Alles etwas anders

Den Honda HR-V gibt es in Europa nur noch mit Hybridantrieb. Der funktioniert zwar etwas anders als bei der Konkurrenz, aber sicher nicht schlechter. Im Gegenteil.

Honda war schon immer irgendwie: anders. Als die ganze automobile Welt auf den Turbozug aufsprang, gab es bei Honda den VTEC. Die Vorkammerzündung, jetzt von Maserati neu erfunden, zeigten die Japaner bereits in den 1980er-Jahren im Honda Civic. Als der neue NSX 2016 auf den Markt kam, war er als Supersportwagen mit Hybridantrieb seiner Zeit weit voraus, blieb aber eine Ausnahmeerscheinung. Und dann sind da noch die ganz alltäglichen Honda-eigenen Lösungen wie die Magic Seats oder der MMD-Hybrid.

Auch der HR-V tritt wieder mit einer ganzen Menge solcher kreativen Lösungen an. Es ist so ein bisschen wie mit einem dieser Wimmelbilder: Je länger man hinschaut und sich damit befasst, umso mehr entdeckt man. Auch in der Geschichte des Modells, das Ende der 1990er-Jahre, in einer Zeit, lange bevor der Begriff Crossover zur Mode wurde, als höhergelegte Variante der Kompaktlimousine Logos lanciert wurde. Im vergangenen Jahr wurde die dritte Generation des SUV vorgestellt, die ausschliesslich mit Hybridantrieb ausgeliefert wird. Vor wenigen Tagen hat Honda auch eine vollelektrische Version unter dem Namen E:Ny1 enthüllt. Und gleichzeitig auch noch einen neuen HR-V für den amerikanischen Markt angeteasert – der trotz gleichen Namens mit unserem HR-V nichts zu tun haben wird. 

Vorerst aber bleibt es in Europa beim i-MMD-­Hybridantrieb, dieser ganz eigenen Lösung von Honda, die auch im grösseren CR-H bereits zum Einsatz kommt. Der Antriebsstrang verfügt über drei Betriebsmodi. Erstens den reinen Elektroantrieb. Zweitens den Betrieb als Seriell-Hybrid, bei dem der Verbrennungsmotor elektrische Energie für die Elektromaschine zur Verfügung stellt. Und drittens: Antrieb durch den Verbrennungsmotor, der über eine Kupplung direkt mit der Achse verbunden wird. Anders als bei einem konventionellen Hybridantrieb hat der Elektromotor also nicht nur unterstützende Funktion, sondern übernimmt die volle Antriebsleistung. Während der Verbrennungsmotor 79 kW (107 PS) abgeben kann, leistet der Elektromotor 96 kW (131 PS) – gleichzeitig die Maximalleistung des Antriebsstranges. Beim Drehmoment verhält es sich ähnlich, auch hier trägt der Verbrennungsmotor bloss 131 Nm bei, während der Höchstwert von 253 Nm vom Elektromotor geliefert wird.

Gutes Zusammenspiel

Das Zusammenspiel der Komponenten ist faszinierend zu beobachten, die Kennfelder für die verschiedenen Betriebsmodi scheinen mit äusserster Präzision abgestimmt zu sein, wie der Blick auf die
Energieflussanzeige offenbart. Oder auch auf die Verbrauchsanzeige, denn mit einem Verbrauch von 5.1 l/100 km auf der AR-Normrunde bewegt sich der HR-V bereits in einem sehr guten Bereich für sein Segment. Das bedingt aber doch auch eine gewisse Faszination für Sparsamkeit. Mit vorausschauendem Fahren lässt er sich ruhig und flüssig bewegen. Der Verbrennungsmotor läuft, wenn überhaupt, nur dezent im Hintergrund mit. Über den B-Modus kann noch einmal stärker rekuperiert werden. Anders sieht die Sache aus, wenn Leistung abgerufen wird. Dann muss der Verbrennungsmotor zur Grundversorgung des Elektromotors die maximale Energiemenge zur Verfügung stellen, läuft also unter Volllast auf dem Höhepunkt der Leistung – bei 6000 U/min. Die entsprechende Geräuschkulisse darf getrost als störend bezeichnet werden, zumal die Fahrleistungen nicht gerade sportlich ausfallen: Den Sprint aus dem Stand auf 100 km/h absolviert der HR-V in knapp zehn Sekunden. Auch mit der Sparsamkeit ist es auf der Autobahn so eine Sache, der Verbrauch steigt dort schnell einmal auf rund acht Liter pro 100 Kilometer.

Dabei zeigt sich erneut, dass der Agglomera­tionsverkehr und die Stadt dem Charakter des Kompakt-SUV am ehesten entsprechen. Im unteren Geschwindkigkeitsbereich kann der Elektromotor seinen Trumpf des Drehmoments ausspielen, sodass die Beschleunigung bis auf 60 km/h zügig vonstatten geht. Erst darüber wird es harziger, wenn das Antriebsmoment der E-Maschine abfällt, das des Verbrennungsmotors aber noch nicht vollständig anliegt. Die Lenkung hingegen ist relativ direkt abgestimmt, das Fahrwerk geht ins Straffe. Das mag im ersten Moment nicht zum Charakter des Antriebs passen, sorgt aber für ein absolut sicheres Fahrgefühl.

