Noch stärker als im Bereich der konventionell angetriebenen Sportwagen wird bei elektrischen Hypercar-Neuerscheinungen auf maximale Antriebs- und Fahrleistungen gesetzt. Kein Rekordwert bleibt lange bestehen. Den Meilensteinen, die Tesla mit dem Model S Plaid mit 750 kW (1020 PS), Pininfarina mit dem Batista mit 1397 kW (1900 PS) oder Rimac mit dem Nevera mit 1408 kW (1914 PS) setzten, fügt das österreichische Unternehmen Deus mit dem Vayanne mit 1670 kW (2270 PS) nun eine weitere Rekordmarke hinzu. Wie grün dieses Leistungsaufrüsten mit Elektro-Feigenblatt ist, sei hier für einmal dahingestellt.
Gott wohnt in Wien
Was Managing Director Dierk Schröder und Chefdesigner Adrian-Filip Butuca vergangenen Monat im Rahmen der New York International Auto Show im Jacob Javits Convention Center präsentierten, sorgte für ordentlich Aufsehen, verspricht doch die potente Hypercar-Neuheit Deus Vayanne eine geradezu fantastische Antriebsleistung und entsprechende Fahrwerte. Im Vorfeld des internationalen Wiener Motorensymposiums hatten wird Gelegenheit zu einem Gespräch mit Designer Adrian-Filip Butuca. Butuca, erst Anfang zwanzig, rumänischer Abstammung und in Wien aufgewachsen, ist seit Jahren Auto-, Design- und IT-Fan. Zusammen mit Schröder gründete er 2020 in der österreichischen Metropole die Marke Deus. Mit leidenschaftlichem Engagement brachte er das elektrisch angetriebene Hypercar von der ersten Skizze bis auf den aktuellen Entwicklungsstand.
Der Modellname Vayanne ist eine Ehrerbietung an Wien, eine englischsprachige Anspielung auf die Herkunft des Autos. Die Marke Deus – zu Deutsch: Gott – steht für das Gehirn und den leitenden Geist des Projekts, denn bei der physischen Realisierung des Fahrzeugs spielten das italienische Designunternehmen Italdesign und der englische Formel-E-Technikspezialist Williams Advanced Engineering als renommierte Partner wichtige Rollen.
Der Vayanne ist also das Resultat einer dreigleisigen Zusammenarbeit zwischen Deus in Wien, Italdesign in Moncalieri (I) bei Turin und Williams Advanced Engineering in Grove-Wantage (GB) bei Oxford. Italdesign und Williams arbeiten schon seit längerem zusammen an einer flexiblen Plattform für elektrisch angetriebene Hochleistungssportwagen. Die Kooperation mit Deus stellt jetzt die aktuellste Facette des Zusammenspiels von Technik, Design und Emotion dar. Sowohl Dyrr Ardash, Leiter der strategischen Partnerschaft bei Williams, als auch Marco Volpengo, Chef des Autogeschäfts Europa bei Italdesign, äussern sich begeistert über das Wiener Hypercar-Projekt.
Italdesign, seit 2010 Teil des VW-Konzerns, hat bereits 50 Jahre Erfahrung in der Entwicklung von Vorserien- und Kleinstserienfahrzeugen. Die Wurzeln des Unternehmens gehen auf Designer Giorgetto Giugiaro und Ingenieur Aldo Mantovani zurück. Williams Advanced Engineering ist weltweit führend in der Entwicklung elektrischer Hochleistungsantriebe im Rennsport. Entstanden ist das heute 400 Mitarbeiter starke Unternehmen 2010 aus der Williams GP Engineering Limited.
Charakteristische Designdetails
«Beim Design geht es nicht nur ums Aussehen, sondern um die Darstellung des Credos der Marke. Vorzügliches Design und Funktionalität sollen mit neuster Hypercar-EV-Technik kombiniert werden», hält Chefdesigner Adrian-Filip Butuca beim Gespräch im stilvollen Restaurant Lugeck im Zentrum Wiens fest. In der Seitenansicht erinnert der Vayenne mit seinen Proportionen an herkömmliche Mittelmotor-Sportwagen. Sowohl die Front- als auch die Heckpartie enthalten als dominierendes Designelement die liegende Acht, das mathematische Zeichen für Unendlichkeit. Der imposante, extrem breite Frontgrill lässt nicht sofort auf ein Elektroauto schliessen. Das entspricht aber genau der Idee des Designers. «Das Auto sollte neutral aussehen, denn die Gefahr bei Elektro-Sportwagen ist, dass sie eben elektrisch aussehen und daher wie beliebig ausstauschbare Trendprodukte wirken. Unser Design soll zeitlos sein.» Weitere Charakteristika an der Front sind die mandelförmigen Scheinwerfer und die markanten Kotflügel. Durch die grossen Lufteinlässe wird der Luftstrom für das Kühlsystem so geführt, dass sich eine bestmögliche aerodynamische Performance ergibt. Dabei verweist der Designer auf die enge Zusammenarbeit zwischen Design und Engineering.
