Den meisten Schweizern kommt beim Namen Genesis nicht eine Automarke, sondern die englische Rockband von Phil Collins in den Sinn. Das eine schliesst natürlich das andere nicht aus, und es kam, wie es kommen musste: Gerade als der Schreibende zur ersten Fahrt mit dem Wagen ansetzte, schallte das Stück «Jesus He Knows Me» aus den Lautsprechern. Man könnte fast über die Schulter schauen – wenn schon der Heiland die koreanische Marke kennt, dann ist sie vielleicht doch schon wohlbekannt? Nehmen wir das Einstiegsmodell des Herstellers, den Viertürer G70, genauer unter die Lupe.
Beim Design fällt zuerst der prominente Kühlergrill in Diamantform auf, welcher dem Fahrzeug viel optische Präsenz verleiht. Selbst dessen Grill erinnert an die Facetten eines Edelsteins. Das vordere Kennzeichen wird innerhalb des Grills montiert, was wir bei unseren kleinformatigen Schildern viel weniger als Unzier empfinden. Unter dem Kühlergrill und an den Ecken des Bugs befinden sich weitere Lufteinlässe mit den gleichen Gittern, hinter den Vorderrädern haben die Stilisten Luftaustrittskiemen in den Kotflügeln vorgesehen. Das sind gleich mehrere Designelemente, die stark an Bentley erinnern. Zusammen mit dem grossen Kühler sind es die Doppelleisten von Scheinwerfern und Rücklichtern, die dem G70 einen eigenen, markanten – gelungenen – Auftritt verleihen. Die Dachlinie fällt fast coupéhaft nach hinten ab und mündet in einem Bürzel am Heck. Das Styling hat im Vergleich zu den ersten Modellen, als Genesis noch eine Bezeichnung für die Topvarianten der Marke Hyundai war, einen grossen Schritt nach vorn getan.
Wohlige Kabine
Zur eigenständigen Marke wurde das Label 2015, der Stapellauf des ersten G70 erfolgte 2018. Weil sich die Genesis-Verantwortlichen anschliessend dazu durchrangen, die Limousine auch in Europa anzubieten, liessen sie dem Modell ein gründliches Facelifting angedeihen.
Gleiches trifft teilweise auch auf das Interieur zu. Das gesteppte Nappaleder prangt stolz auf den Sitzen und in den Türverkleidungen. All die Nähte im Innenraum müssen kilometerweise Faden verschlungen haben. Die Verarbeitung gehört zum Besten in der Premiumklasse. Besonders aufgefallen sind uns die angenehmen Oberflächen der Mittelkonsole und des Dachhimmels (Kunstleder beziehungsweise Alcantara), aber auch die gebürsteten Metallknöpfe etwa am Lenkrad. Das Ambiente ist gediegen und seriös, so stellt man sich dezenten Luxus vor. Perfekt ist das alles aber nicht ganz, hier und da entdeckt man einige weniger hochwertige Details, vor allem im Bereich der Kunststoffe, und unsorgfältige Verarbeitung mit rauen Kanten, beispielsweise im Kofferraum oder am Armaturenbrett. Es sind Kleinigkeiten, die man bei einer Volumenmarke problemlos durchgehen lassen würde, die bei einer Marke mit Premiumcharakter aber auffallen. Die Innenraumpräsentation ist absolut gelungen, auch wenn sich Genesis mit etwas mehr stilistischem Mut noch deutlicher von der Konkurrenz abheben könnte.
Die Ergonomie ist trotz einiger Ausrutscher gut durchdacht. Die Bedienungselemente sind da, wo man sie sucht, und die Koreaner halten an gewissen physischen Schaltern fest. Je nach Lenkradstellung und Fahrergrösse lässt sich nicht vermeiden, dass das Lenkrad einen Teil des Tachometers und andere Funktionen verdeckt. Das Head-up-Display macht diese Kritik aber grösstentteils irrelevant. Das Infotainmentsystem mit dem 10.25 Zoll grossen Bildschirm ist nahe an dem, was man von Hyundai kennt. Es ist logisch aufgebaut und reagiert rasch auf Eingaben, die Grafiken sind klar, das Bild der Rückfahrkamera wird in guter Auflösung wiedergegeben.
Die Insassen fühlen sich im G70 wohl, was auch auf die komplette (aber aufpreispflichtige) Ausstattung mit Annehmlichkeiten wie beheizten und belüfteten Sitzen oder dem grossen Panoramadach zurückzuführen ist. Der Fahrer findet schnell eine bequeme Sitzposition, sodass auch Langstrecken nie problematisch werden. Den Fondpassagieren ergeht es weniger gut. Personen von mehr als 1.80 Metern Grösse dürften über mangelnde Kopffreiheit klagen, und ihre Knie schliessen schnell Bekanntschaft mit den vorderen Sitzlehnen. Mit dem hohen Mitteltunnel bleibt der fünfte Sitz einem Kind vorbehalten. Ehrlicherweise muss man sagen, dass der G70 aber nicht schlechter dasteht als das Gros der Konkurrenz und dass in diesem Segment auch niemand ein Auto kauft, um im Fond zu reisen.
Der Kofferraum schluckt bei umgeklappten Rücksitzlehnen (Verhältnis 60:40) auch Ladegut oder Ski mit bis zu 196 Zentimetern Länge. Das Beladen ist aber wegen der geringen Höhe des Kofferraums etwas mühselig. Ein nettes Detail, das dem Premiumanspruch mehr als gerecht wird, ist das lautlose Öffnen und Schliessen des Kofferraumdeckels – keine surrenden Motoren oder lärmenden Gasdruckfedern.