Viel cleverer Platz

Das Aussehen des HR-V kann man mögen oder nicht, es folgt im Grunde dem aktuell angesagten Grundrezept. Mit dem Vorgängermodell hat das Design der dritten Generation gar nichts gemein, Honda beweist damit ein weiteres Mal, dass man keine Skrupel hat mit harten Brüchen im Design und keine Notwendigkeit sieht, Gestaltungselemente von einer Modellgeneration in die nächste zu transportieren, wie man sich das von den deutschen Marken gewohnt ist. Im Innenraum gibt es dann doch zwei Traditionen, und die heissen: Diversität und Hartplastik. Das Armaturenbrett und die Mittelkonsole werden in der von uns gefahrenen Ausstattungsvariante von ­einer Kombination aus Kunststoffen in Schwarz, Weiss, Silber, Klavierlack und Matt-Orange dominiert. Bei den Sitzen sind es helles und dunkles Textil, helles Leder und dazu Ziernähte in Orange. Alternativ kann das weisse Leder durch schwarzes ersetzt werden. Was bleibt, ist die Vielseitigkeit der Materialien. Die Verarbeitung gibt ansonsten keinen Anlass zu Kritik, nichts knarzt im grosszügigen Innenraum des  Honda HR-V.

Und mit grosszügig ausgelegt meinen wir wirklich: grosszügig. Das zeigt sich am eindrücklichsten im Fond. Die Beinfreiheit ist dort so gross, dass selbst bei angenehm zurückgefahrenem Fahrer- oder Beifahrersitz auf den Rücksitzen mehr als genügend Kniefreiheit vorhanden ist, sodass dort ein durchschnittlich grosser Erwachsener bequem sitzen kann. Erst bei drei Personen wird es dann doch etwas eng, wobei auch das vor allem der beschränkten Innenbreite geschuldet ist. Einen störenden Kardantunnel gibt es nämlich nicht, obwohl es das Fahrzeug auch als Allradvariante gibt. Beziehungsweise gäbe, denn sie bleibt dem japanischen Markt vorbehalten und kommt nicht nach Europa. Auch grössere und kleinere Stauräume, Ablagefächer und Getränkehalter gibt es genügend.

Nachholbedarf bei der Technologie

Wie bei vielen Modellen von Honda gibt es auch im HR-V die Magic Seats im Fond. Dass dieses geniale Feature einfach so dabei ist, ohne gross beworben zu werden, zeugt von einem gewissen Understatement der kleinen Marke aus Hamamatsu. Die Rückbank lässt sich somit nicht nur geteilt (40:60) abklappen, sondern die Sitzflächen lassen sich im selben Verhältnis auch nach oben klappen. Da der Benzintank unter den Vordersitzen untergebracht ist, entsteht so im Fond sehr viel Platz für Gepäck, Umzugskisten oder Möbelpakete, die durch die sich weit öffnenden Türen ganz bequem ein- und ausgeladen werden können. Die Hybridbatterie ist zwischen Hinterachse und Kofferraum verbaut, sodass der Ladeboden verhältnismässig hoch liegt. Darunter gibt es aber noch ein kleineres Fach, sodass maximale Effizienz herrscht bei der Platzausnutzung.

Ebenfalls im Sinne der Markentradition ist das Infotainmentsystem auf Android-Basis, das stets aus dem vorletzten Jahrzehnt zu stammen scheint. Die Grafiken sind veraltet, Android Auto und Apple Carplay sind zwar (per Kabel) eingebunden, funktionierten im Test aber mehr schlecht als
recht, und die Sprachbedienung beschränkt sich auf einige wenige Befehle. Hier zeigt sich ein grosser Kontrast zu den deutschen Platzhirschen, deren Bedienungskonzepte zwar alles andere als benutzerfreundlich sind, die aber alle auch nur erdenklichen Möglichkeiten bereitstellen. Ähnliches gilt für die Assistenzsysteme. Abstandstempomat und Spurassistent funktionieren zuverlässig, die Kollisionswarnung gelegentlich etwas zu überempfindlich.

Der Basispreis von mindestens 33 900 Franken liegt über dem Preis der Mehrheit der Konkurrenten. Allerdings gibt es dafür auch eine sehr gute Grundausstattung, unter anderem mit LED-­Scheinwerfern und Sitzheizung. 

Testergebnis

Gesamtnote 73.5/100

Antrieb

Seine Sparsamkeit gerade im städtischen Verkehr ist die grosse Stärke des Hybridantriebsstrangs des Honda HR-V. Auf der Autobahn fehlt es ihm an Souveränität.

Fahrwerk

Ein gelungener Kompromiss ist das Fahrwerk, es ist nicht zu sportlich, aber auch nicht allzu weich abgestimmt.

Innenraum

Innenraum gibt es viel im HR-V: Die Platzausnutzung ist vorbildlich, nicht zuletzt dank der hochklappbaren Rückbank. Aber auch auf den vorderen und hinteren Plätzen ist das Platzangebot grosszügig.

Sicherheit

Diverse Assistenzsysteme und eine gut strukturierte Bedienung (mit echten Knöpfen) sorgen für Sicherheit.

Budget

Mit einem Basispreis von 33 900 Franken ist der Honda HR-V kein Schnäppchen. Angesichts der reichhaltigen Ausstattung gibt es am Preis aber nichts zu bemängeln.

Fazit 

Der Honda HR-V beweist eine gewisse Eigenständigkeit – beim Antrieb, bei der Gestaltung, bei den Magic Seats. So ergibt sich ein gut abgestimmtes Gesamtpaket, das in seinem designierten Einsatzbereich zweifelsfrei zu überzeugen vermag.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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