Das Vayanne-Design soll jedoch nicht nur hypercar-würdig wirken, sondern auch alltagstauglich sein. «Mit einem Liftsystem lässt sich die Bodenfreiheit des Fahrzeugs zwischen zwölf und siebzehn Zentimetern verstellen. Und natürlich hat im hinteren Kofferraum eine Golftasche Platz. Ausserdem gibt es vorne ein weiteres Gepäckfach.» Im Cockpit soll dafür gesorgt sein, dass der Fahrer sich der Hauptaufgabe, nämlich dem Fahren, optimal zuwenden kann. Das bedeutet, dass die wichtigsten Bedienfunktionen noch über Tasten und Schalter zugänglich sind – und damit die Ablenkung durch Touchscreenbedienung vermieden wird. Neben den verschiedenen Tasten gehören aber natürlich auch ein digitales Kombiinstrument und ein Touchscreen in der Mittelkonsole zum Cockpit. Auf ein hippes Yoke-Lenkrad wurde jedoch verzichtet, ein normales rundes Lenkrad kommt zum Einsatz. Auffällig dagegen ist der Wählhebel mit Glaskuppe.
«Innen gibt es genügend Staugelegenheiten», sagt Butuca, «und mit dem konfigurierbaren Active-Sound-System ist der Vayanne auch in Bezug auf Fahrgeräusche auf Hypercar-Niveau.» Passend zum grünen Auftritt mit vollelektrischem Antrieb werden im Innenraum nachhaltige Materialien eingesetzt. Das für die Sitzpolsterung verwendete Leder wird unter strengen Nachhaltigkeitsregeln hergestellt und verarbeitet. Im wahrsten Sinn des Wortes einleuchtend wirken die zwei durchgehenden LED-Streifen hinter einer Plexiglasabdeckung. Sie umarmen quasi das ganze Interieur von der einen Tür über das Armaturenbrett zur anderen Tür. Je nach Blickwinkel verändert sich das Aussehen des in Halo-Infinity-Mirror-Technik realisierten Leuchtbands. Die Reflexionen der integrierten Dioden erzeugen einen Tunnel, der bis in die Unendlichkeit zu reichen scheint.
Geplant sind 99 Unikate
Butuca begann schon als 14-Jährger die digitalen Möglichkeiten für die 3-D-Designdarstellung zu erforschen. 17-jährig schliesslich fertigte er im 3-D-Druckverfahren sein erstes Modellauto. Nach weiteren Perfektionierungsschritten und erworbenen Kenntnissen auf dem Gebiet der Automobilfertigung entstand dann der Deus Vayanne. Obwohl der Vayanne in New York noch als Concept-Car vorgestellt wurde, ist er laut Butuca bereits serienreif. 99 Einheiten sollen bei Italdesign hergestellt werden. «Jedes Fahrzeug wird ein Unikat sein», betont der Designer. «Eine einmal gewählte Konfiguration ist kein zweites Mal mehr möglich.»
Unabhängig von der individuellen Ausstattung des Fahrzeugs sorgen die drei Elektromotoren – zwei hinten, einer vorne – stets für orkanartige Beschleunigung. Es gilt dabei, 2040 Nm und über 2200 PS auf die Strasse zu bringen. Dies erledigt der 4.58 Meter lange und 1810 Kilogramm wiegende Vayanne normalerweise mit vier Rädern. Sein vollvariables AWD-System kann aber bei weniger Leistungsbedarf auch nur die Vorder- oder nur die Hinterräder antreiben. Der 85-kWh-Lithium-Ionen-Akku, der für Reichweiten von bis zu 500 Kilometern genügt, kann mit bis zu 350 kW in 20 Minuten auf 80 Prozent aufgeladen werden.
Und der Preis? Selbstverständlich eine Nebensache für die göttliche Unendlichkeit. Butuca schätzt, dass er auf 2.5 bis drei Millionen Euro zu stehen kommt. Erste Auslieferungen seien für 2025 geplant. Zum Europa-Erstauftritt präsentierte sich der Deus von 20. bis 22. Mai im Park der Villa d’Este in Cernobbio (I) (s. Seite 20). Die offizielle Europapremiere wird am 8. Juni in Monaco gefeiert – zusammen mit Albert II., seines Zeichens autobegeisterter Fürst von Monaco. Einen weiteren Auftritt hat das österreichisch-italienisch-englische Auto dann bei der Battery-Show am 20. Juni in Stuttgart (D).