Spielverderber unter der Haube
Wenden wir uns noch dem Antriebsstrang des Genesis G70 zu. Unter der mächtigen Motorhaube steckt ein 2.2-Liter-Vierzylinder-Diesel mit 147 kW (200 PS), der irgendwie nicht zur sportlichen Karosserie passen will. Wir sind uns bewusst, dass diese Art Motorisierung für ein bestimmtes europäisches Kundensegment unerlässlich ist, aber wenn sich Genesis auf Vierzylindermotoren (neben dem Diesel nur ein Benziner mit 197 PS) beschränkt, dann ignoriert die Marke eine wichtige Gruppe von Autofans, die sich in einer hochklassigen Limousine auch eine entsprechende Motorisierung wünschen würden. Oder tun wir den kleinen Motoren etwa Unrecht?
Die direkte Lenkung mit ordentlichem Feedback und das straffe Bremspedal lassen auf eine sportliche und dynamische Abstimmung schliessen. Ein Versprechen, dass der Antrieb nicht halten kann. Der Selbstzünder bietet bulligen Durchzug für Alltagsfahrten und geht bei höheren Drehzahlen auch energisch zur Sache, er braucht dazu aber eine ziemliche Anlaufphase. Der G70 egalisierte bei unseren Messungen des Beschleunigungsvermögens die Werksangabe: Gemessen haben wir 7.6 Sekunden für 0 bis 100 km/h, das Werk sagt 7.9 Sekunden.
Der Koreaner lässt sich dank seines sicheren Eigenlenkverhaltens mit vier angetriebenen Rädern zügig fahren und auch flott um die Kurven dirigieren. Ein Spielverderber ist das Getriebe, welches unerwartet ruppig schaltet. Der zweite Faktor ist das dieseltypische Verhalten des Motors mit lästigem Brummen und störenden Vibrationen beim Beschleunigen. Im Gegensatz dazu kommt aber der Premiumanspruch bei längeren Autobahnfahrten voll zum Tragen. Da dreht der Diesel bei konstant 120 km/h angenehm und ruhig mit 1750 U/min, was dem Reisekomfort zugutekommt. Das dezente Brummen im Hintergrund wird da rasch ausgeblendet, und man geniesst die Stille.
Gemischte Gefühle hinterlässt auch der Vebrauch. Der Durchschnittswert von 7.3 l/100 km ist nicht gerade tief für ein Auto in diesem Segment. Auf der AR-Normrunde zeigte sich dann aber, dass sich dieser Wert mit etwas vorausschauender Fahrweise problemlos unterbieten lässt. Doch auch die so erreichten 6.7 l/100 km liegen noch deutlich über dem Klassendurchschnitt.
Unter dem Strich gibt der G70 eine glaubhafte – und für allem: günstige – Alternative zu den deutschen Limousinen ab. Die Basisversion gibt es bereits für weniger als 50 000 Franken, für unseren gut ausgestatteten Testwagen waren es 67 700 Franken. Rechnet man ausserdem die Genesis-Dienstleistungen mit ein, ergibt sich ein beträchtlicher Unterschied, der manche Interessenten zum Koreaner steuern könnte. Bei Genesis wird dem Käufer ein persönlicher Concierge zugeteilt, der auf Knopfdruck erreichbar ist, und sich um alles rund ums Auto kümmert. Der Wagen wird für Service und Radwechsel abgeholt und wieder zum Kunden gebracht.
Nur Schade, dass der G70 in Europa ohne den V6 auskommen muss. Mit dem 3.3-Liter-Turbobenziner mit 272 kW (370 PS) könnte er sich zum perfekten Herausforderer mausern, mit besten Fahrleistungen, eigenständigem und edlem Auftritt, viel Stil und Luxus.
Testergebnis
Gesamtnote 78/100
Antrieb
Der Antrieb ist die Schwachstelle des G70. Der Dieselmotor und das Getriebe sind eher ruppig, eine leistungsstarke Motorisierung gibt es nicht.
Fahrwerk
Das Fahrwerk bietet vor allem einen guten Komfort, ohne dass das Auto in den Kurven schwammig wird. Ein guter Kompromiss.
Innenraum
Das Innere des G70 ist ein luxuriöser und komfortabler Kokon. Materialien, Verarbeitung und Ergonomie gefallen, der Wermutstropfen ist der begrenzte Platz auf der Rückbank.
Sicherheit
Die Bremsen beissen kräftig zu, und die Sicherheitsysteme sind alle vorhanden. Bei den Assistenten ist die Konkurrenz teilweise schon Ein umfangreiches Paket an Assistenzsystemen, darunter auch eine Totwinkel-Kamera, machen den G70 zu einem sicheren Fahrzeug.
Budget
Für verhältnismässig wenig Geld bietet der G70 eine Menge Ausstattung und ein schönes Interieur. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist sehr überzeugend, nur der hohe Verbrauch schlägt aufs Portemonnaie.
Fazit
Die Limousinen bekommen den SUV-Trend mit voller Wucht zu spüren. Umso spannender ist es, ihre Eleganz wieder zu entdecken. Genesis schafft es, ein Modell anzubieten, das mit den europäischen sogenannten Premiummarken mithalten kann, und das zu einem sehr wettbewerbsfähigen Preis. Ob das in einem Nischenmarkt, in dem das Wappen immer noch eine wichtige Rolle spielt, ausreicht, bleibt abzuwarten.
Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.