Es weht ein neuer Wind

Mit dem Supercar MC20 läutete ­Maserati eine neue Ära ein, die mit dem Grecale ihre Fortsetzung findet. Wir durften das SUV mit den grossen Ansprüchen fahren.

Kaum war die Vorstellung des Maserati Grecale vorbei, flatterte bereits die Einladung zum Fahrtermin ins Haus. Weshalb diese Eile? Weil die Entwicklung des italienischen SUV schon seit Monaten abgeschlossen war. Die Verantwortlichen in Modena (I) warteten angesichts der weltweiten Ereignisse auf einen möglichst günstigen Zeitpunkt für die Premiere, was derzeit leider nicht einfach ist. Da die Italiener einen ehrgeizigen Expansionskurs eingeschlagen haben, mochten sie sich schliesslich nicht mehr länger gedulden. Das 2021 lancierte Supercar MC20 stellt bei dieser Offensive die scharfe Spitze des Dreizacks dar. Auch beim Grecale handelt es sich um schweres Geschütz. Wobei wir die Ambitionen der Italiener und nicht das Gewicht des SUV meinen, auch wenn dieses mit happigen 1870 Kilogramm (GT) bis 2027 Kilogramm (Trofeo) angegeben wird. Maserati zielt mit dem Grecale auf das ungemein lukrative D-Segment der SUV, in welchem vom Hauptrivalen, dem Porsche Macan, im vergangenen Jahr nicht weniger als 88 362 Einheiten abgesetzt werden konnten. Das SUV aus Zuffenhausen (D) war damit 3.6-mal erfolgreicher als die gesamte Modellpalette von Maserati (24 269 Autos).

Die Verwandtschaft des Grecale mit dem MC20 ist auf den ersten Blick ersichtlich. Die stehenden Scheinwerfer und der markante Kühlergrill könnten direkt vom Supercar stammen. Die Seitenflächen sind modelliert und glatt, ganz im Gegensatz zu den heute allgegenwärtigen Sicken und Kanten. «Der Trend geht zu überladenen Linien in den Flanken», meint Maserati-Designer Marco Tencone. «Wir haben uns von den Modeströmungen nicht beeinflussen lassen und unseren eigenen Weg mit einem formenreinen Zentrum gewählt.» Im Vergleich mit seinem aggressiv auftretenden grossen Bruder Levante schmeichelt sich der Grecale mit seinen sanfteren Formen ein. «Der Levante markierte seine Präsenz mit Angriffslust und Maskulinität. Beim Grecale zielten wir auf einen eleganten Auftritt. Seine Kunden sind weniger emotional und treffen eine gut überlegte Entscheidung», sagt Tencone.

Ohne Schalter und Knöpfe

Der Grecale führt die Verjüngungskur der Marke im Innenraum fort. Das Armaturenbrett ist erfreulich unverbaut, im Mitteltunnel sucht man den Gangschalthebel vergebens, die Fahrzeugbedienung erfolgt über die beiden Touchscreens, wie man das etwa von den Topmodellen von Audi her kennt. Es gibt nicht einmal mehr den Schalter für die Scheinwerferbedienung. Schlimmer scheint der Verlust der Knöpfe für Heizung, Lüftung und Sitzheizung. Der Bildschirm reagiert zwar rasch und zuverlässig, erfordert aber viel Aufmerksamkeit vom Fahrer. Ein erfreuliches Kapitel betrifft den Qualitätseindruck und die Noblesse des Innenraums. Hier und da findet man zwar nicht ganz so  hochwertige Plastikteile – konkret den Schalter für die Fahrmodi und die Luftaustrittsdüsen –, die übrigen Oberflächen können mit den Klassenbesten konkurrieren. Der Grecale überstrahlt diesbezüglich sogar den Levante. Überraschenderweise bietet er zudem etwa gleich viel Platz. Selbst zwei Erwachsene von 1.85 Metern Grösse finden hinten genügend Kopf-, Ellbogen- und Beinfreiheit. Beim Kofferraumvolumen hinkt der Grecale mit 535 respektive 570 Litern als Trofeo allerdings hinter dem Levante her (580 l), wenn auch nur geringfügig. Gegen seine Klassengegner steht der Italiener durchschnittlich gut da: Der Porsche Macan schluckt 488 Liter, der Jaguar F-Pace 650 Liter.

