Die Elektrifizierung der Fahrzeugpalette bringt viele neue Herausforderungen für die Industrie mit sich. Eine dieser Herausforderungen ist die Akustik, der die Hersteller besondere Aufmerksamkeit widmen. Bisher waren es der Verbrennungsmotor und seine Anbauteile wie beispielsweise die Abgasanlage, die die Aufmerksamkeit der Akustikspezialisten auf sich zogen. Mit gutem Grund, denn bei einem Tempo von unter 40 km/h überlagert die Geräuschentwicklung des Verbrenners in der Fahrgastzelle alle anderen Geräusche. Im Gegensatz dazu arbeiten elektrische Maschinen geräuscharm. Deshalb mussten sich die Spezialisten zwangsläufig mit dieser Besonderheit beschäftigen. Ein Paradigmenwechsel für Akustiker, deren Aufmerksamkeit sich nun auf andere Antriebskomponenten richtet.
Doch um welche Komponenten geht es überhaupt? Um diese Frage zu beantworten, haben wir das Technikzentrum von Renault in Aubevoye (F) besucht. Der 1982 gegründete, streng geheime Standort, in der die neuen Fahrzeuge des Renault-Konzerns getestet werden, verfügt über einen ganzen Bereich, der sich mit der Akustik befasst. Die Tests werden nicht nur auf einer Teststrecke, sondern auch in schalltoten Räumen durchgeführt, also in Versuchsräumen, deren Wände Schallwellen absorbieren. Dort haben uns die Ingenieure von Renault erklärt, dass sie daran arbeiten, zwei Hauptschallquellen auszuschalten. Zum einen sind das die Rollgeräusche, die von den Rädern verursacht werden, wenn sich die Reifen beim Abrollen auf der Fahrbahn verformen. Und zum anderen sind es die Windgeräusche, die das Fahrzeug verursacht, wenn es während der Fahrt die Luft durchdringt.
Zur Verminderung dieser Geräusche bieten sich den Akustikern mehrere Lösungen an. Die erste besteht in der Verwendung passiver Vorrichtungen wie Schallisolierungen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der im Innenraum des elektrischen Megane E-Tech verlegte Teppich diese Funktion nicht mehr übernehmen muss, weil sie nun von der Batterie übernommen wird. Sie ist so dick und kompakt, dass sie nur sehr wenig Geräusche ins Innere dringen lässt. An anderen Stellen finden sich nach wie vor Dämmplatten, vor allem an den Radkästen und an der Wand, die den Motorraum vom Innenraum trennt.
Problem der hochfrequenten Schallwellen
Die zweite Lösung, die von den Ingenieuren verfolgt wird, besteht aus einer Active Noise-Control, einem Gerät zur aktiven Geräuschunterdrückung. Es handelt sich dabei um eine Technik zur Lärmminderung, bei der zusätzliche Schallquellen zum Einsatz kommen. Im Automobilbereich nutzen Akustiker dazu die Lautsprecher im Fahrzeuginnenraum, um Schallwellen zu erzeugen, die störende Geräusche eliminieren. Bislang ist dieses System nur in Autos mit Verbrennungsmotor zu finden. «Das Problem bei der aktiven Geräuschunterdrückung ist, dass sie nur bei niedrigen Frequenzen gut funktioniert», erklärt Frank Bellon, Akustikspezialist bei Renault. Weiter: «Es ist wesentlich einfacher, die niederfrequenten Wellen eines Verbrenners mit einer aktiven Lärmunterdrückung zu reduzieren als die hochfrequenten Schallwellen anderer Lärmquellen. Das hat physikalische Gründe: Aufgrund ihrer Wellenlänge können niedrige Frequenzen überall im Fahrzeuginneren unterdrückt werden. Je höher die Frequenz, desto mehr muss man sich auf die Stelle konzentrieren, an der man den Schall eliminieren will, typischerweise dort, wo sich die Ohren der Passagiere befinden. Um störende Geräusche aktiv zu unterdrücken, müssten die Passagiere die ganze Zeit in exakt derselben Position verharren, was nicht der Fall ist.» Die Technologie wird allerdings bereits in zahlreichen Kopfhörern eingesetzt. Worin besteht also das Problem im Fahrzeuginnenraum? «Active-Noise-Cancelling-Systeme in Kopfhörern müssen das Klangfeld nur in einem wenige Kubikzentimeter grossen Gehörgang steuern. Dadurch kann man ein Frequenzband von bis zu 10 000 Hertz aktiv überwachen. Wenn aber das zu überwachende Volumen der Position eines Kopfes im Fahrzeug entspricht, dann müssen die zu überwachenden Frequenzen in zehn oder sogar 15 verschiedene Bänder aufgeteilt werden», antwortet Thomas Antoine, der führende Experte für Akustik und Vibrationen bei Renault. Trotz aller Probleme arbeiten die Akustikingenieure jedoch weiter intensiv an Lösungen, und ANC-Systeme könnten künftig durchaus auch in E-Fahrzeugen zum Einsatz kommen.
