahren immer mit, das Zusammenspiel von Gas, Bremse und Lenkwinkel ist bei diesen Ausmassen noch wichtiger als sonst. Oder anders: Man bekommt unmittelbares Feedback, wenn nicht sauber gefahren wird – durch sich vorher angekündigendes Über- oder Untersteuern oder eben vom ESP, je nach ausgewähltem Fahrmodus.

Der DBX 707 gibt viel und fordert dabei fast noch mehr. Und zwar primär: hohe Konzentration und eine saubere Linienwahl. Voll in die Eisen, die brachiale und serienmässige Keramikbremse (v. 420 mm, h. 390 mm) mit Sechskolben-­Bremssätteln hält der Belastung auch nach mehreren Runden am Stück stand, einzig die ersten Millimeter an Pedalweg dürften etwas progressiver abgestimmt sein. Runterschalten über die leider nicht mitschwingenden Schaltwippen, Traktion auf der Vorderachse aufbauen. Einlenken, rollen lassen, das Gaspedal linear in Abhängigkeit vom kleiner werdenden Lenkwinkel durchtreten, alles innert kürzester Zeit. Wer das  richtig macht, den belohnt der 707 ohne aufzumucken. Und bleibt dabei dank der elektronischen Wankstabilisierung äusserst stabil.

Spätestens jetzt wird es richtig ernst. «The safety car is too slow» gibt es bei uns nicht. Vettel gibt Vollgas – wir vermuten, dass es höchstens Dreiviertel-Gas war –, kommt gar kurz mit dem Hinterrad aufs Gras. «Vor und nach der Kurve muss man jeden Millimeter mitnehmen», sagte er bei der Streckenbesichtigung. Wir versuchen, der Rennlinie zu folgen, und trauen uns immer mehr zu, die Bremspunkte werden später. Je höher das Tempo, umso verspielter wird der 707. Waren die ESP-Reaktionen zu Beginn schroff, so sind es nun genau sie, die den DBX in der Spur halten. Die ungefederte Masse konnte im Vergleich zum DBX um 40.5 Kilogramm reduziert werden, was in Verbindung mit der Neukalibrierung der Dämpfer und Federn für viel Bodenkontakt sorgt. Gewichtsverlagerungen und der damit verbundene Aufbau der Traktion sind deutlich zu spüren, trotzdem wird das Auto leicht und nervös, zuckt vorne wie hinten stark, folgt der eingeschlagenen Linie aber minuziös. Die Lenkung ist dabei stets überraschend leichtgängig und sicherlich nicht die kommunikationsfreudigste, aber ungemein präzise.

Fressen oder gefressen werden

Bodenwellen werden schlicht plattgebügelt, Curbs mit Freude genommen, die breiten Schlappen kleben am Asphalt. Wobei der Pirelli P Zero jeweils nach drei ultraschnellen Runden spürbar zu schmieren beginnt. Zurück in die Boxengasse also, wo all die aneinandergereihten 707 ein tolles Bild abgeben. Der Kühlergrill wurde nochmals etwas grösser. Wie viel Luft da angesaugt wird, kann man bei höheren Drehzahlen hören. Die Art und Weise, wie diese Luft ins und ums Auto geleitet wird, ist mehr als sexy. Lüftungsgitter, wohin das Auge reicht, aerodynamische Anbauteile rundherum, hinten der Duck-Tail, der seinem Namen auch gerecht wird, dazu der mehr als ausladende Diffusor. Wenn das Design des 707 eines nicht ist, dann langweilig.

Exakt wie das gesamte Auto. Das beeindruckt auch Vettel: «Man kann entspannt schnell fahren. Die Leistung ist brachial, trotzdem wird sie sauber auf die Strasse gebracht. Das können nicht viele von sich behaupten.» Wir können uns seiner Meinung nur anschliessen, das Front-Mittelmotor-Konzept geht voll auf. Ob der DBX 707 nun das schnellste SUV der Welt ist oder nicht, ist im Prinzip egal. Aston Martin, Lamborghini oder doch Porsche – die Wahl besteht irgendwo zwischen ultraschnell und irrwitzig schnell. Vielmehr bleibt einmal mehr das Stauen darüber, wie weit die Ingenieurskunst ist, um entgegen aller SUV-­Nachteile ein solches Supersportgerät hinzuzaubern. 

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