Flott, aber nicht aggressiv

Um uns ein Bild vom Fahrverhalten zu machen, begaben wir uns nach Mailand und nahmen vor allem die Ausführungen mit dem Zweiliter-Mildhybrid unter die Lupe. Dieser leister als GT 221 kW (300 PS) respektive 243 kW (330 PS) in der Ausführung Modena, was 200 PS weniger sind als bei der Topvariante Trofeo mit dem Nettuno-V6.

Mit dem Wegfallen des Dieselmotors fällt dem Vierzylinder die Rolle der Basismotorisierung zu. Von diesem hat er mit dem Nageln bei kaltem Motor eine Unsitte des Selbstzünders übernommen. Sobald die Maschine auf Betriebstemperatur arbeitet, treten die Laufgeräusche in den Hintergrund. Ein Turboloch bleibt beim Hochdrehen des Motors praktisch aus – der Lader wird elektrisch aktiviert –, der bullige Durchzug komplettiert den positiven Ersteindruck des Powerteams. Der Zweiliter bietet in der Version mit 330 PS ein Drehmoment von 450 Nm zwischen 2000 und 5000 U/min. Die Freude am munteren Hochdrehen verblasst allerdings, wenn bereits bei 5000 U/min der Drehzahlbegrenzer rüde in Aktion tritt (mit voll durchgetretenem Gaspedal bei 6000 U/min). Trotz der abgeklemmten Jubelorgien ist der Grecale alles andere als untermotorisiert. Den Sprint von 0 auf 100 km/h schafft das SUV in 5.3 Sekunden. Die 300-PS-Version lässt sich drei Zehntelsekunden mehr Zeit. Die fehlenden 30 PS machen sich vor allem bei sportlicher Fahrweise und im obersten Drehzahlbereich bemerkbar. Dennoch ist der Vierzylinder seiner Aufgabe in beiden Leistungsstufen gewachsen, es fehlt ihm einzig ein wenig an der Aggressivität, die man von einem Maserati gemeinhin erwartet.

Deutlicher Fortschritt

Auf den schlechten Strassen Mailands bügelten die adaptiven Stossdämpfer (optional auch mit Luftfederung) die kleineren Unebenheiten gut aus. Grössere Schläge schüttelten die Karosserie hingegen merklich durch. Auch die Seitenneigung bei schneller Kurvenfahrt fällt deutlicher aus als etwa beim Porsche Macan. Die Luftfederung sorgt für keinen grundlegenden Unterschied beim Fahrverhalten. Wellige Abschnitte werden in allen Fahrmodi besser absorbiert, doch der Unterschied ist nur beim Umsteigen von einem Wagen in den anderen klar zu spüren. 

Für die weniger leistungsorientierten Versionen des Grecale wählte Maserati eine eher komfortorientierte Abstimmung. Das hat bei sportlicher Fahrweise seine Nachteile, unbeholfen ist das italienische SUV allerdings in keiner Situation. Es folgt treu den Vorgaben der sehr direkt wirkenden Lenkung. Das energische Einlenken in die Kurven ist für ein Fahrzeug dieser Grösse durchaus lobenswert. Beim starken Herausbeschleunigen aus den Kurven lässt die Hinterhand sogar ein leichtes Versetzen zu, was engagierten Fahrern viel Spass bereitet. Positiv vermerkten wir ausserdem das progressive Brems­gefühl, das viel natürlicher wirkt als beim Alfa Romeo Stelvio, welcher ebenfalls auf der Giorgio-Plattform von Stellantis aufbaut. Der Maserati ist zwar etwas weniger handlich als sein Cousin, er überzeugt dafür mit einer besseren Geräuschdämmung und mit einem nobleren Interieur. Das Infotainmentsystem der jüngsten Generation übertrumpft nicht nur das von Alfa, es ist auch ein gutes Omen für den gesamten Konzern. Wir kamen bei den Testfahrten zur Überzeugung, dass der Grecale in jeder Beziehung einen deutlichen Fortschritt für Maserati markiert. Er hat damit durchaus das Zeug, dem Levante Kunden abzujagen. Ein endgültiges Urteil behalten wir uns aber noch vor, bis wir den Neuling auf unseren Strassen bewegen können. Bis dahin dürften allerdings einige Monate vergehen, denn die ersten Auslieferungen des Grecale werden erst für den Sommer erwartet. Die Preise starten bei 86 600 Franken. 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.