Individuell einstellbare Soundkulisse
Neben den störenden Geräuschen, an deren Unterdrückung die Akustiker arbeiten, gibt es andere, die sie künstlich erzeugen möchten. Dies gilt insbesondere für den Vehicle Sound for Pedestrians (VSP), also das Geräusch, das von Fahrzeugen erzeugt wird, um Fussgänger auf sie aufmerksam zu machen. «Dieser Ton ist für alle Elektrofahrzeuge, die mit einer Geschwindigkeit von weniger als 30 km/h fahren, gesetzlich vorgeschrieben», sagt Thomas Antoine. Anstatt diese Vorschrift als Gängelung zu betrachten, entwickeln viele Autohersteller eine eigene Soundkulisse für ihre Autos: «Die Kunden des Zoe konnten den VSP, den ihr Fahrzeug aussendet,sogar auswählen. Auch beim neuen Megane E-Tech ist das möglich», sagt Louis-Ferdinand Pardo, Spezialist für Fahrzeugakustik. Einige Hersteller gehen dabei weit über die gesetzlichen Vorschriften hinaus, indem sie beispielsweise akustische Systeme einbauen, die bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h aktiv sind.
«Abgesehen von den Geräuschen, die das Auto nach aussen hin für Fussgänger abgibt, besteht auch eine Nachfrage nach personalisierten Geräuschen im Fahrzeuginneren», sagt Pardo. Das beginnt mit einem Geräusch, das dem Fahrer anzeigt, dass die Zündung eingeschaltet ist. Derzeit geben die meisten E-Autos kein Geräusch von sich, wenn die Maschine eingeschaltet wird. Für die Kunden kann das fehlende Geräusch ein Problem sein, denn viele schalten die Zündung aus, obwohl sie gerade losfahren wollen. «Mir persönlich passiert das übrigens recht häufig», gesteht Pardo. Er ist bei weitem nicht der Einzige. «Wir werden in Zukunft die Möglichkeit anbieten, die Audioanlage des Fahrzeugs zu personalisieren, indem der Fahrer beispielsweise ein Hintergrundgeräusch einstellen kann, wenn die Zündung eingeschaltet wird.»
Das ist noch nicht alles. «Beim Wechsel von Verbrennungs- zu E-Fahrzeugen ist viel akustisches Feedback verloren gegangen. Das fehlende Geräusch beim Beschleunigen ist für viele Fahrer verwirrend. Aus diesem Grund arbeiten viele Hersteller daran, einen künstlichen Sound zu generieren, der von der Beschleunigung und dem Tempo abhängt», erklärt Pardo. Innerhalb der Renault-Gruppe werden die nächsten Modelle, die von der Verbesserung der Soundkulisse profitieren werden, die künftigen E-Modelle von Alpine sein, ein Elektro-SUV, ein Stadtauto auf der Basis des Renault R5 und schliesslich das Coupé, das in Zusammenarbeit mit Lotus gebaut wird. Dass Alpine den Anfang macht, erscheint logisch, da der Klang offenbar untrennbar mit dem Fahrvergnügen verbunden ist.
Originelle Klänge
Künftig werden Elektroautos wahrscheinlich noch viel mehr akustische Eigenschaften haben: «In Zukunft werden Fahrzeuge auch atypische Klangerlebnisse bieten können, zum Beispiel eine Kombination von Musik und synthetischem Sound.» Louis-Ferdinand Pardo sitzt am Steuer eines Zoe, dessen Bordcomputer klanglich verändert wurde, und spielt einen «Star Wars»-Soundtrack ab. Darüber ertönt, abhängig von der Beschleunigung, der Klang eines auf Hyperraumgeschwindigkeit beschleunigenden Raumschiffs, was dem Fahrer das Gefühl vermittelt, im Millennium Falcon zu sitzen. «Natürlich geht es nicht darum, dass diese Art von Sound ständig präsent ist, sondern nur darum, unseren Kunden atypische Klangerlebnisse zu bieten, die sie über ihr Infotainment zeitweise einschalten können», sagt Prado mit einem Schmunzeln.
Die Frage der Lautstärke ist ein Thema, an dem sich die Geister scheiden: «Manche mögen den Sound, andere wollen ihn nicht, und wieder andere wollen den Sound nur in bestimmten Situationen.» Aus diesem Grund ist die individuelle Anpassung sehr wichtig. Um den Sound zu generieren, werden sich die Hersteller nicht nur auf die Daten der Beschleunigungs- und Geschwindigkeitssensoren beschränken: «Der Soundtrack des Audiosystems könnte auch die Daten von Verkehrszeichenkameras, Lenk-, Brems- und Blinksensoren nutzen, um einen individuellen Sound zu generieren.» So wird das Auto zu einem Chor, in dem jeder Sensor ein Instrument ist, mit dem der Fahrer als Dirigent eine bestimmte Musik komponieren kann. Mit anderen Worten: Für die Jüngeren wird das Auto zu einem DJ-Set, mit dem der Fahrer selbst ein Techno-Stück komponieren kann. «Diese Art von Klangerlebnissen könnten auch durch eine entsprechende Lichtkulisse ergänzt werden, die von den Bildschirmen im Innenraum und der Hintergrundbeleuchtung erzeugt wird», fügt Pardo hinzu.
Es kann auch zu viel des Guten sein
Man sollte es aber nicht übertreiben, so Thomas Antoine: «Wenn der Sound schlecht integriert ist, wird ein unpassender oder in der Bedeutung unklarer Sound in einem bereits überfrachteten Klangbild die Passagiere eher stören.» Die grösste Herausforderung für Akustiker besteht also darin, es nicht zu übertreiben: «Aus Kundenfeedbacks entnehmen wir, dass es allgemein zu viele akustische Signale im Fahrzeuginnern gibt.» Das Problem ist den Herstellern bewusst. Es kommt daher, dass die verschiedenen Entwicklungsabteilungen ihre Rolle hervorheben wollen. «Die meisten Abteilungen bitten uns, die von ihnen entwickelten Funktion mit einem akustischen Signal zu koppeln. Natürlich wissen sie nicht, dass sie mit dieser Bitte nicht allein sind. Deshalb besteht meine Aufgabe auch darin, bestimmte akustische Signale abzustellen. Aber man kann auch nicht alles abstellen, denn es gibt bestimmte Anforderungen, wie beispielsweise gesetzliche Vorschriften oder die Richtlinien der Euro NCAP. Das beste Beispiel ist der Warnton für den Sicherheitsgurt. Wenn er nicht installiert ist, erhält das Fahrzeug einen Stern weniger», erklärt Frank Bellon. Die ganze Arbeit des Akustikers besteht also darin, eine kohärente Welt zwischen dem, was der Fahrer sieht, und dem, was er hört, zu schaffen. «Das nennt man das akustische Kundenerlebnis», sagt Thomas Antoine. Ein Erlebnis, das zugegebenermassen ziemlich aufregend ist.